Marion Ploch

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Vorgeschichte

Die Erlanger Uni-Klinik hatte vorausgehend einen zweifelhaften Ruf: Professor Siegfried Trotnow praktizierte seit 1981 an der Frauenklinik der Universität Erlangen-Nürnberg die Methode der extrakorporalen Befruchtung. Dabei werden der Frau kurz vor dem Eisprung Eizellen entnommen, in einem Labor mit dem Samen des Mannes befruchtet und nach 48 Stunden der künftigen Mutter als Embryo wieder implantiert.[1] Heute (2016) ist dies ein gängiges Verfahren, über das nicht mehr diskutiert wird. In den 1980-er-Jahren wurde es jedoch heiß diskutiert. Dies drückte unter den Kritikern der Uni-Klinik den Stempel auf, dass dort mit menschlichem Leben exmperimentiert werden würde.

Das Erlanger Baby

Die schwangere Hirntote Marion Ploch

Am 5.10.1992 verunglückte die schwangere Marion Ploch (15. Schwangerschaftswoche (SSW)) mit ihrem Pkw auf einer Landstraße. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma wurde sie per Hubschrauber in die Uni-Klinik nach Erlangen geflogen. In der Abteilung für Neurochirurgie durch eine Computertomographie keine Blutung innerhalb des Kopfes, aber eine massive Hirnschwellung und eine Schädel-Basis-Fraktur diagnostiziert, was eine sehr infauste Prognose bedeutet. Am 8.10. wurde ihr Hirntod diagnostiziert. Hierauf wollten die Eltern die lebensverlängernden Maßnahmen abschalten lassen, doch Ärzte und Juristen der Klinik setzten die Therapie fort, um das Leben des Kindes zu retten.

"Zunächst hatten die Mediziner den weitgehend unversehrten Körper des Unfallopfers für eine Organspende vorgesehen, ein Plan, der am Einspruch der Angehörigen gescheitert war. Als die Ärzte bei den Gesprächen mit der Familie von der Schwangerschaft der jungen Frau erfuhren, beschloß ein siebenköpfiger Klinikrat, den erst 15 Wochen alten Fötus im Mutterleib bis zu Geburtsreife hochzupäppeln. Diesmal ließen sich die Eltern der Toten ihre Zustimmung abringen."[2]

Aus diesem Interessenkonflikt heraus wandte sich der Vater von Marion Ploch am 9.10.1992 die Bild-Zeitung. Bild-Zeitungs-Reporter Paul Hertrich erinnert sich an den panischen Anruf: "Sie wollen meine Tochter komplett zerlegen. ... Helfen Sie mir, wir müssen an die Öffentlichkeit."[3] [Anm. 1]
Eine öffentliche Diskussion entstand, aber die Ärzte versuchten weiterhin, das Leben des Kindes zu retten.

Vergleichbare Versuche hatte es bereits in Großbritannien und in den USA[Anm. 2] gegeben, mindestens auch einen in Deutschland (1991 in Stuttgart). Aber bei keinem war die Zeitspanne zwischen dem Tod der Mutter und dem geplanten Geburtstermin so lange wie bei Marion Ploch.
6 vergleichbare Fälle waren dokumentiert. in 5 Fällen lebt das Kind, beim 6. Fall starb nach der Geburt. Meldungen über mißglückte Versuche, die Schwangerschaft einer Hirntoten erfolgreich bis zur Entbindung fortzusetzen, lagen nicht vor. Doch keiner der genannten Fälle war so kompliziert wie dieser. Der Forschergeist erwachte und mit ihm auch die Ethik.[4]

Wildfremde riefen in der Erlanger Klinik an und wollen dem Ungeborenen ein Zuhause bieten, darunter auch ein Mann, dessen Kind 3 Monate in der toten Mutter überlebte. Sie starb in der 16. SSW an einem Hirnschlag. In der 29. Woche wurde das Kind per Kaiserschnitt entbunden. Es sei gesund und fidel.[3]

Am 16.11. löste eine Entzündung eine vorzeitige Geburt aus. Dabei starb das Kind in der 19. SSW.[Anm. 3] Bekannt wurde der heftigst umstrittene Versuch der Ärzte, das Leben des Kindes zu retten, unter dem Namen "Erlanger Baby".

Vor allem Politikerinnen der SPD[Anm. 4] hatten damals davor gewarnt, den Körper toter Frauen als "Gebärkörper" zu missbrauchen.[5]

Der Hirntod wurde neben der klinischen Diagnostik durch ein Nulllinien EEG und durch Dopplersonographie einen zerebralen Durchblutungsstillstand festgestellt. Nach weitgehend problemlosem Verlauf über 5 Wochen bekam Marion Ploch am 15.11. Fieber. In den frühen Morgenstunden des 16.11. kam es zu einer Spontangeburt. Diese beendete das Leben des Kindes.[6]

Das Erlanger Baby in den Medien

Schlake und Roosen schreiben hierzu: "Wie kaum ein zweites Beispiel in der jüngeren Medizingeschichte ist der Fall des 'Erlanger Babys' zum Gegenstand eine beispiellosen Pressekampagne geworden, welche alle öffentlichen Medien bis hin zur Sensationspresse erfasst hat. Gerade Letztere hat durch verkürzte und verfälschte Darstellungen entscheidend dazu beigetragen, dass in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild des Hirntod-Kriteriums entstanden ist. Dies hat in seiner sekundären Auswirkung auch die öffentliche Debatte um die Organspende erfasst, die im Erlanger Fall gar nicht zur Diskussion stand."[7]

Weiter schreiben Schlake und Roosen: "Im Übrigen ist der Erlanger Fall bei medizinisch-wissenschaftlicher Betrachtung nicht so spektakulär, wie dessen Behandlung in den öffentlichen Medien suggerieren mag. So war bereits in sieben vorausgegangenen Fällen – allerdings ohne vergleichbares öffentliches Interesse – die erfolgreiche Fortführung einer Schwangerschaft in einem späteren Stadium bei Hirntoten bis zur Geburt eines gesunden Kindes beschrieben worden."[8]

Die Zeitschrift Focus schrieb am 12.9.1994 einen Artikel über "Schneewittchens Baby". So lautete der Arbeitstitel von RTL zum Film über Marion Ploch. Gabriele Ploch, die Mutter von Marion wird hierzu mit den Worten zitiert: "Ich will nicht, daß meine Tochter für Werbezwecke herhalten muß. Was damals mit Marion gemacht wurde, war eine Schweinerei."[9]

Die Diskussion um Mutter und Kind

  • Alice Schwarzer, Feministin und Herausgeberin der EMMA, kritisiert das Verhalten der Ärzte: "Ich fand das damals sehr schockierend, und damit stand ich nicht allein. Die Mehrheit der Frauen war darüber schockiert, dass der sterbende Körper der Frau, Marion Ploch, mit einem Blasebalg am Funktionieren gehalten wurde, um diesen Fötus, der daumengroß war, als die Mutter starb, auswachsen zu lassen. Das schien mir doch ein sehr zynisches, menschenverachtendes Experiment an der Universität Erlangen, also eine Entscheidung, sozusagen, für ein wissenschaftliches Experiment auf Kosten der Menschenwürde."[10]
  • Alice Schwarzer bezeichnete den Fall in der Emma auch als "Erlanger Menschenversuch".[11]
  • Julius Hackethal stellte gegen die behandelnden Ärzte des Universitätsklinikums Anzeige wegen Körperverletzung, Vergiftung und Misshandlung von Schutzbefohlenen.[11]
  • Politikerinnen verschiedenster Parteien sprachen von "Perversion der Menschlichkeit", "Mensch als Forschungsobjekt", "Mutter als Nährlösung" und "Zerstörung der kindlichen Seele", womit sie die Verantwortlichen heftig angriffen und unter Druck setzten.[12]
  • Der Philosoph Hans Jonas gestaltete die Diskussion bis zu seinem Tode im Jahr 1993 entscheidend mit: "... alles wurde überholt von der Nachricht der Totgeburt. Mit eben dieser - paradoxerweise - war die Leichnamsthese wirksamer widerlegt als durch alle Lebenszeichen zugunsten des Fötus und des Fortgangs der Schwangerschaft. ... Im Lichte des wirklichen Todes des Kindes wurde der angebliche der Mutter zum Interpretationsprodukt."[12][Anm. 5]
  • Das Amtsgericht Hersbruck, das wegen der Bestellung eines Betreuers angerufen wurde, kam in seinem Beschluss vom 16.10.1992 zu dem Entschluss, dass bei einer "vorzunehmenden Güterabwägung zwischen dem postmortalen Persönlichkeitsschutz der toten Frau und dem selbständigen Lebensrecht des ungeborenen Kindes" das Recht auf Leben vorgehe.[11]
  • Prof. Erich Saling, Wegbereiter der Perinatalen Medizin, erläutert zum damaligen Vorgehen der Erlanger Ärzte: "Zunächst einmal war ja wichtig, dass es in der wissenschaftlichen Literatur bereits einige vergleichbare Fälle gab, in denen die Kinder auch überlebt haben. Dann war es natürlich eine gewünschte Schwangerschaft, die Frau wollte das Kind ja haben. Und die Organsysteme der Sterbenden, wenn man es so bezeichnen möchte, der sterbenden Mutter, schienen ungestört zu funktionieren. Also aus den Überlegungen heraus ist es medizinisch gesehen nachvollziehbar, dass sie sich dafür entschieden haben."[13]
  • Prof. Saling: "Man muss bedenken, dass Organismen, besonders solche, die sich entwickeln, außerordentlich anpassungsfähig sind. Es besteht durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass die hirntote Mutter es sich gewünscht hätte, das Kind trotz der Tragik der Situation am Leben zu erhalten, sodass man darin durchaus auch eine human begründete Aufgabe der hier enorm fortschreitenden Medizin sehen konnte, das Leben des Kindes zu erhalten und damit der Würde der Frau als Mutter und der Würde des Kindes zu dienen."[13]
  • Professor Scheele, der behandelnde Chirurg, er hatte sich mit zweimaliger erfolgreicher Leber-TX international einen Namen gemacht, erhielt in jenen Tagen Briefe mit Inhalten wie: "SS-Nazi-Schwein", "KZ-Arzt Mengele", "Dr. Frankenstein", aber auch: "Ich hätte es genauso gemacht", "Alles Gute für das Kind".[3]
  • Wegen der breiten öffentlichen Debatte wählte die Gesellschaft für deutsche Sprache den Ausdruck "Erlanger Baby" zu einem der Wörter des Jahres 1992.[11]

Nach dem Tod des Kindes

  • Alice Schwarzer nach der Beerdigung von Marion Ploch: "Ich war sehr erleichtert, dass Marion Ploch in Würde endlich beerdigt werden konnte. Das Ganze war ja wirklich ein Spuk."[11]
  • Alice Schwarzer war "erleichtert, daß die Natur dieses zynische Experiment sozusagen selbst abgebrochen hat".[14]

Darstellungen in Schriften nach dem Jahr 2000

Zu Marion Ploch schrieb Gert Brüggemeier: "Für die Tote wurde ein Betreuer bestellt - ein juristisches Paradox! Etwa einen Monat später endete dieses - medizinische und juristische - Experiment durch eine Fehlgeburt.
Der wichtigste Anwendungsfall für die Feststellung des Todeszeitpunktes ist dagegen die Transplantationsmedizin. ..."[15]

Anhang

Siehe auch: Deutsche schwangere Hirntote

Quellen

http://www.abipur.de/referate/stat/679076353.html Zugriff am 7.11.2015.

Anmerkungen

  1. Offensichtlich stand zunächst die Frage um Organspende im Raum. Anders sind die Worte des Vaters nicht zu erklären. Eine vorliegende Schwangerschaft schließt jedoch Organspende aus. - Es ist nach vorliegenden Berichten unklar, ob man am 8.10. bereits von der Schwangerschaft wusste. Vorstellbar ist, dass die Schwangerschaft von Marion Ploch den Ärzten zunächst unbekannt war. Daher wurde sie mit der infausten Prognose von den Ärzten zunächst als mögliche Organspederin angesehen. Vielleicht wurde dies bereits im Vorfeld der Hirntoddiagnostik mit den Eltern so besprochen. Mit der Feststellung des Hirntods wäre die Möglichkeit zur Organspende bestanden, wenn da nicht die Schwangerschaft vorgelegen hätte.
    Nur eine im Raum gestandene Organspende erklären die panischen Worte des Vaters "Sie wollen meine Tochter komplett zerlegen." Warum am 8.10. den Eltern nicht klar gesagt wurde, dass die Frage um Organspende durch die bestehende Schwangerschaft vom Tisch ist, bleibt offen. Fest steht, dass die Eltern später der Fortsetzung der Therapie zugestimmt haben.
  2. Das erste Kind, das aus einer hirntoten Mutter geboren wurde, war Anfang der 80er Jahre in den USA.
  3. Am 5.10. war der Unfall. Marion Ploch war in der 15. SSW. Am 16.11. starb das Kind 19. SSW. So steht es im Artikel von Wikipedia. = Hier liegt ein Rechenfehler vor: Vom 5.10. bis 16.11. sind es genau 5 Wochen. D.h. entweder war Marion Ploch am 5.10. in der 14. SSW oder das Kind starb am 16.11. in der 20. SSW.
  4. Von 1982-1998 war die CDU/CSU mit Helmut Kohl als Bundeskanzler an der Regierung. - Die Opposition nutzte jede Gelegenheit um "aufzuzeigen", was momentan im Lande läuft, wie schlecht das Land regiert wird. - 12 Monate vor dem Unfall von Marion Ploch wurde in Stuttgart Max Siegel nach 9 Wochen Hirntod seiner Mutter lebend geboren. Damals nahm kaum jemand Notiz davon. Die knapp 6 Wochen Hirntod von Marion Ploch wurden hingegen politisch ausgeschlachtet.
  5. Der Verfasser des Abi-Referats schrieb dazu: "Seine Stellungnahme drückt wohl den überwiegenden Anteil der allgemeinen Kritik aus, denn es schien vielen sehr unglaubwürdig, dass es der Leib einer Toten war, der das Fieber entwickelte und daraufhin die Kontraktionen vollführte." - Dies zeigt auf, wie wichtig es ist, die BürgerInnen gut über den Hirntod aufzuklären.

Einzelnachweise

  1. Zeit. Kasse und künstliche Zeugung. (16.9.1983) In: http://www.zeit.de/1983/38/kasse-und-kuenstliche-zeugung Zugriff am 22.10.2016.
  2. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13681754.html (Spiegel 23.11.1992) Zugriff am 31.1.2014.
  3. a b c http://www.zeit.de/1992/45/schneewittchens-kind/seite-2 (Zeit 30.10.1992) Zugriff am 31.1.2014.
  4. http://www.zeit.de/1992/45/schneewittchens-kind/seite-3 (Zeit 30.10.1992) Zugriff am 30.1.2014.
  5. http://www.focus.de/gesundheit/news/erlangen-hirntote-bringt-kind-zur-welt_aid_443468.html (Focus 9.10.2009) Zugriff am 30.1.2014.
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Erlanger_Baby Zugriff am 30.1.2014.
  7. Schlake, Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen, Seite 82.
  8. Schlake, Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen, Seite 84.
  9. http://www.focus.de/kultur/medien/fernsehen-schneewittchens-baby_aid_148273.html (Focus 12.9.1994) Zugriff am 30.2.2014.
  10. http://www.kalenderblatt.de/index.php?what=thmanu&manu_id=1820&tag=16&monat=11&year=2013&dayisset=1&lang=de Zugriff am 30.1.2014.
  11. a b c d e https://de.wikipedia.org/wiki/Erlanger_Baby Zugriff am 30.1.2014.
  12. a b http://www.abipur.de/referate/stat/679076353.html Zugriff am 30.1.2014.
  13. a b http://www.kalenderblatt.de/index.php?what=thmanu&manu_id=1820&tag=16&monat=11&year=2013&dayisset=1&lang=de Zugriff am 30.1.2014.
  14. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13681754.html (Spiegel 23.11.1992) Zugriff am 31.1.2014.
  15. Gert Brüggemeier: Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich. Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft. Abteilung Rechtswissenschaft. Berlin 2006, 221f. In: https://books.google.de/books?id=Tj0MSDeBDzsC&pg=PA211&lpg=PA211&dq=%22atria+mortis%22+herz+lunge&source=bl&ots=LQGyHU9DRl&sig=lH-n9SBaPIXUnew1OjU9hSjkWTY&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwivgcfE_9_PAhUsKMAKHUCUC8YQ6AEIGzAC#v=onepage&q=%22atria%20mortis%22%20herz%20lunge&f=false Zugriff am 18.10.2016.