Wahrnehmungskette

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Allgemeines

Die Wahrnehmungskette ist ein Modell für Wahrnehmung, das für alle Arten der Wahrnehmung gilt. Die Kette besteht aus 6 Gliedern, die jeweils auf ihr Folgeglied Einfluss ausüben.

  1. Reiz
    Die Außenwelt ist voller verschiedener Reize. Für einige von ihnen besitzt der Mensch Rezeptoren und kann sie daher wahrnehmen: Licht, Schall, Geruchsmoleküle und Wärme. Für andere Reize besitzt der Mensch keine Rezeptoren und kann sie daher auch nicht direkt wahrnehmen: Radioaktivität, Magnetismus und Radiowellen.
  2. Transduktion
  3. Verarbeitung
  4. Wahrnehmung
  5. Wiedererkennung
  6. Handeln

Wahrnehmungsketten der Sinne

Sehen

Der Mensch hat sich zu einem visuellen Wesen entwickelt. Zudem ist Sehen der Sinn mit der größten Reichweite. Daher wird Sehen hier an 1. Stelle genannt:[1]

  1. Reiz
    Das Licht trifft durch die Pupille, die Linse und den Glaskörper auf die Netzhaut des Auges. Auf der Netzhaut bildet sich somit ein Spiegelbild der visuellen Wirklichkeit auf der Netzhaut ab.
  2. Transduktion
    Die Fotorezeptoren in der Netzhaut des Auges - Zapfen für das farbige Sehen (Rot, Gelb und Blau), Stäbchen für das Nachtsehen - wandeln das Licht in elektrische Signale um.
    Um die Signalflut von etwa 6 Mio. Zäpfchen und 120 Mio. Stäbchen einzudämmen analysieren Detektorneuronen (Ganglienzellen) der Netzhaut die Informationen vor.
  3. Verarbeitung
    Das Ergebnis dieser Detektorneuronen wird über das kreuzende afferente System zum Analysator des Sehzentrum im Hinterhirn geleitet. Im Thalamus und im Sehzentrum Sehzentrum werten spezielle Detektorneuronen die Informationen aus:[Anm. 1]
    1. Strukturdetektoren sprechen auf bestimmte Strukturelemente an wie z.B. Kreis, Linien, Ecken, Bogensegmente oder Punkte.
    2. Tiefendetektoren befinden sind ausschließlich im Occipitallappen. Sie werten die Informationen beider Augen zu einem visuellen Raumschema aus.
    3. Farbdetektoren werten das Spiegelbild der Netzhaut nach seinen Farben aus. Schwarz bedeutet, dass kein Licht reflektiert wurde. Bei Weiß wurde das gesamte Licht reflektiert.
    4. Bewegungsdetektoren sprechen auf alle sich bewegenden und bewegten Objekte im Gesichtsfeld an. Die Informationen dieser Dektoren werden globalintegrativ so stark gewichtet, dass wir unser ganze Aufmerksamkeit automatisch auf alles Bewegende ausrichten, denn alles sich Bewegende in der Umwelt kann uns gefährlich werden.
    5. Intensitätsdetektoren greifen die Helligkeitesintensität und damit die Intensität der Farben heraus.
  4. Wahrnehmung
    Die Kombinatorneurone des Integrators im Sehzentrum wählen die für sie interessanten Detektormuster aus und bauen sie zur sie zur gesehenen Außenwelt in der Innenwelt zusammen. Der Sehraum wird so in Struktur und Farbe im Sehzentrum abgebildet. Dabei wird das seitenverkehrte und auf dem Kopf stehende Rezeptorbild mit der Realität übereinstimmend zurechtgekippt (Bildumkehr).
  5. Wiedererkennung
    Das so entstandene Abbild der Außenwelt wird mit den visuellen Erfahrungen verglichen und entsprechend gedeutet. Ein "S" wird dabei als Buchstabe interpretiert, nicht als Schlange, wenngleich diese die gleiche Form innehaben kann. Anhand dieses Vergleichs wird das aktuelle Abbild der Außenwelt gedeutet.
  6. Handeln
    Da in unserem Kopf ein interpretiertes Abbild der Außenwelt entsteht, können wir uns sicher in dieser Außenwelt bewegen und zielgerichtet handeln (z.B. zupacken).

Hören

Bei Finsternis versagt das Sehen völlig. Das Hören ist somit der Reiz, der nicht nur die zweitgrößte Reichweite aufweist, sondern auch immer verfügbar ist:[2]

  1. Reiz
    Die Schallwellen treffen auf unser Außenohr und werden von diesem zum Trommelfell weitergeleitet.
  2. Transduktion
    Das Trommelfell stellt die Schnittstelle zum Mittelohr dar. Über die Gehörknöchelchen werden die Druckschwankungen an das Innenohr weitergeleitet, wo sie im Corti-Organ von den über 30.000 Haarzellen in elektrische Impulse umgewandelt werden.
  3. Verarbeitung
    Die elektrischen Impulse werden an die Olivenkerne weitergeleitet, wo sie mit den Signalen des anderen Ohrs verglichen werden. Aus den minimalen Zeitverzögerungen zwischen den beiden Ohren bestimmen die Richtungsdetektoren in den Olivenkernen die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Ist keine Zeitdifferenz feststellbar, kommt das Geräusch frontal von vorne.
    Distanzdetektoren stellen grob die Entfernung der Schallquelle fest: Obertöne (hohe Frequenanteile) setzen sich in der Luft schneller fort als der niedere Grundton. Durch die Zeitdifferenz dieser Töne schätzen die Distanzdetektoren die Entfernung zur Schallquelle.[Anm. 2]
    Im Analysator werden die Informationen von beiden Ohren in je beide Hirnhälften durch Detektorneuronen analysiert. Die Detektorneuronen sind darauf programmiert, nur auf isolierte Details anzusprechen, z.B. nur auf bestimmte Töne (Ton- und Vokaldetektoren), Geräusche (Geräusch- und Konsonantendetektoren), Obertöne (Klangfarbendetektoren), Akkorde (Akkorddetektoren), auf- und absteigende Frequenzen, Wiederholungen, auf die Dauer, die Intervalle, ect.
  4. Wahrnehmung
    Der Integrator setzt die analysierten Ergebnisse zu einer sinnvollen Information zusammen und dies an das Globalsystem weiter. Damit "erklingen" die für das Gehirn wichtigsten Informationen der akustischen Außenwelt als Wahrnehmung in der Innenwelt (Hörraum).
  5. Wiedererkennung
    Die Kombinationsneuronen vergleichen den Hörraum mit den Gedächtnismustern. Damit erkennt das Globalsystem die bekannten Geräusche wieder. Bei fremdartigen Geräuschen werden diese als neue Erfahrungen abgespeichert. Gesprochen Worte erkennen wir damit wieder und verstehen die uns mitgeteilte Information.
  6. Handeln
    Da wir die wahrgenommenen Geräusche durch unsere gemachten akustischen Erfahrungen interpretieren können, sind wir in der Lage, hierauf entsprechend zu handeln, z.B. auf die gesprochenen Informationen selbst zu antworten.

Riechen

Im Vergleich zur Tierwelt[Anm. 3] besitzt der Menschen einen verkümmerten Geruchssinn.[3]

  1. Reiz
    In der Luft sind die verschiedensten Duftmoleküle. Wenn sie die Naschenschleimhaut der hängenden Geruchsrezeptoren am Nasendach erreichen, z.B. durch Einatmen durch die Nase, werden sie von den Geruchsrezeptoren aufgenommen.
  2. Transduktion
    Der chemische Kontakt der Duftmoleküle mit den Geruchsrezeptoren wird in ein elektrisches Signal umgeschrieben, das an das Gehirn weitergeleitet wird.
    Die Geruchsrezeptoren sind die einzigen Hirnzellen, die sich an der Körperfläche befinden und nur in reiner Luft einwandfrei arbeiten können.
  3. Verarbeitung
    Ein 2. Neuron übernimmt die Informationen aus vielen Rezeptorneuronen und leitet sie zum Analysator im Stirn- und Schläfenhirn weiter. Dort greifen Detektorneuronen aus der Informationsfülle die ihnen zuständigen Detailmuster heraus. Dabei kommt es zu einer enormen Abstufung von verschiedenen Duftqualitäten.[Anm. 4]
    Im Gegensatz zu allen anderen Sinnen führen die Nervenzellen des Geruchssinn nicht durch den Thalamus.
  4. Wahrnehmung
    Im gleichen Hirnareal, aber in einer anderen Zellschicht, bauen die Kombinationsneuronen die Informationen der Detektorneuronen zu einer Information für das Globalsystem weiter. Dadurch wird die Duftaußenwelt als Duftinnenwelt wahrgenommen.
    Das Globalsystem bringt den armen Geschmacksinn (nur 6 Geschmacksqualitäten) und reichen Geruchssinn zusammen und macht somit das Essen zu einem globalintegrativen musischen Erlebnis höchster Güte.
  5. Wiedererkennung
    Durch den Gedächtnisvergleich im Wahrnehmungssystem werden bekannte Düfte gleich wieder erkannt.
  6. Handeln
    Dank vieler emotionaler Detektorneuronen spricht das emotionale Teilsystem auf feine globalintegrative Geruchsmuster an, selbst wenn wir diesen Duft noch gar nicht bewusst wahrnehmen, und nimmt auf unsere Stimmung Einfluss. - Zu bewusst wahrgenommenen Düften fühlen wir uns meist hingezogen oder abgestoßen.

Schmecken

Der Geschmacksinn ist lebenswichtig - früher mehr als heute. Er muss absolut zuverlässig über die Essbarkeit entscheiden:[4]

  1. Reiz
    Wenn wir etwas in den Mund nehmen oder mit der Zunge berühren, übt dieser Körper einen Reiz aus. Wir können diesen Reiz nicht abstellen.
  2. Transduktion
    Die Geschmacksrezeptoren sind Chemorezeptoren in den Geschmacksknospen der Zunge. Sie analysieren das Material nach süß, sauer, salzig und bitter, daneben noch nach alkalisch (sodig, seifig) und metallisch und wandeln dies in elektrische Signale um.
  3. Verarbeitung
    Über nur 3 Neuronenebenen werden die Informationen von der Zunge zum Großhirn geleitet und von den Gschmacksdetektorgruppen auseinandergenommen. Kombinatoren bauen diese Informationen selektierend wieder zusammen.
  4. Wahrnehmung
    Unser Geschmackszentrum interpretiert es als Geschmack.
  5. Wiedererkennung
    Um es als essbar einstufen zu können, werden die mit diesem Geschmack verbundenen Erfahrungen abgerufen. Haben wir mit diesem Geschmack eine ungenießbare oder gar giftige Speise gegessen, werden wir diese Speise zurückweisen. Verbindet unsere Erinnerung daran mit einer genussvollen Speise, werden wir auch diese Speise mit Genuss essen. Ist es jedoch ein neuer Geschmack, werden wir es versuchen, wie es uns bekommt. Diese Erfahrung wird im Bereich des Schmeckens in der Großhirnrinde abgespeichert.
  6. Handeln
    Aufgrund der gemachten bzw. fehlenden Erfahrungen werden wir diese Speise zurückweisen, mit Genuss essen oder es zunächst vorsichtig probieren.

Tasten

  1. Reiz
  2. Transduktion
  3. Verarbeitung
  4. Wahrnehmung
  5. Wiedererkennung
  6. Handeln



Anhang

Anmerkungen

  1. Die Bilder der optischen Täuschungen zeigen auf, wie unsere Detektorneuronen arbeiten bzw. sich in die Irre führen lassen.
  2. Im Tierreich wurde dieses Raumorientierungsprinzip zu höchster Perfektion entwickelt. Fledermäuse können damit fliegend Beute fangen. Andere Tiere nutzen dies gezielt zur Täuschung. So erzeugt z.B. der Kuckuck bei seinem Ruf bereits verschobene Laute, sodass er von weit her zu rufen scheint, jedoch sehr nahe ist.
  3. Bienen, Hunde, Urwaldgeier, Schmetterlinge und Lachse sind wahre Geruchskünstler.
  4. Es sind Qualitätsdetektoren für über 20.000 verschiedene Duftarten.

Einzelnachweise

  1. Gino Gschwend: Neurophysiologische Grundlagen der Hirnleistungsstörungen. Basel 1998, 28-33.
  2. Gino Gschwend: Neurophysiologische Grundlagen der Hirnleistungsstörungen. Basel 1998, 34-38.
  3. Gino Gschwend: Neurophysiologische Grundlagen der Hirnleistungsstörungen. Basel 1998, 38-41.
  4. Gino Gschwend: Neurophysiologische Grundlagen der Hirnleistungsstörungen. Basel 1998, 25f.