Lazarus-Phänomen

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Unterschiedliche Definitionen

International gibt es 2 unterschiedliche Inhalte für die Bezeichnung „Lazarus-Zeichen“, zuweilen auch „Lazarus-Phänomen“ bezeichnet:

  • In der internationalen Literatur wird der Begriff vorrangig für das spontane Wiedereinsetzen einer Kreislauffunktion eines für tot gehaltenen Menschen verwendet, d.h. nach der Beendigung der als erfolglos aufgegebenen Reanimation.
  • Im deutschsprachigen Raum wird dieser Begriff für scheinbare Lebenszeichen von Hirntoten verwendet. Dabei kann es sich um spontane wie auch reflektorische Bewegungen handeln.

Die Namensgebung erfolgte durch das 11. Kapitel des Johannes-Evangeliums. Es berichtet von der Erweckung des schon seit 4 Tagen toten Lazarus durch Jesus. In Anlehnung an diese Totenerweckung werden motorische Bewegungen eines Toten als "Lazarus-Zeichen" oder "Lazarus-Phänomen" bezeichnet.

Medizinische Erklärung

Johann Friedrich Splittler schreibt in seinem Buch "Gehirn, Tod und Menschenbild" über das Lazarus-Phänomen: "Das Lazarus-Phänomen tritt also offensichtlich in diesem Sauerstoffmangel als enthemmende Entladung vieler Rückenmarkszellen auf und besteht in einer Beugung der Beine in den Hüft- und Kniegelenken und in einer Vorwärtsbewegung beider Arme, die wie eine Umarmung aussehen kann und sicherlich auch wie der Moro-Reflex des Säuglingsalters interpretiert werden muss. Ein ausgedehnter Automatismus ist sehr selten. Kleinere derartige Bewegungen sind beim Abstellen einer maschinellen Beatmung nach Eintritt des Hirntodes als Anhebung der Schultern oder einer Hand oder Zucken eines Beines häufiger zu sehen und es ist ratsam, anwesende Angehörige auf das eventuelle Auftreten solcher Automatismen nach Abstellen der Beatmung vorzubereiten."[1]

Studie zur Wiederbelebung

Das Lazarus-Phänomen tritt manchmal bei Reanimationsversuchen auf: Man hat den Reanimationsversuch als erfolglos aufgegeben, da beginnt wenige Minuten später das Herz plötzlich wieder an zu schlagen. Niemand hat eine Erklärung dafür. Man geht jedoch davon aus, dass sauerstoffreiches Blut den Sinusknoten wieder zu Impulsen und damit das Herz wieder zum Schlagen anregt.

1982 wurde das Phänomen das erste Mal in der medizinischen Fachliteratur beschrieben. Nun hat eine vierköpfige internationale Forschungsgruppe die Thematik aufgegriffen und die medizinische Fachliteratur nach bekannten Fällen durchforstet. Dabei fanden sie weltweit 65 Fälle, etwa ein Drittel davon (22 Personen) überlebten den Kreislaufstillstand, 18 davon ohne neurologischen Dauerschaden. Dies veröffentlichten sie im Jahr 2020 in einer Studie.[2]

"Auch wenn es wenige scheinen, sind die Konsequenzen doch beträchtlich, wenn man an das beteiligte medizinische Personal, die Angehörigen, die rechtlichen Konsequenzen und die tägliche Anzahl der Patienten denkt, die Wiederbelebungsmaßnahmen benötigen", erklärten die beiden Autoren und Mediziner Hermann Brugger und Peter Paal damals in einer Mitteilung zur Studie.[3]

"Die Tatsache, dass die Mehrheit der Überlebenden keine Folgeschäden aufwies, ist von allergrößter Bedeutung", ergänzte Mitautor Mathieu Pasquier. Aufgrund ihrer Erkenntnisse gaben die vier Forscher eine Reihe von Empfehlungen, darunter vor allem, nach Beenden einer Herz-Lungen-Wiederbelebung einen Patienten noch mindestens zehn Minuten mithilfe eines EKG zu beobachten und zu überwachen.[3]

Klaus Püschel, Institutsdirektor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und Facharzt der Rechtsmedizin, betont hierzu: "Die ersten 20 Minuten nach Kreislauf-Stillstand sind eine unsichere Zeit, da muss man im Zweifelsfall immer reanimieren".[3]

Püschel hat in seiner Laufbahn Tausende von Toten untersucht, wobei er einen Fall bis heute nicht vergessen hat, den er 2005 auch im deutschen Fachblatt "Notfall + Rettungsmedizin" publizierte: Damals sei eine 83-jährige Frau an einer Bushaltestelle in der Nähe der Klinik zusammengebrochen. Innerhalb weniger Minuten seien Rettungssanitäter und Notarzt vor Ort gewesen, um sie zu reanimieren. "Der Notarzt sagte auch, er habe ein EKG über längere Zeit abgeleitet und es sei eine Nulllinie gewesen", erzählt Püschel. Die Frau wurde in das Institut für Rechtsmedizin gebracht, was weniger als eine halbe Stunde gedauert. Im Vorraum der Kühlzelle fing das Herz der Frau dann plötzlich wieder an zu schlagen. "Ich war zufällig der diensthabende Arzt und habe dann reanimiert. Wir haben die Anästhesisten des Klinikums gerufen und diese haben dann tatsächlich die Frau noch kreislaufstabil auf die Intensivstation gebracht." Dort sei sie aber nach sechs Stunden gestorben. Püschel fand heraus, dass das sogenannte Lazarus-Phänomen Ursache für das Wiedereinsetzen der Herzaktionen war: Ein stehengebliebenes Herz kann neu zu schlagen anfangen, wenn sauerstoffreiches Blut an den sogenannten Sinusknoten gelangt.[3]

Nach dem Vorfall habe man sich für das Rettungssystem in Hamburg auf eine eindeutige Richtlinie geeinigt: Die Todesfeststellung einer Patientin oder eines Patienten müsse demnach nach erfolglosen Reanimationsmaßnahmen dadurch erfolgen, dass man mindestens über zehn Minuten ein Nulllinien-EKG ableitet und aufzeichnet - ähnlich der Empfehlung aus der Studie von 2020. "Das ist ungefähr die Zeit, die man braucht, alle seine Notarztutensilien wieder zusammenzupacken, so dass die Einsatzbereitschaft nicht eingeschränkt wird", erklärt Püschel.[3]

Anhang

Quellen

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Johann Friedrich Splittler: Gehirn, Tod und Menschenbild. Stuttgart 2003, 67.
  2. https://sjtrem.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13049-019-0685-4 Zugriff am 13.11.2023.
  3. a b c d e Serhat Koçak: Weiterleben nach Herzstillstand. Lazarus-Phänomen beschäftigt seit Jahrhunderten. In: ntv (11.11.2023). Nach: https://www.n-tv.de/wissen/Lazarus-Phaenomen-beschaeftigt-seit-Jahrhunderten-article24522695.html Zugriff am 13.11.2023.