Abschiedsnahme von Hirntoten

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Verabschiedung von Organspendern

Jährlich sterben in Deutschland rund 900.000 Menschen, davon ca. 5.000 in den Hirntod. Hiervon sind etwa 1.000 Organspender. Einige Menschen behaupten, man könne sich als Hinterbliebener nicht vom Organspender verabschieden. Trifft dies wirklich zu?

Geschichte

Renate Greinerts 15-jähriger Sohn Christian wurde im Jahre 1984 von einer jungen Autofahrerin angefahren. Er stürzte vom Fahrrad und schlug mit dem Kopf auf. Er wurde in eine Klinik gebracht. Dort erfuhr er alle medizinische Hilfe, doch schließlich wurde der Hirntod festgestellt. (Todestag: 4.2.1985) Um Organspende angefragt, stimmten Christians Eltern dieser zu.

Beim Bestatter wollte Renate Greinert ihren Sohn nochmals sehen. Sie erschrak über den Anblick: Christian waren für eine Augenhornhautspende die Augen entnommen worden. Die Augenhöhlen waren leer. Schlimmes ahnend ließ sich Renate Greinert den Oberkörper ihres Sohnes Christian zeigen. - Renate Greinert war vom Anblick des Toten nach der Organentnahme traumatisiert und wurde in Folge dessen in Deutschland die wohl aktivste Gegnerin von Organspende.[1]

Ihr erfahrenes Leid fand seinen Niederschlag im Jahre 1997 verabschiedeten Transplantationsgesetzes (TPG). Es führte in § 6 TPG zu einer Verpflichtung der Kliniken und einem Recht der Hinterbliebenen:

Der Leichnam des Organ- oder Gewebespenders muss in würdigem Zustand zur Bestattung übergeben werden. Zuvor ist dem nächsten Angehörigen Gelegenheit zu geben, den Leichnam zu sehen.

Abschied auf der Intensivstation

Der Abschied sollte unbedingt nach der Feststellung des Hirntods angeboten werden. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob eine Zustimmung zur Organspende vorliegt oder nicht.
Noch bevor die künstliche Beatmung abgestellt oder der Hirntote zur Organentnahme in den OP gebracht wird, sollten die Hinterbliebenen Abschied nehmen können. Dieser Abschied vom Hirntoten benötigt nicht der Hirntote, sondern die Hinterbliebenen.

Im Falle der Organentnahme erleichtert diese Abschiedsnahme den Hinterbliebenen, dass sie durch die Organentnahme nicht dabei sein können, wenn das Herz aufhört zu schlagen. - Dies ist für viele Menschen noch immer der Zeitpunkt für den Tod des Menschen. Bei Hirntoten schlägt jedoch noch das Herz. „Nur“ das Gehirn ist abgestorben. Damit sind Wahrnehmung, Bewusstsein und alle lebenswichtigen Reflexe erloschen.

Abschied nach der Organentnahme

Abschied beim Bestatter

Bestattern kommt hierbei in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle zu:

  • Evtl. Missstände[Anm. 1] an der betreffenden Klinik melden.
  • Den nicht so würdevoll hergerichteten Organspender würdevoll herzurichten.
  • Den Hinterbliebenen Möglichkeit der Abschiedsnahme zu geben.

Sollte eine Klinik entgegen dieser gesetzlichen Bestimmung einen Organspender in einem unwürdigen Zustand der Bestattung übergeben, sollte der Bestatter es nicht scheuen, dies der Klinik zu melden, mit Hinweis auf § 6 TPG. Dies ist wichtig, da Hinterbliebene mitunter den Toten unmittelbar nach der Organentnahme bereits in der Klinik sehen wollen. Dabei sollte der Organspender in einem würdigen Zustand sein. Es sollte für jede Klinik eine Selbstverständlichkeit sein, dass Organspender den Operationssaal nur in würdigem Zustand verlassen.

Auch wenn die Wunden ordentlich versorgt sind, so bleiben noch immer Kleinigkeiten, die man als Bestatter beseitigen bzw. retuschieren sollte. Für Hinterbliebene steht bei der Abschiednahme der Mensch im Vordergrund, mit dem sie Jahrzehnte lang zusammengelebt haben. Dass er Organspender war, ist hierbei nur eine Nebensache. Daher sollte der Leichnam das Leben darstellen, aus dem er gerissen wurde.

Todesursachen der Organspender: Rund 60% der Organspender sterben in den Hirntod, weil ihnen ein große Blutgefäß im Gehirn platzt (Hirnblutung), je 10-15% durch einen Unfall (Schädelhirntrauma), weil ihr Herz über 10 Minuten stehen blieb (Herzstillstand) oder weil ein großes Blutgerinsel das Gehirn versorgende Blutgefäß verstopft (Hirninfarkt).

Zusammen sind dies über 98% der Todesursachen der Organspender. Alle diese Ereignisse treten plötzlich ein. Binnen weniger Sekunden oder Sekundenbruchteile ist der Mensch handlungsunfähig und wird ohne Vorwarnung aus dem Leben gerissen.

Was dies für die Abschiedsnahme bedeutet, wissen Bestatter aus ihrer Erfahrung, wenn der Tote plötzlich verstarb, wenn er mitten aus dem (blühenden) Leben gerissen wurde: Die Hinterbliebenen brauchen viel Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten, um sich zu überzeugen, dass das Unfassbare Realität ist. Dies erfordert viel Zeit bei der Abschiedsnahme. Diese sollte den Hinterbliebenen eingeräumt werden.[Anm. 2]

Hinterbliebene von Hirntoten plagen oft noch Monate oder Jahre später Fragen wie: Sein Herz schlug doch noch. War er wirklich tot? Spürte er wirklich nichts mehr? ... Bestatter können diesen Menschen versichern: Ja, der Hirntote war wirklich tot.

Aussagen über Verabschiedung

Kirchliche Aussagen

Die DBK schrieb in Ihrer Broschüre "Hirntod und Organspende" auf Seite 25f: "Das äußere Erscheinungsbild scheint dagegen zu sprechen, diesen Menschen bereits als tot zu bezeichnen. Die Vorbereitung zur Organentnahme und die konkreten Einzelschritte der Explantation von Organen können dann psychologisch leicht als Tötungsvorgang erlebt werden.
Gerade angesichts dieser Erfahrung ist es – auch wenn der Zeitraum zwischen Hirntod und Organentnahme begrenzt ist und ein Zeitdruck entstehen kann – für eine humane Begleitung der Angehörigen unverzichtbar, sich ausreichend Zeit für ein Gespräch mit ihnen zu nehmen. Das Gespräch mit den Angehörigen sollte in jedem Fall so gestaltet werden, dass diese sich nicht gedrängt oder unter moralischen Druck gesetzt fühlen. So sollten die Angehörigen bei der Mitteilung der Hirntod-Diagnose nicht sofort auch schon mit der Frage der Organspende konfrontiert werden. Angehörige brauchen zunächst einmal Zeit, um sich der Nachricht über den Tod zu stellen und Trauer zulassen zu können."[2]

Anhang

Anmerkungen

  1. Offene Wunden am Leichnam sollten nicht akzeptiert werden. Es ist Aufgabe der Klinik, diese ordentlich zu vernähen.
  2. In der Klinik nahm eine Witwe mal über 10 Stunden Abschied von ihrem Mann, mit dem sie am Tag zuvor noch ganz normal zu Mittag gegessen hatte und der am Nachmittag in Folge eines Herzinfarkts starb.

Einzelnachweise