Aussagen über den Menschen

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Arnold Gehlen

Der Mensch

Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971.

"Das von nachdenkenden Menschen empfundene Bedürfnis nach einer Deutung des eigenen menschlichen Daseins ist kein bloß theoretisches Bedürfnis. Je nach den Entscheidungen, die eine solche Deutung enthält, werden Aufgaben sichtbar oder verdeckt. Ob sich der Mensch als Geschöpf Gottes versteht oder als arrivierten Affen, wird einen deutlichen Unterschied in seinem Verhalten zu wirklichen Tatsachen ausmachen; man wird in beiden Fällen auch in sich sehr verschiedene Befehle hören."[1]

"Die erster leitet den Menschen von Gott, die andere vom Tier ab. Aber die erste ist keine wissenschaftliche, und die zweite, wie wir sehen werden, gerade wissenschaftlich zweideutig."[2]

"Der Hauptgrund ist der: man bringt das 'Äußere' und das 'Innere' nicht zusammen. Morphologie und Psychologie, Leib und Seele bleiben für jede bisherige Betrachtung doch fremde Welten. Auch die allgemeine Behauptung: der Mensch ist eine Leib-Seele-Geist-Einheit muss abstrakt bleiben; ist ist zwar richtig, aber sie ist logisch nur verneinend: die Ablehnung des abstrakten Dualismus ist darin ausgesprochen. Über die positive Seite ist dagegen nichts gesagt. Diese Formel bleibt wie jede Ganzheitsformel abstrakt, sozusagen zu wahr, um richtig zu sein, und kann auf die nächste konkrete Frage von sich aus nichts antworten."[3]

"Ein weiterer Grund für das Misslingen anthropologischer Gesamttheorien ist folgender:: in eine solche Wissenschaft müßten mehrere Einzelwissenschaften eingehen: die Biologie, die Psychologie, die Erkenntnislehre, die Sprachwissenschaft, die Physiologie, die Soziologie usw. ... Es müssen sozusagen die Grenzen zwischen diesen Wissenschaften niedergerissen werden, aber in einer produktiven Weise."[4]

"Eine objektive Analyse eines Lebewesens kann nur biologisch verfahren, indem sie auch die seelischen und geistigen Lebenserscheinungen als Tatsache in Bezug auf andere Tatsachen untersucht."[5]

Bereits 1937 forderte Konrad Lorenz in seinem Artikel "Über die Bildung des Instinktbegriffs" eine neue Tierpsychologie. Weitere ähnliche Artikel von Konrad Lorenz folgten (Über den Begriff der Instinkthandlung (1937), Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung (1943), Psychologie und Stammesgeschichte (1943), Über das Töten von Artgenossen (1955)). Damit räumte Konrad Lorenz mit den alten Meinungen von Spencer, Lloyd und Morgan auf, dass der Instinkt die ontogenetische und phylogenetische Vorstufe der höheren geistigen Leistungen sei. Wenn ein Frosch zunächst mit seinen Augen eine Fliege fixiert und dann mit kleinen Schritten seinen ganzen Körper auf diese Fliege einstellt, bevor er zuschnappt, vollzieht er eine Orientierungsreaktion (Taxis). Wenn ein Fisch mit seinen Augen eine Mückenlarve fixiert und ansteuert, gleichzeitig aber einer dazuwischenliegenden Wasserpflanze ausweicht, löst er damit ein Raumproblem. Wenn der Schleimfisch Blennius auf seiner Flucht mit einem Auge den Feind im Blick behält, während er mit dem anderen Auge nach einem Schlupfwinkel sucht, so ist dies eine kognitive Leistung, zu der der Mensch nicht fähig ist. "Es besteht so ein fließender Übergang von den einfachen Orientierungsmechanismen zum einsichtigen Verhalten und zur Intelligenz."[6]

"Echte Instinkte dagegen sind Bewegungen oder besser sehr prägnante Bewegungsfiguren sehr spezieller Art, die auf Grund eines angeborenen Automatismus ablaufen und die von inneren endogenen Reizerzeugungsprozessen abhängig sind."[7]

"Morphologisch ist nämlich der Mensch im Gegensatz zu allen höheren Säugern hauptsächlich durch Mängel bestimmt, die jeweils im exakt biologischen sinne als Unangepaßtheiten, Unspezialisiertheiten, als Primitivismen, d.h. als Unterentwickeltes zu bezeichnen sind: also wesentlich negativ. Es fehlt das Haarkleid und damit der natürliche Witterungsschutz; es fehlen natürliche Angriffsorgane, aber auch eine zur Flucht geeignete Körperbildung; der Mensch wird von den meisten Tieren an Schärfe der Sinne übertroffen, er hat einen geradezu lebensgefährlichen Mangel an echten Instinkten und er unterliegt der ganzen Säuglings- und Kinderzeit einer ganz unvergleichlich langfristigen Schutzbedürftigkeit. Mit anderen Worten: innerhalb natürlicher, urwüchsiger Bedingungen würde er als bodenlebend inmitten der gewandtesten Fluchttiere und der gefährlichsten Raubtiere schon längst ausgerottet sein."[8]

Im zoologischen Institut in Rostock ließ man Zecken 18 Jahre hungern, und sie lebten weiter fort. "Ihre Lebensweise ist im organischen Bau vollkommen durchgeführt: die Samenzellen, die das eben beschriebene Zeckenweibchen während seiner Wartezeit beherbergt, bleiben in Samenkapseln gebündelt liegen, bis das Säugerblut in den Magen der Zecke gelangt; dann befreien sie sich und befruchten die Eier, die im Eierstock ruhten."[9]

Zecken können nur einen Geruch wahrnehmen, den von Buttersäure. Er geht von allen Säugetieren aus. Für Zecken besteht die Welt "nur aus Licht- und Wärmeempfindungen und aus einer einzigen Geruchsqualität. Es ist erwiesen, daß sie keinen Geschmacksinn hat. Ist ihre erste und einzige Mahlzeit zu Ende, so läßt sie sich zu Boden fallen, legt ihre Eier ab und stirbt."[10]

Manche Seeigel reagieren auf alle Verdunklungen mit einer abwehrenen Stachelbewegung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verdunklung von einem vorbeischweimmenden Fisch, dem Schatten eines Bootes oder von der Verdunklung der Sonne durch eine Wolke erfolgt. Ihr Lichtsinn ist arm, aber zweckmäßig.[11]

In der Umwelt der Pilgermuschel lebt ihr gefährlichster Feind, der Seestern Asterias. Solange sich der Seestern nicht bewegt, wirkt er nicht auf die Muschel. Sobald er sich jedoch bewegt, stößt die Pilgermuschel ihren langen Tentakel aus, die als Riechorgan dienen. Diese nähern sich dem Seestern, nimmt einen neuen Reiz auf, worauf die Muschel sich erhebt und davonschwimmt. Die Augen der Pilgermuschel können weder Form noch Farbe erkennen, sondern nur das langsame Bewegungstempo ihres Fressfeindes. Wenn dann das Geruchsmerkmal hinzukommt, erfoglt die Flucht.[12]

Hühner, die inmitten von Körner stehen, hören bei Verdunklung des Lichts auf zu picken und schlafen ein. Dies tun sie auch, wenn sie noch so hungrig sind und der Boden mit Körnern zugedeckt ist.[13]

Biozönese ist die Anpassung einer Lebensform an ihre Umgebung.[14]





Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 9.
  2. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 10.
  3. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 12.
  4. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 12.
  5. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 15.
  6. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 24.
  7. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 24.
  8. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 33.
  9. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 74.
  10. Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 74.
  11. Siehe: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 74.
  12. Siehe: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 75.
  13. Siehe: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 76.
  14. Siehe: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 9. Auflage. Frankfurt 1971, 77.