Gedächtnis

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Allgemeines

"Gedächtnis ist die Fähigkeit des Menschen und der Tiere, erworbene (erlernte) Informationen kurz- und langfristig zu speichern und auf Abruf zur Verfügung zu stellen."[1] Bei Kindern und Tieren erfolgt die Einspeicherung nonverbal, bei Erwachsenen verbal und nonverbal. Die Speicherung erfolgt abstrahiert, d.h. es werden nicht die Buchstaben gespeichert, sondern die Inhalte, und bei Abruf wieder verbalisiert.[1]

"Das Gedächtnis gliedert sich in drei Grundformen. Es wird unterschieden zwischen dem sensorischen Gedächtnis (Ultrakurzzeitgedächtnis), dem Arbeitsgedächtnis (Kurzzeitgedächtnis) und dem Langzeitgedächtnis."[2][1]

"Die Kurzzeiterinnerungen werden im Arbeitsgedächtnis verarbeitet und für die Speicherung im Langzeitgedächtnis vorbereitet oder wieder verworfen."[2]

Drei-Speicher-Modell

Gedächtnisformen nach Speckmann und Wittkowski:[3]

Funktion Reiz Speicherdauer
Sinnesorgan
Mustererkennung
Aufmerksamkeits-
zuwendung
sensorisches
Gedächtnis
Weniger als 1 Sekunde
Vergessen durch Verblassen
Zwischenspeicherung Kurzzeitgedächtnis
wiederholen
Sekunden bis Minuten,
je nach Anzahl der Wiederholungen.
"Vergessen durch Überschreiben"
mit neuen Informationen
Langzeitgedächtnis Langzeitspeicherung Tage bis Jahre
Vergessen durch Hemmung


sensorisches Gedächtnis

"Das sensorische Gedächtnis verarbeitet die direkte Reizwahrnehmung aus den Sinneskanälen und ermöglicht das direkte Wiedergeben der aufgenommenen Informationen. Das sensorische Gedächtnis kann diese Informationen aber nur wenige Sekunden speichern. Diese kurze Zeit reicht jedoch aus, dass die unterschiedlichen Informationen aus den verschiedenen Sinneskanälen zusammengeführt und sogar mit inneren Empfindungen (Gefühlen) verknüpft werden können."[4]

"Die Empfindungsfähigkeit entsteht über den somatosensorischen Kortex, der eine Landkarte der jeweiligen Körperoberfläche, jeweils eine auf der linken und eine auf der rechten Gehirnhälfte, beinhaltet."[4]

"Die unterschiedliche Gewichtung der Körperregionen auf der Landkarte des somatosensorischen Kortex ist hauptsächlich genetisch bedingt. Der Körper ist darauf ausgerichtet, dass bestimmte Bereiche empfindlicher sein müssen, damit bestimmte Körperregionen auch spezielle Bewegungen vollziehen können (z.B. das Gesicht oder die Finger). In diesen Regionen sind mehr Sinnesrezeptoren angelegt als an anderen Stellen des Körpers. Mehr Sinnesrezeptoren bedeuten mehr Übertragungsleitungen zum Kortex."[5]

Arbeitsgedächtnis

"Das Arbeitsgedächtnis ... bedienst sich dieser Informationen für die Weiterverarbeitung. Das Arbeitsgedächtnis hat nur eine begrenzte Speicherkapazität von sieben bzw. fünf plus oder minus zwei Elemente, der sogenannten 'chunks' ..., die es parallel verarbeiten kann."[4]

Langzeitgedächtnis

"Die Wahrnehmungsprozesse, die durch das Bewusstsein strukturiert werden, werden als Veränderung neuronaler Gruppen gespeichert, die dem Langzeitgedächtnis zur Verfügung stehen. Die bewussten Erinnerungen werden dabei im Langzeitgedächtnis durch die vier Bereiche (Hippokampus, medialer Thalamus, Basalkern, präfrontaler Kortex) verarbeitet, die als '... besonderer Aufnahmeapparat des Gehirns ...' agieren und bewusste Erinnerungen erzeugen."[6]

"Das Langzeitgedächtnis kann Ereignisse von vor einigen Minuten bis Jahrzehnten abrufen und erinnern."[2]

"Das Langzeitgedächtnis ... verfügt über eine große Speicherkapazität."[4]

Sonstiges

Lokalisation

"Die für den Speicher erforderlichen Hirnstrukturen sind nicht lokalisiert, sondern in die generalisierte Rindenfunktion integriert. Verlust von Hirnrindensubstanz, wo auch immer und bis zu 1%, führen nicht zum Verlust der Lern- und Speicherfähigkeit."[3]


Krankheiten

Wenn jemand an der Alzheimer-Krankheit erkrankt, wird er immer vergesslicher. Im Endstadium erkennt der Patient keinen Menschen und keine Gegenstände. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Gehirn Neuronen verliert. - Siehe: Alzheimer-Krankheit

Der Hippocompus ist für das Speichern der Informationen in das Langzeitgedächtnis zwingend notwendig. Patienten, bei denen der Hippocampus beschädigt oder aus therapeutischen Gründen entfernt wurde, leiden unter "anterograden Amnesie". Sie können sich kein neues Wissen aneignen. Sie können sich zwar Informationen im Kurzzeitgedächtnis merken und bestehendes Wissen aus dem Langzeitgedächtnis abrufen, aber sie können dort kein neues Wissen abspeichern.[7]

Psychosomatik

"Eric Kandel vertritt - wie Buchheim et al. (2008) bemerken - schon seit langem die Meinung, erfolgreiche Psychotherapie komme ähnlich wie medikamentöse Therapie auf der Ebene neuronaler Verschaltungen und Synapsen zur Wirkung (s. Kandel 1979; 1999). Tatsächlich lässt sich mit den modernen bildgebenden Verfahren (Positronenemissionstomographie und funktionelle Kernspintomographie) zeigen, wie sehr eine Psychotherapie von Angststörungen und Depressionen gewisse Hirnstrukturen (räfontaler Kortex, limbisches System) umstrukturiert, sofern sie Heilung bringt - manchmal sogar fast genauso wie ein Psychopharmakon (Grawe 2004; Schwartz u. Begley 2003; Schipek 2003). Infolgedessen kann der Erfolg einer Psychotherapie mit naturwissenschaftlichen Methoden objektiviert werden, wir gelangen zu einem neuen Verständnis zwischen Neurobiologie und Psychotherapie. Anschaulich gesagt: Psyche und Soma 'rücken gewissermaßen näher zusammen'."[8]


Infos

Sensorische Projektionszentren

Spiegelneuronen

"Die Spiegelneuronen sind in der Nähe des Brocazentrums angesiedelt. In dieser neuronalen Lage koordiniert das Gehirn über die Spiegelneuronen im Prozess der Nachahmung von z.B. Mimik und Gebärden auch die Sprachentwicklung."[9]

Neuroplastizität

Unter Neuroplastizität (neuronaler Plastizität) verstehen wir die Fähigkeit des ZNS, insbesondere des Gehirns, sich beständig den Erfordernissen des Gebrauchs optimal anzupassen. Dabei können neuronale Netzwerke reorganisiert werden, indem neue synaptische Verbindungen zwischen den Neuronen geknüpft und bereits bestehende gelöst werden. Nach Manfred Spitzer sterben wir "im Laufe des gesamten Lebens einen langsamen Tod ..., ohne wesentliche Veränderungen, ganz zu schweigen von weiterem Wachstum". Doch unser Gehirn ist ein höchst flexibles Organ: Michael Merzenich implantierte Patienten, die aufgrund einer Innenohrerkrankung taub wurden, ein Chchlea-Implantat. Die frisch operierten Patienten hörten wochenlang nur irritierende Geräusche. Nach einem Jahr konnten jedoch einige Patienten längere Telefongespräche führen. Dies war nur dadurch möglich, weil im Gehirn ein massiver Umbauprozess stattgefunden hat, wobei die Patienten gelernt haben, die ungewohnten elektrischen Signale des Implantats richtig zu interpretieren.[10]

Laurie von Melchner und Mitarbeiter durchtrennten bei neugeborenen Frettchen den Sehnerv, der sich jedoch regenerierte, jedoch nicht mit dem Sehzentrum zusammenwuchs, sondern mit dem Hörzentrum im Schläfenlappen. Dies führte nicht dazu, dass das Frettchen Lichtsignale als Töne interpretierte, sondern es lernte mit dem Hörzentrum zu sehen. Hierzu hat sich diese Hirnregion zu einem Sehzentrum umorganisiert. Dies ist ein beeindruckendes Beispiel für die Plastizität des Nervensystems und seine Fähigkeit zur Selbstorganisation.[11]

Untersuchungen haben gezeigt, dass das Sehzentrum reagiert, wenn Blinde die Blindenschrift "Braille" lesen.[12]

Linke und rechte Hirnhälfte

In den 1960-er und 1970-er Jahren untersuchten Roger Sperry und Michael Gazzaniga Epileptier, bei denen aus therapeutischen Gründen der Balken operativ durchtrennt wurde. Damit waren die beiden Hirnhälften getrennt (Split brain). Wenn der Operierte nun im rechten Gesichtsfeld ein Apfel präsentiert bekam, sagte er, dass er einen Apfel sehe. Das rechte Auge liefert seine Informationen in die linke Hirnhälfte. Dort ist auch das Sprachzentrum. Wurde jedoch der Apfel im linken Gesichtsfeld präsentiert, sagte der Operierte, dass er nichts Bestimmtes sehe. Dies lag daran, dass die visuelle Information "Apfel" im rechten Sehzentrum nicht mehr über die Brücke zum Sprachzentrum gelangen konnte. Als jedoch ein Aktfoto im linken Gesichtsfeld gezeigt wurde, reagierten die Operierten sofort emotional. Sie erröteten, kicherten verlegen, hatten ein komisches Gefühl, ohne dafür einen Grund angeben zu können.[13]

Tierversuche

Ratten, die nach der Geburt der Mutter weggenommen und ohne Sozialkontakten mit anderen Ratten und ohne jede Anregung aufgewachsen sind, wiesen in ihrer Hirnrinde eine geringere Synapsendichte auf. Diese Ratten waren verhaltensgestört und besonders stressempfindlich. Umgekehrt sind ausgewachsene Ratten, die nach der Geburt besonders gehätschelt und gepflegt wurden, sehr viel mutiger und stressresistenter als Kontrolltiere des gleichen Stammes.[14] [15]

Anhang

Quellen

Sonja Damen: Wie entsteht Bedeutung in der präverbalen Entwicklungsphase des Kleinkindes? Analyse kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bildung einer Theorie der Bedeutungsentwicklung. Köln 2012. (humanw. Diss.) http://unimedia.uni-koeln.de/2013/Humanwissenschaften/Diss_Damen_2013.pdf Zugriff am 2.2.2016.

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. a b c Hermann Bünte, Klaus Bünte: Das Spektrum der Medizin. Illustriertes Handbuch von den Grundlagen bis zur Klinik. Stuttgart 2004, 1553.
  2. a b c Sonja Damen: Wie entsteht Bedeutung in der präverbalen Entwicklungsphase des Kleinkindes? Analyse kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bildung einer Theorie der Bedeutungsentwicklung. Köln 2012, 79. (humanw. Diss.) http://unimedia.uni-koeln.de/2013/Humanwissenschaften/Diss_Damen_2013.pdf Zugriff am 2.2.2016.
  3. a b Hermann Bünte, Klaus Bünte: Das Spektrum der Medizin. Illustriertes Handbuch von den Grundlagen bis zur Klinik. Stuttgart 2004, 1554.
  4. a b c d Sonja Damen: Wie entsteht Bedeutung in der präverbalen Entwicklungsphase des Kleinkindes? Analyse kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bildung einer Theorie der Bedeutungsentwicklung. Köln 2012, 80. (humanw. Diss.) http://unimedia.uni-koeln.de/2013/Humanwissenschaften/Diss_Damen_2013.pdf Zugriff am 2.2.2016.
  5. Sonja Damen: Wie entsteht Bedeutung in der präverbalen Entwicklungsphase des Kleinkindes? Analyse kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bildung einer Theorie der Bedeutungsentwicklung. Köln 2012, 81. (humanw. Diss.) http://unimedia.uni-koeln.de/2013/Humanwissenschaften/Diss_Damen_2013.pdf Zugriff am 2.2.2016.
  6. Sonja Damen: Wie entsteht Bedeutung in der präverbalen Entwicklungsphase des Kleinkindes? Analyse kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bildung einer Theorie der Bedeutungsentwicklung. Köln 2012, 78. (humanw. Diss.) http://unimedia.uni-koeln.de/2013/Humanwissenschaften/Diss_Damen_2013.pdf Zugriff am 2.2.2016.
  7. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 20.
  8. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 27.
  9. Sonja Damen: Wie entsteht Bedeutung in der präverbalen Entwicklungsphase des Kleinkindes? Analyse kognitions- und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bildung einer Theorie der Bedeutungsentwicklung. Köln 2012, 59. (humanw. Diss.) http://unimedia.uni-koeln.de/2013/Humanwissenschaften/Diss_Damen_2013.pdf Zugriff am 2.2.2016.
  10. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 19.
  11. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 18f.
  12. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 19.
  13. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 17.
  14. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 21.
  15. J. Caspar Rüegg: Gehirn, Psyche und Körper. Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie. 5. Aufl. Stuttgart 2011, 21.