Chronik/Intensivmedizin

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Die Intensivmedizin befasst sich mit Diagnostik und Therapie lebensbedrohlicher Zustände und Krankheiten. Intensivstationen sind baulich und gerätetechnisch aufwendig ausgestattet. Aufgrund des hohen Betreuungsaufwands ist hier eine Pflegekraft nur für wenige Patienten zuständig, typischerweise bis zu 3, auf "Normalstationen" etwa 20.

"Nicht nur zählt heute die Beatmung, das hämodynamische Monitoring, die Hämodialyse oder Hämofiltration und Überwachung beziehungsweise die Aufrechterhaltung der Vitalparameter eines Patienten zum Standard einer intensivmedizinischen Station, sondern es wurden auch, um die Überlebenschancen der Patienten auf Intensivstationen (ICUs) zu verbessern, konservative und operative Methoden entwickelt, die mit einem hohen Maß an personellen und apparativen Ressourcen verbunden sind. Im Vergleich zu den 50er Jahren, in denen Patienten noch an einer Ateminsuffizienz gestorben wären, bietet die Intensivmedizin heute die Möglichkeit der Überwindung der akut lebensbedrohlichen Phase einer Organinsuffizienz durch maschinellen Organersatz mit gleichzeitiger Behandlung der Grunderkrankung. Auch im Bereich der Sepsis mit Multiorganversagen ist die Intensivmedizin Vorreiter; hier kann das Leben eines bedrohlich Erkrankten beispielsweise durch Organersatzverfahren gerettet werden. Ziel der Intensivmedizin ist es, grundsätzlich die lebenswichtigen Organfunktionen wiederherzustellen und im Anschluss an die Therapie, ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Generell sind die häufigsten Erkrankungen, die heute auf Intensivstationen behandelt werden, Schock, Herzinfarkt, Herzrythmusstörungen, Ateminsuffizienz, postoperative Komplikationen, Status epilepticus oder ein Koma unterschiedlicher Genese."[1]

"Die Intensivbehandlung konzentriert sich primär auf den temporären Ersatz gestörter oder ausgefallener vitaler Organfunktionen, wie z.B. Herz-Kreilaus-Funktion oder Atmung mit dem Ziel, die Funktion des Organsystems wiederherzustellen und somit Zeit für eine kausale Behandlung des Grundleidens zu gewinnen. Die führt zu dem Begriff der 'aspezifischen Therapie' in der Intensivmedizin, d.h. gleiche Behandlungsmethoden (z.B. Beatmung, Dialyse usw.) kommen bei Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie zur Anwendung."[2]

"Die Intensivüberwachung steht für Patienten zur Verfügung, die vorübergehend durch eventuelle Vitalfunktionsstörungen gefährdet erscheinen und damit vermehrt mit Hilfe von personellem, klinisch-chemischem sowie elektronischem Monitoring beobachtet werden müssen, was auf der Allgemeinstation nicht in gleichem Maße möglich ist."[2]


Ibsen und die Poliomyelitis-Epidemie

Der Name Bjørn Aage Ibsen (1915-2007) ist eng mit der Gründung der Intensivmedizin verknüpft:
1952 beatmete Ibsen ein neugeborenes Kind mit angeborenem Tetanus manuell mit einem Beatmungsbeutel. Da Langzeit-Beatmung damals abgelehnt wurden, unterbrach Ibsen die Beatmung und das Kind starb. Dies wurde für Ibsen ein Schlüsselerlebnis.
1952 brach in Dänemark eine große Poliomyelitis-Epidemie aus. Über 5.722 Fälle wurden registriert, darunter über 2.450 mit Atemlähmung. Das Kopenhagener Krankenhaus nahm in den ersten 6 Wochen nach Ausbruch der Epidemie täglich zwischen 30 und 50 Poliopatienten auf, für die jedoch nur eine Eiserne Lunge und sechs Cuirass-Respiratoren zur Verfügung standen. Ibsen wurde eingeladen, eine Lösung zu finden. Er obduzierte 4 verstorbene Poliomyelitis-Patienten, die durch die Eiserne Lunge beatmet wurden und stellte überhöhte Kohlendioxidwerte fest, obwohl die Lungen funktionsfähig waren.
Am 26.8.1952 wurde ein schwerkrankes 12-jähriges Mädchen mit schwerer Poliomyelitis eingeliefert. Ihre Beine, Arme sowie die Atemmuskulatur waren bereits teilweise gelähmt. Das Mädchen hatte eine fast vollständig zugeschleimte Lunge und drohte kurzfristig am eigenen Speichel zu ersticken. Am 27.8. unternahm Ibsen die Behandlung der Patientin. Bei der Tracheotomie geriet das Kind in Atemnot und Panik und konnte zunächst nicht intubiert werden. Ibsen versetzte das Kind in ein künstliches Koma, worauf die Ärzte annahmen, dass die Behandlung gescheitert war und verließen den Saal. Ibsen saugte zunächst den Lungenschleim ab und unternahm beatmete manuell die Patientin mittels eines mit Sauerstoff gefüllten Blasebalgs. Die zurückgekehrten Kollegen stellten fest, dass Ibsen die Patientin beatmen konnte und die Lungen fast schleimfrei waren. Anhand des Experiments demonstrierte Ibsen, dass die bisherige Standardbehandlung mit Unterdruckbeatmung zu hohen CO2-Werte in der Ausatmungsluft führte, auch wenn die Sauerstoffsättigung im Blut zufriedenstellend war. Außerdem wurden die Symptome einer CO2-Erhöhung erkennbar gemacht: Bluthochdruck und eine nasskalte und schwitzende Haut. Nach der Demonstration Ibsens, veranlasste Henry Lassen binnen 3 Tagen alle Poliopatienten mit Atembeschwerden manuell zu beatmen. Dies stellte eine enorme logistische Herausforderung dar: es wurden zur Behandlung Überwachungsstationen eingerichtet, auf dem Höhepunkt der Epidemie wurden 250 Medizinstudenten und 260 Krankenschwestern eingesetzt, um die kontinuierliche Überdrucksbeatmung der Patienten sicherzustellen, Die Mortalitätsrate der Patienten mit Atembeschwerde sank daraufhin von 87% auf 25%.
Juni 1953 wurde ein Kind mit Tetanus eingeliefert. Krämpfe erschwerten ihm das Atmen. Ibsen beatmete er das Kind mit einem Beatmungsbeutel manuell. Nach 17 Tagen wachte der kleine Patienten wieder auf. Als externer Mitarbeiter stellte Ibsen der Verwaltung 17 Tage in Rechnung. Aufgeschreckt durch die hohen Kosten, beschloss die Stadt Kopenhagen Ibsen als Arzt intern einzustellen und ihm die Aufgaben zu übertragen, eine Anästhesieabteilung zu gründen.
1954 leitete Ibsen im Kommunehospital in Kopenhagen eine selbständige Anästhesieabteilung und richtete einen ganztätigen Aufwachraum ein, welcher eine diagnose- und krankheitsunabhängige Intensivbehandlung der Patienten ermöglichte sowie Fachpersonal ausschließlich zur Intensivbehandlung ausbildete, somit wurde die weltweit erste Intensivstation gegründet.[3]

Maschinelle künstliche Beatmung

  • 1904 wurde die Unterdruckkammer erfunden
    1904 erfand Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) für Lungenoperationen das Unterdruckverfahren bzw. die Unterdruckkammer. Diese kann als Vorläufer der Eisernen Lunge angesehen werden.[4]
  • 1929 wurde die "eiserne Lunge" patentiert
    1928 kam die eiserne Lunge erstmals zum Einsatz, wurde 1929 patentiert und der Öffentlichkeit vorgestellt.[Anm. 1] Eine Sonderform ist der Kürass-Ventilator.
  • 1952 führte Björn Ibsen die Langzeitbeatmung ein
    Während der großen Poliomyelitis-Epidemie, in der über 5.722 Fälle registriert wurden, darunter über 2.450 mit Atemlähmung, führte Bjørn Aage Ibsen die Langzeitbeatmung ein. Dabei wurden bis zu 250 Medizinstudenten und 260 Krankenschwestern eingesetzt, um die kontinuierliche Überdrucksbeatmung der Patienten sicherzustellen, Die Mortalitätsrate der Patienten mit Atembeschwerde sank daraufhin von 87% auf 25%.[2][3]
  • 1947 Dauerbeatmung mit der "eisernen Lunge"
    1953 berichtete R. Aschenbrenner und A. Dönhardt von Dauerbeatmungen mit der "eisernen Lunge" seit 1947-1952. Hierfür wurden eine eigene Stationen eingerichtet.[1]Die Überlebensrate betrug 59%.[2]
  • 1957 Gründung des 1. deutschen Beatmungszentrums und Reanimationszentrum
    1957 wurde an der Freien Universität Berlin das 1. deutsche Beatmungszentrum gegründet. Gleichzeitig entwickelte sich auch das Reanimationszentrum.[2][Anm. 2]
  • 1970-er erste Versuche mit ECMO in den USA
    In den USA gab erste Versuche mit Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) bei Patienten mit Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS). Sie wurden durch eine mangelhafte Studie abgebrochen.[5]
  • 1980-er ein verbesserte ECMO in Italien eingesetzt
    In Italien wurde ein verbessertes ECMO bei [Acute Respiratory Distress Syndrome ARDS]-Patienten eingesetzt.[5]

Chronik der Intensivmedizin

  • 1930 Kirschner und Sauerbruch gründeten eine Wachstation
    Anfang der 1930-er-Jahre entwickelten die Chirurgen Kirschner und Sauerbruch eine zentralisierte Wachstation, in denen Patienten nach einer schweren Operation kontinuierlich überwacht und gepflegt werden konnten.[1][2]
  • 1954 gründete Björn Ibsen die 1. Intensivstation
    1953 wurde ein Kind mit Tetanus in das Krankenhaus eingeliefert. Die Krämpfe erschwerten das Atmen. Bjørn Aage Ibsen ließ es mit Beatmungsbeutel manuell beatmen. Nach 17 Tagen wachte der Junge auf. Hierauf wurde Ibsen die Gründung der ersten Intensivstation aufgetragen.[3]

[2]

  • 1955 wurde 1. Station für Entgiftungen eingerichtet
    Nach skandinavischem Vorbild wurde 1955 im Städtischen Krankenhaus rechts der Isar (München) eine spezielle Station für die Behandlung von Vergiftungen eingerichtet und 1957 erweitert.[2]
  • Um 1960 schufen Safar und Pooulsen die ersten Intensivstationen nach heutigem Verständnis.
    Es schufen die Anästhesisten P. Safar in Baltimore (1958) und Pittsburgh (1962) sowie H. Poulsen in Aarhus (1965) Intensivstationen im heutigen Sinne.[3]
  • 1960-er erhielten viele Kliniken eine Intensivstation
    In den 1960-er-Jahren erhielten viele Kliniken in Deutschland eine Intensivstation.[2]
  • 1960-er Einführung der Hämo- und Peritonealdialyse

In den 1960-er-Jahren wurde die Hämo- und Peritonealdialyse zur Behandlung des akuten und chronischen Nierenversagens eingeführt.[2]

  • 1970-er wurden Intensivstationen Standard
    Mitte der 1970-er-Jahre hatte in Deutschland fast jede Klinik eine Intensivstation.[1]
  • 1977 Einführung der kontinuierlichen arterio-venösen Hämofiltration
    1977 entwickelte Kramer das Verfahren der kontinuierlichen arterio-venösen Hämofiltration, ist heute Standard.[2]
  • 1994 definierte Lawin die Intensivmedizin nach ihrem heutigen Verständnis
    1994 devinierte Lawin die Intensivmedizin nach ihrem heutigen Verständnis: „Intensivbehandlung bedeutet Anwendung aller therapeutischen Möglichkeiten zum temporären Ersatz gestörter oder ausgefallener vitaler Organfunktionen bei gleichzeitiger Behandlung des diese Störung verursachten Grundleidens."[1]

Anhang

Anmerkungen

  1. Eiserne Lungen wurden bis ca. 1970 hergestellt. Ab 2004 wurde keine Wartung angeboten, obwohl es noch ca. 12 Menschen in der eisernen Lunge gab: Im Jahre 2008 starb eine 61-jährige Patientin nach 58-jähriger Behandlung, weil der Strom ausfiel und das Notstromaggregat versagte. Am 30. Oktober 2009 starb die Australierin June Middleton im Alter von 83 Jahren. Middleton kam bereits 2006 in das Guinness-Buch der Rekorde – als Patientin, die mit 60 Jahren Dauer länger als alle anderen in einer eisernen Lunge gelebt hatte. https://de.wikipedia.org/wiki/Eiserne_Lunge Zugriff am 3.10.2016.
  2. Überraschend war, dass dort in den ersten Jahren vorwiegend Vergiftungsfälle behandelt wurden.

Einzelnachweise

  1. a b c d e Stefanie Anita Pauline Rosa Emmerl: Die Repräsentation der Gastroenterologie in der Intensivmedizin in Deutschland. München 2012. (med. Diss.) In: https://mediatum.ub.tum.de/doc/1113505/1113505.pdf Zugriff am 3.10.2016.
  2. a b c d e f g h i j k Gudrun Bär: Intensivmedizin im Wandel der Zeit. Regensburg 2007. (med. Diss.) In: http://epub.uni-regensburg.de/21743/4/Dissertation_Endversion.pdf Zugriff am 3.10.2016.
  3. a b c d https://de.wikipedia.org/wiki/Bj%C3%B6rn_Ibsen Zugriff am 3.10.2016.
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Eiserne_Lunge Zugriff am 3.10.2016.
  5. a b https://de.wikipedia.org/wiki/Extrakorporale_Membranoxygenierung Zugriff am 3.10.2016.