Scheintod: Unterschied zwischen den Versionen

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1792 wurde in Weimar das erster Leichenhaus vom Aufklärer Christoph Wilhelm Hufeland eröffnet, um den Hirntod zu entlarven. Hierüber gibt es eine detailgetreue Beschreibung: "In Weimar fand die Idee so allgemeinen Beifall, dass ohne Schwierigkeiten eine Subscription zur Eröffnung eines Leichenhauses zu Stande kam, die so gut ausfiel, dass ein Leichenhaus nach HUFELAND's [i. Orig. hervorgehoben] Angaben und unter seiner Aufsicht gebaut werden konnte. Es lag auf dem alten Gottesacker und enthielt ein grosses Zimmer, worin acht Leichen bequem liegen konnten. Es wurde durch Ofenröhren, welche unter dem Fußboden lagen, erwärmt und war mit Zugröhren versehen, um eine beständige Lufterneuerung hervorzubringen. Neben diesem grösseren Zimmer befand sich eine Stube für den Wächter mit einem Glasfenster in der Thür zur Beobachtung der Leichen. Diese Zimmer hatten eine Höhe von 12 Fuss, die Decke derselben war gewölbt. Eine Küche diente zur Bereitung der nötigen Hülfsmittel und namentlich warmer Bäder, wenn sich ja wiederkehrende Lebenszeichen darthun sollten. Damit keine, auch nicht die geringsten Zeichen des wiederkehrenden Lebens verloren gingen, bekamen die Wächter nicht allein eine sehr genaue Instruction, sondern es wurden auch Prämien für den ersten, der solche entdeckte, ausgesetzt. Um aber den Scheintodten es möglichst zu erleichtern, etwaige Zeichen von Leben von sich zu geben, wurden Hände und Füsse jedes Todten mit Fäden in Verbindung gesetzt, deren geringste Erschütterung sich durch eine damit verbundene Schelle hörbar machte."<ref name="n-f">http://www.n-fischer.de/tod_geschichte_3.html Zugriff am 2.9.2015.</ref>
=== Reanimation ===
[https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Vesalius Andreas Vesal] beschrieb 1543 in seiner "corporis fabrica" ein Beatmungsexperiment, das er an einem Hund vollzog. <ref name="uni">http://pub.uni-bielefeld.de/luur/download?func=downloadFile&recordOId=2301553&fileOId=2301559 Zugriff am 2.9.2015.</ref>


Andere Städte zogen nach. Doch die Bevölkerung hielt lieber am Glauben an den Scheintod fest, als dass sie ihre Toten in die Leichenhallen brachten. So wurde 1885 in Frankfurt/Main etwa 5% der Toten von der Leichenhalle aus bestattet, im Jahr 1892 - nach Bau einer neuen Leichenhalle - bereits 60%.<ref name="n-f"></ref> Einige Städte verbanden die Aufbahrung in einer Leichenhalle auch mit einer Prämie für den ersten Fall eines Scheintoten.  
[https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Adolph_August_Struve August Struve] schrieb 1797 über die Medizin seiner Zeit: Die "Arzneikunde hat keinen grössern Triumph über alle ihre Feinde, als die in unserm Zeitalter immer mehr vervollkommnete Kunst, Scheintodte zu beleben." <ref name="uni"></ref>
 
 
 
=== Leichenhäuser ====
==== Bau der Leichenhäuser ====
1792 wurde in Weimar das erster [https://de.wikipedia.org/wiki/Leichenhaus Leichenhaus] vom Aufklärer [https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Wilhelm_Hufeland Christoph Wilhelm Hufeland] eröffnet, um den [https://de.wikipedia.org/wiki/Scheintod Scheintod] zu entlarven. Hierüber gibt es eine detailgetreue Beschreibung: "In Weimar fand die Idee so allgemeinen Beifall, dass ohne Schwierigkeiten eine Subscription zur Eröffnung eines Leichenhauses zu Stande kam, die so gut ausfiel, dass ein Leichenhaus nach HUFELAND's [i. Orig. hervorgehoben] Angaben und unter seiner Aufsicht gebaut werden konnte. Es lag auf dem alten Gottesacker und enthielt ein grosses Zimmer, worin acht Leichen bequem liegen konnten. Es wurde durch Ofenröhren, welche unter dem Fußboden lagen, erwärmt und war mit Zugröhren versehen, um eine beständige Lufterneuerung hervorzubringen. Neben diesem grösseren Zimmer befand sich eine Stube für den Wächter mit einem Glasfenster in der Thür zur Beobachtung der Leichen. Diese Zimmer hatten eine Höhe von 12 Fuss, die Decke derselben war gewölbt. Eine Küche diente zur Bereitung der nötigen Hülfsmittel und namentlich warmer Bäder, wenn sich ja wiederkehrende Lebenszeichen darthun sollten. Damit keine, auch nicht die geringsten Zeichen des wiederkehrenden Lebens verloren gingen, bekamen die Wächter nicht allein eine sehr genaue Instruction, sondern es wurden auch Prämien für den ersten, der solche entdeckte, ausgesetzt. Um aber den Scheintodten es möglichst zu erleichtern, etwaige Zeichen von Leben von sich zu geben, wurden Hände und Füsse jedes Todten mit Fäden in Verbindung gesetzt, deren geringste Erschütterung sich durch eine damit verbundene Schelle hörbar machte."<ref name="n-f">http://www.n-fischer.de/tod_geschichte_3.html Zugriff am 2.9.2015.</ref>
 
Andere Städte zogen nach. Beim Bau des Währinger Ortsfriedhof wurde 1828 ein ähnlicher "Rettungswecker" für Scheintote verwendet. Selbstmörder wurden an die Apparate nicht angeschlossen. Für den Wärter stand für die Wiederbelebung das gesamte intensivmedizinische Repertoire des 19. Jh. zur Verfügung: "Aufstellen eines galvanischen Rotationsapparates, einen auf einer Tasse sich befindlichen Schnellsieder sammt einer Flasche Wasser, Spiritus, einer gleichnamigen Lampe und Zundhölzchen, ein Kästchen mit starkem Riechmittel als Salmiakgeist, Essigäther usw., ein Kästchen mit aromatischen Tinkturen, gestoßenem Zucker und aromatischen Teesorten, Senfmehl, das in mehrere breite Leinwandstreifen eingewickelt ist, um dieselben sogleich bei der Hand zu haben, einige Bouteillen feurigen Weines und Zwieback, Klystierspritzen, Frottierbürsten, Wärmeflaschen, Flanell- und Leinwandstreifen, Aderlaßlanzetten, Blutegel, zwei Flanellmäntel, mehrere Löffel und Messer und einen bequemen Schlafsessel."<ref>http://www.springermedizin.at/artikel/6215-der-tod-muss-ein-wiener-sein-altes-medizinisches-wien-51 Zugriff am 2.9.2015.</ref>
 
1834 wurde in [https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwigslust Ludwigslust] ein Leichenhaus errichtet, in dem ab 1845 der Totengräber wohnte, um einem möglicherweise "Erwachendem" die Chance zu bieten, eine Verbindung mit der Außenwelt aufzunehmen, denn gab in weiten Kreisen eine Furcht vor dem "lebendig-begraben-werdend".<ref>http://pix.kirche-mv.de/fileadmin/elkm/propstei_parchim/ludwigslust/friedhof/geschichte_friedhof_ludwigslust_internet.pdf Zugriff am 2.9.2015.</ref>
 
Doch die Bevölkerung hielt lieber am Glauben an den Scheintod fest, als dass sie ihre Toten in die Leichenhallen brachten. Die Aufbahrung in den Leichenhäusern ging z.T. sehr schleppend voran. So wurde 1885 in Frankfurt/Main etwa 5% der Toten von der Leichenhalle aus bestattet, im Jahr 1892 - nach Bau einer neuen Leichenhalle - bereits 60%.<ref name="n-f"></ref> Einige Städte verbanden die Aufbahrung in einer Leichenhalle auch mit einer Prämie für den ersten Fall eines Scheintoten.  


Prof. Norbert Fischer schreibt in seiner Arbeit über "Tod und Bestattung" im Kapitel "Zwischen Vernunftdenken und emotionalem Pathos" über diese Erscheinung des 18. und 19.Jh.: "Wenn es auch kaum wirklich überprüfbare Fälle von wiederauferstandenen Scheintoten gab, so bemühte man sich von aufgeklärter Seite um 'Entdämonisierung'. Beruhigend wirkten hier behördliche Vorschriften über den zeitlichen Ablauf der Bestattung und geregelte Leichenschauen."<ref name="n-f"></ref>
Prof. Norbert Fischer schreibt in seiner Arbeit über "Tod und Bestattung" im Kapitel "Zwischen Vernunftdenken und emotionalem Pathos" über diese Erscheinung des 18. und 19.Jh.: "Wenn es auch kaum wirklich überprüfbare Fälle von wiederauferstandenen Scheintoten gab, so bemühte man sich von aufgeklärter Seite um 'Entdämonisierung'. Beruhigend wirkten hier behördliche Vorschriften über den zeitlichen Ablauf der Bestattung und geregelte Leichenschauen."<ref name="n-f"></ref>
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Über ihren Zusammenhang mit der grassierenden Furcht vor dem Scheintod hieß es in einer zeitgenössischen Schrift von 1796: "Zur wahren Verbesserung und der einzig guten Anstalt in dieser wichtigen Sache war der erste Schritt der, dass man allzu frühe Beerdigungen auf das feierlichste verbot. Aber da die Kennzeichen des Todes so trüglich sind, ... so fiel man endlich auf das sicherste unfehlbarste Rettungsmittel, auf Leichenhäuser. Hier muss sich der gebundene Lebenszustand zum Erwachen oder zum wirklichen Tod auflösen; hier ist schlechterdings kein Mensch mehr der Gefahr ausgesetzt, lebendig eingescharrt zu werden; denn hier werden die Leichen in offenen Särgen, unter der Aufsicht unterrichteter und beeidigter Wächter, so lange hingestellt, bis über die Gewissheit des Todes bey den Aerzten kein Zweifel mehr übrig seyn kann."<ref name="n-f"></ref>
Über ihren Zusammenhang mit der grassierenden Furcht vor dem Scheintod hieß es in einer zeitgenössischen Schrift von 1796: "Zur wahren Verbesserung und der einzig guten Anstalt in dieser wichtigen Sache war der erste Schritt der, dass man allzu frühe Beerdigungen auf das feierlichste verbot. Aber da die Kennzeichen des Todes so trüglich sind, ... so fiel man endlich auf das sicherste unfehlbarste Rettungsmittel, auf Leichenhäuser. Hier muss sich der gebundene Lebenszustand zum Erwachen oder zum wirklichen Tod auflösen; hier ist schlechterdings kein Mensch mehr der Gefahr ausgesetzt, lebendig eingescharrt zu werden; denn hier werden die Leichen in offenen Särgen, unter der Aufsicht unterrichteter und beeidigter Wächter, so lange hingestellt, bis über die Gewissheit des Todes bey den Aerzten kein Zweifel mehr übrig seyn kann."<ref name="n-f"></ref>


==== Kritik an den Leichenhäusern ====
Der Darmstädter Medizinalrat Karl Graff rekapituliert z. B. 1837 in seiner Kritik über die Notwendigkeit von Leichenhäusern, es sei in keiner dieser Einrichtungen in Deutschland auch nur "ein einziger Fall von Erwachen oder Wiedererwecken eines Scheintoten bekannt geworden". <ref name="uni"></ref>
=== Aussagen zum Scheintod ===
==== Aussagen des 19. Jh. ====
Krünitz schrieb um 1800 in seiner Encyclopädie in Bd. 73 unter dem Stichwort "Leiche" über Sterben und Tod: "Nicht Medicamente, nicht der Arzt und seine Kunst heilen die Menschen von Krankheiten ... sondern es thut der Mensch selbst, vermöge der in ihm liegenden stets wirksamen Bestrebung, seine zerütteten Theile wieder herzustellen ... damit die Natur desto ungehinderter wirken könne [...]. Alles in unserm Körper beruhet auf Bewegung, und die Hauptursache dieser Bewegung entsteht aus den physischen und mechanischen Kräften, welche in den festen Theilen sich finden. Würde nun schon die mechanische Bewegung im Körper aufhören, wie z. B. das Athemholen ist, so lehret die Erfahrung, daß dennoch die physischen Kräfte verschiedentlich zurückbleiben und in einigen Theilen sich zeigen. Hierher gehört jeder Musikel, so wie auch das Herz ... wenn letztere auch schon aus dem Körper genommen worden, so setzen sie dennoch ihre wurmförmige Bewegung einige Zeit fort ... Ist die Möglichkeit der mechanischen Bewegung geblieben – sind die Organe des Körpers noch unverletzt – und ist physische Kraft noch vorhanden: so ist auch das Vermögen, alle Bewegung weider anzufangen, noch nicht erstorben. ... Dieses aber bey einer vorhandenen Leiche, welche besonders noch volkkomene Organe hat, sogleich zu bestimmen und auszumachen, ist unmöglich, und es gründet sich hierauf die Betrüglichkeit der angegebenen gewöhnlichen Kennzeichen einer vollkommenen Leiche ... Hieraus ist das wichtige Resultat fest zu setzen, daß der Tod des Menschen keine plötzliche Verwandlung, kein Werk des Augenblicks, sondern ein stufenweiser Übergang aus dem Zustande des wirklichen Lebens in den des gebundenen, oder Scheintodes, sey: und durch diesen tritt der totale Verlust aller Lebenskraft, der vollkommene Tod erst ein ... Ja sogar die Fäulniß kann ausbleiben, und doch ist der Mensch todt. Wiederum kann sie vorhanden seyn, und der Mensch lebt noch". <ref name="uni"></ref>
[https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Wilhelm_Hufeland Christoph Wilhelm Hufeland] entwickelte über das Sterben eine 3-Stufen-Theorie. <ref name="uni"></ref>
[https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Wilhelm_Hufeland Christoph Wilhelm Hufeland] nannte 1783 in seiner Schrift "Über die Ungewissheit des Todes" das Beispiel von einem Ertrunkenen: Der Nichtmediziner, der einen Ertrunkenen findet, hält diesen meist für tot, „da man annimmt, der Todt erfolge in dem Moment als das Athemholen nachlasse." <ref name="uni"></ref> Mit dieser Schrift wollte er den Glauben an den Scheintod zerstören, erreichte jedoch das Gegenteil.
Der Dramatiker [https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Nestroy Johann Nestroy] (1801-1862) hielt nicht viel von den ärztlichen Todesfeststellungen des 19. Jh., denn er schrieb: "... die medizinische Wissenschaft ist leider noch in einem Stadium, daß die Doktoren, selbst wenn sie einen umgebracht haben, nicht einmal gewiß wissen, ob er tot ist, der Patient."<ref>http://www.springermedizin.at/artikel/6215-der-tod-muss-ein-wiener-sein-altes-medizinisches-wien-51 Zugriff am 2.9.2015.</ref>




Der frz. Biologe Jean Rostand vertrat Mitte der 1960er Jahre die Auffassung: "Ein Mensch, der 1966 als tot gilt, wird vielleicht unter gleichen Umständen im Jahre 2000 noch nicht für tot erklärt."<ref name="sp">http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46196251.html Zugriff am 22.8.2015.</ref>
==== Aussagen des 20. Jh. ====


Der frz. Biologe [https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Rostand Jean Rostand] (1894-1977) vertrat Mitte der 1960er Jahre die Auffassung: "Ein Mensch, der 1966 als tot gilt, wird vielleicht unter gleichen Umständen im Jahre 2000 noch nicht für tot erklärt."<ref name="sp">http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46196251.html Zugriff am 22.8.2015.</ref>


=== Fälle von Scheintod ===
==== Scheintote im 20. Jh. ====
==== Scheintote im 20. Jh. ====
1964 wurde in England der Fall John Higgins gemeldet. Er soll 10 Mal für tot gehalten worden ein. 3 Mal wachte Higgins erst wieder in der Leichenhalle auf.<ref name="sp"></ref>
1964 wurde in England der Fall John Higgins gemeldet. Er soll 10 Mal für tot gehalten worden ein. 3 Mal wachte Higgins erst wieder in der Leichenhalle auf.<ref name="sp"></ref>

Version vom 31. August 2015, 16:09 Uhr

Reanimation

Andreas Vesal beschrieb 1543 in seiner "corporis fabrica" ein Beatmungsexperiment, das er an einem Hund vollzog. [1]

August Struve schrieb 1797 über die Medizin seiner Zeit: Die "Arzneikunde hat keinen grössern Triumph über alle ihre Feinde, als die in unserm Zeitalter immer mehr vervollkommnete Kunst, Scheintodte zu beleben." [1]


Leichenhäuser =

Bau der Leichenhäuser

1792 wurde in Weimar das erster Leichenhaus vom Aufklärer Christoph Wilhelm Hufeland eröffnet, um den Scheintod zu entlarven. Hierüber gibt es eine detailgetreue Beschreibung: "In Weimar fand die Idee so allgemeinen Beifall, dass ohne Schwierigkeiten eine Subscription zur Eröffnung eines Leichenhauses zu Stande kam, die so gut ausfiel, dass ein Leichenhaus nach HUFELAND's [i. Orig. hervorgehoben] Angaben und unter seiner Aufsicht gebaut werden konnte. Es lag auf dem alten Gottesacker und enthielt ein grosses Zimmer, worin acht Leichen bequem liegen konnten. Es wurde durch Ofenröhren, welche unter dem Fußboden lagen, erwärmt und war mit Zugröhren versehen, um eine beständige Lufterneuerung hervorzubringen. Neben diesem grösseren Zimmer befand sich eine Stube für den Wächter mit einem Glasfenster in der Thür zur Beobachtung der Leichen. Diese Zimmer hatten eine Höhe von 12 Fuss, die Decke derselben war gewölbt. Eine Küche diente zur Bereitung der nötigen Hülfsmittel und namentlich warmer Bäder, wenn sich ja wiederkehrende Lebenszeichen darthun sollten. Damit keine, auch nicht die geringsten Zeichen des wiederkehrenden Lebens verloren gingen, bekamen die Wächter nicht allein eine sehr genaue Instruction, sondern es wurden auch Prämien für den ersten, der solche entdeckte, ausgesetzt. Um aber den Scheintodten es möglichst zu erleichtern, etwaige Zeichen von Leben von sich zu geben, wurden Hände und Füsse jedes Todten mit Fäden in Verbindung gesetzt, deren geringste Erschütterung sich durch eine damit verbundene Schelle hörbar machte."[2]

Andere Städte zogen nach. Beim Bau des Währinger Ortsfriedhof wurde 1828 ein ähnlicher "Rettungswecker" für Scheintote verwendet. Selbstmörder wurden an die Apparate nicht angeschlossen. Für den Wärter stand für die Wiederbelebung das gesamte intensivmedizinische Repertoire des 19. Jh. zur Verfügung: "Aufstellen eines galvanischen Rotationsapparates, einen auf einer Tasse sich befindlichen Schnellsieder sammt einer Flasche Wasser, Spiritus, einer gleichnamigen Lampe und Zundhölzchen, ein Kästchen mit starkem Riechmittel als Salmiakgeist, Essigäther usw., ein Kästchen mit aromatischen Tinkturen, gestoßenem Zucker und aromatischen Teesorten, Senfmehl, das in mehrere breite Leinwandstreifen eingewickelt ist, um dieselben sogleich bei der Hand zu haben, einige Bouteillen feurigen Weines und Zwieback, Klystierspritzen, Frottierbürsten, Wärmeflaschen, Flanell- und Leinwandstreifen, Aderlaßlanzetten, Blutegel, zwei Flanellmäntel, mehrere Löffel und Messer und einen bequemen Schlafsessel."[3]

1834 wurde in Ludwigslust ein Leichenhaus errichtet, in dem ab 1845 der Totengräber wohnte, um einem möglicherweise "Erwachendem" die Chance zu bieten, eine Verbindung mit der Außenwelt aufzunehmen, denn gab in weiten Kreisen eine Furcht vor dem "lebendig-begraben-werdend".[4]

Doch die Bevölkerung hielt lieber am Glauben an den Scheintod fest, als dass sie ihre Toten in die Leichenhallen brachten. Die Aufbahrung in den Leichenhäusern ging z.T. sehr schleppend voran. So wurde 1885 in Frankfurt/Main etwa 5% der Toten von der Leichenhalle aus bestattet, im Jahr 1892 - nach Bau einer neuen Leichenhalle - bereits 60%.[2] Einige Städte verbanden die Aufbahrung in einer Leichenhalle auch mit einer Prämie für den ersten Fall eines Scheintoten.

Prof. Norbert Fischer schreibt in seiner Arbeit über "Tod und Bestattung" im Kapitel "Zwischen Vernunftdenken und emotionalem Pathos" über diese Erscheinung des 18. und 19.Jh.: "Wenn es auch kaum wirklich überprüfbare Fälle von wiederauferstandenen Scheintoten gab, so bemühte man sich von aufgeklärter Seite um 'Entdämonisierung'. Beruhigend wirkten hier behördliche Vorschriften über den zeitlichen Ablauf der Bestattung und geregelte Leichenschauen."[2]

Über ihren Zusammenhang mit der grassierenden Furcht vor dem Scheintod hieß es in einer zeitgenössischen Schrift von 1796: "Zur wahren Verbesserung und der einzig guten Anstalt in dieser wichtigen Sache war der erste Schritt der, dass man allzu frühe Beerdigungen auf das feierlichste verbot. Aber da die Kennzeichen des Todes so trüglich sind, ... so fiel man endlich auf das sicherste unfehlbarste Rettungsmittel, auf Leichenhäuser. Hier muss sich der gebundene Lebenszustand zum Erwachen oder zum wirklichen Tod auflösen; hier ist schlechterdings kein Mensch mehr der Gefahr ausgesetzt, lebendig eingescharrt zu werden; denn hier werden die Leichen in offenen Särgen, unter der Aufsicht unterrichteter und beeidigter Wächter, so lange hingestellt, bis über die Gewissheit des Todes bey den Aerzten kein Zweifel mehr übrig seyn kann."[2]

Kritik an den Leichenhäusern

Der Darmstädter Medizinalrat Karl Graff rekapituliert z. B. 1837 in seiner Kritik über die Notwendigkeit von Leichenhäusern, es sei in keiner dieser Einrichtungen in Deutschland auch nur "ein einziger Fall von Erwachen oder Wiedererwecken eines Scheintoten bekannt geworden". [1]


Aussagen zum Scheintod

Aussagen des 19. Jh.

Krünitz schrieb um 1800 in seiner Encyclopädie in Bd. 73 unter dem Stichwort "Leiche" über Sterben und Tod: "Nicht Medicamente, nicht der Arzt und seine Kunst heilen die Menschen von Krankheiten ... sondern es thut der Mensch selbst, vermöge der in ihm liegenden stets wirksamen Bestrebung, seine zerütteten Theile wieder herzustellen ... damit die Natur desto ungehinderter wirken könne [...]. Alles in unserm Körper beruhet auf Bewegung, und die Hauptursache dieser Bewegung entsteht aus den physischen und mechanischen Kräften, welche in den festen Theilen sich finden. Würde nun schon die mechanische Bewegung im Körper aufhören, wie z. B. das Athemholen ist, so lehret die Erfahrung, daß dennoch die physischen Kräfte verschiedentlich zurückbleiben und in einigen Theilen sich zeigen. Hierher gehört jeder Musikel, so wie auch das Herz ... wenn letztere auch schon aus dem Körper genommen worden, so setzen sie dennoch ihre wurmförmige Bewegung einige Zeit fort ... Ist die Möglichkeit der mechanischen Bewegung geblieben – sind die Organe des Körpers noch unverletzt – und ist physische Kraft noch vorhanden: so ist auch das Vermögen, alle Bewegung weider anzufangen, noch nicht erstorben. ... Dieses aber bey einer vorhandenen Leiche, welche besonders noch volkkomene Organe hat, sogleich zu bestimmen und auszumachen, ist unmöglich, und es gründet sich hierauf die Betrüglichkeit der angegebenen gewöhnlichen Kennzeichen einer vollkommenen Leiche ... Hieraus ist das wichtige Resultat fest zu setzen, daß der Tod des Menschen keine plötzliche Verwandlung, kein Werk des Augenblicks, sondern ein stufenweiser Übergang aus dem Zustande des wirklichen Lebens in den des gebundenen, oder Scheintodes, sey: und durch diesen tritt der totale Verlust aller Lebenskraft, der vollkommene Tod erst ein ... Ja sogar die Fäulniß kann ausbleiben, und doch ist der Mensch todt. Wiederum kann sie vorhanden seyn, und der Mensch lebt noch". [1]

Christoph Wilhelm Hufeland entwickelte über das Sterben eine 3-Stufen-Theorie. [1]

Christoph Wilhelm Hufeland nannte 1783 in seiner Schrift "Über die Ungewissheit des Todes" das Beispiel von einem Ertrunkenen: Der Nichtmediziner, der einen Ertrunkenen findet, hält diesen meist für tot, „da man annimmt, der Todt erfolge in dem Moment als das Athemholen nachlasse." [1] Mit dieser Schrift wollte er den Glauben an den Scheintod zerstören, erreichte jedoch das Gegenteil.


Der Dramatiker Johann Nestroy (1801-1862) hielt nicht viel von den ärztlichen Todesfeststellungen des 19. Jh., denn er schrieb: "... die medizinische Wissenschaft ist leider noch in einem Stadium, daß die Doktoren, selbst wenn sie einen umgebracht haben, nicht einmal gewiß wissen, ob er tot ist, der Patient."[5]


Aussagen des 20. Jh.

Der frz. Biologe Jean Rostand (1894-1977) vertrat Mitte der 1960er Jahre die Auffassung: "Ein Mensch, der 1966 als tot gilt, wird vielleicht unter gleichen Umständen im Jahre 2000 noch nicht für tot erklärt."[6]

Fälle von Scheintod

Scheintote im 20. Jh.

1964 wurde in England der Fall John Higgins gemeldet. Er soll 10 Mal für tot gehalten worden ein. 3 Mal wachte Higgins erst wieder in der Leichenhalle auf.[6]

1966 wurde an der 71-jährigen New Yorker Krankenschwester Henrietta Landau der Totenschein ausgefüllt. Im Beerdigungsinstitut kam sie wieder zu sich.[6]

Am 26.7.1967 trat der 22-jährige US-Soldat Jacky Bayne im Vietnamkrieg auf eine Mine. Im Lazarett versuchten die Ärzte, ihn am Leben zu halten. Nach 45 Minuten gaben sie auf. Das EKG zeigte keinen Ausschlag. Jacky Bayne kam in die Leichenhalle. Später wollte ihn ein Wärter einbalsamieren und stellte schwache Pulsschläge am Oberschenkel fest. Sofort wurden alle Reanimationsmaßnahmen wieder aufgenommen. Nach 3 Wochen Bewusstlosigkeit kam Jacky Bayne wieder ins Leben zurück. Er trug nur leichte Sprachstörungen davon. Sein zerfetztes rechtes Bein musste hingegen amputiert werden.[6]


Scheintote im 21. Jh.

März 2015 stellte in einem Gelsenkirchener Pflegeheim die Pflegefachkraft an einer 92-jährigen Bewohnerin weder Atmung noch Puls fest. Hierauf rief sie einen Arzt, der schließlich den Totenschein ausfüllte. Die 92-Jährige wurde vom Bestatter abgeholt und schlug bei ihm plötzlich die Augen auf. Es war vom Arzt die Leichenschau nicht ordentlich durchgeführt worden. 2 Tage später starb die Oma im Krankenhaus.[7]

Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise