Entlastung der Hinterbliebenen: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Organspende-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
(Die Seite wurde neu angelegt: „Derzeit müssen nach festgestelltem Hirntod in über 80% der Fälle die Hinterbliebenen nach dem mutmaßlichen Willen des Hirntoten gefragt werden, da keine sc…“)
 
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
=== Beschreibung der Situation ===
Derzeit müssen nach festgestelltem Hirntod in über 80% der Fälle die Hinterbliebenen nach dem mutmaßlichen Willen des Hirntoten gefragt werden, da keine schriftliche Erklärung zu dieser Frage vorliegt. In über 50% der Fälle vermuten die Hinterbliebene den Willen oder entscheiden selbst, weil sie den Willen des Hirntoten nicht kennen. Dies ist in Anbetracht der Trauer über den raschen Tod eine große Belastung für die Hinterbliebenen, die mit der Widerspruchslösung genommen werden kann.
Derzeit müssen nach festgestelltem Hirntod in über 80% der Fälle die Hinterbliebenen nach dem mutmaßlichen Willen des Hirntoten gefragt werden, da keine schriftliche Erklärung zu dieser Frage vorliegt. In über 50% der Fälle vermuten die Hinterbliebene den Willen oder entscheiden selbst, weil sie den Willen des Hirntoten nicht kennen. Dies ist in Anbetracht der Trauer über den raschen Tod eine große Belastung für die Hinterbliebenen, die mit der Widerspruchslösung genommen werden kann.
{| class="wikitable" width="100%"  
{| class="wikitable" width="100%"  
Zeile 26: Zeile 27:
Es liegt eine Patientenverfügung vor, die klar besagt, dass der Patient diesen hoffnungslosen Zustand als nicht lebenswert ansieht und die Beendigung der Therapie wünscht. Es wird vor diesem Schritt immer mit den Angehörigen gesprochen, ob sie den Willen des Patienten um Therapiebeendigung mittragen. Oft sind dann Sätze wie "Das kann ich nicht entscheiden" zu hören.<br>
Es liegt eine Patientenverfügung vor, die klar besagt, dass der Patient diesen hoffnungslosen Zustand als nicht lebenswert ansieht und die Beendigung der Therapie wünscht. Es wird vor diesem Schritt immer mit den Angehörigen gesprochen, ob sie den Willen des Patienten um Therapiebeendigung mittragen. Oft sind dann Sätze wie "Das kann ich nicht entscheiden" zu hören.<br>
Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass es nicht um die Entscheidung der Angehörigen geht, sondern ob sie den Willen des Patienten mittragen. Mitunter ist dies echt schwere Arbeit, bis die Angehörigen verstanden haben, dass sie nichts zu entscheiden haben, sondern es um die Frage geht, ob sie den Willen des Patienten mittragen. Wenn diese Einsicht erreicht ist, stimmen sie erleichtert bis auf wenige Ausnahmen ganz schnell der Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen zu.
Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass es nicht um die Entscheidung der Angehörigen geht, sondern ob sie den Willen des Patienten mittragen. Mitunter ist dies echt schwere Arbeit, bis die Angehörigen verstanden haben, dass sie nichts zu entscheiden haben, sondern es um die Frage geht, ob sie den Willen des Patienten mittragen. Wenn diese Einsicht erreicht ist, stimmen sie erleichtert bis auf wenige Ausnahmen ganz schnell der Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen zu.


=== Entscheidungsfindung nach Zustimmungsregelungen ===
=== Entscheidungsfindung nach Zustimmungsregelungen ===
Zeile 38: Zeile 38:


=== Entscheidungsfindung nach Widerspruchsregelung ===
=== Entscheidungsfindung nach Widerspruchsregelung ===
Der entscheidende und für die Hinterbliebenen auch den entlastenden Unterschied liegt in der Fragestellung bei der Widerspruchsregelung:
# "Ist Ihnen ein schriftlicher Widerspruch des Hirntoten zur Organentnahme bekannt?"
# "Ist Ihnen ein mündlicher Widerspruch des Hirntoten zur Organentnahme bekannt?"


Der entscheidende und für die Hinterbliebenen auch den entlastenden Unterschied liegt in der Fragestellung bei fehlendem Widerspruch des Hirntoten:
Damit würden die als sehr belastend empfundenen Fragen 3. und 4. entfallen.
# "Widersprechen Sie der Organentnahme?" <br>  Die Hinterbliebenen müssen mit den Konsequenzen einer Organspende leben.
# "Wissen Sie von einem Widerspruch des Hirntoten?" <br>  Die Hinterbliebenen dürfen sie dem Willen des Hirntoten zustimmen. Es ist nicht mehr ihre Entscheidung, mit der sie leben müssen, sondern die des Hirntoten.
 
Damit würden die als sehr belastenden Fragen 3. und 4. entfallen.


Bei einer doppelten Widerspruchsregelung würden die Hinterbliebenen bei fehlendem Widerspruch des Hirntoten gefragt werden, ob sie mit der offensichtlichen Zustimmung zur [[Organentnahme]] durch den Hirntoten einverstanden sind.
Bei einer doppelten Widerspruchsregelung würden die Hinterbliebenen bei fehlendem Widerspruch des Hirntoten gefragt werden, ob sie mit der offensichtlichen Zustimmung zur [[Organentnahme]] durch den Hirntoten einverstanden sind.

Version vom 19. März 2023, 01:09 Uhr

Beschreibung der Situation

Derzeit müssen nach festgestelltem Hirntod in über 80% der Fälle die Hinterbliebenen nach dem mutmaßlichen Willen des Hirntoten gefragt werden, da keine schriftliche Erklärung zu dieser Frage vorliegt. In über 50% der Fälle vermuten die Hinterbliebene den Willen oder entscheiden selbst, weil sie den Willen des Hirntoten nicht kennen. Dies ist in Anbetracht der Trauer über den raschen Tod eine große Belastung für die Hinterbliebenen, die mit der Widerspruchslösung genommen werden kann.

Entscheidung der Organspender Entscheidung der Nicht-Organspender
17Enstsch1.jpg 17Entsch2.jpg
Quelle: DSO: Jahresberichte 2008-2017 Quelle: DSO: Jahresberichte 2008-2017

Bereits im Jahr 2009 wurde die Widerspruchsregelung von den Bundesländern ernsthaft diskutiert.[1]
Marcel Huber schrieb im DSO-Jahresbericht 2011 der Region Bayern: "Das Bayerische Gesundheitsministerium hatte sich daher für die Einführung der erweiterten Widerspruchsregelung eingesetzt, im Sinne einer stärkeren Eigenverantwortung des Einzelnen und einer Entlastung der Angehörigen."[2]

Bis zum Jahr 2012 lag bei weniger als 10% der potentiellen Organspendern eine schriftliche Willenserklärung zur Frage der Organspende vor. Bei den Organspendern lag für ca. 20% eine mündliche Zustimmung vor, bei den Nicht-Organspendern lag bei ca. 30% ein mündlicher Widerspruch vor. Bei rund 70% der Hirntoten hatten die Hinterbliebenen entschieden. Um die Hinterbliebenen in dieser eh´ schon schwierigen Situation des plötzlichen Todes emotional zu entlasten, wurde im Jahr 2012 der Gesetzentwurf zur Änderung von der Zustimmungsregelung zur Erklärungsregelung auf den Weg gebracht.[3] Die "Barmer" Krankenkasse schrieb in ihrer Broschüre "Gesundheitswesen aktuell 2012" auf Seite 181: "Der wesentliche Fortschritt der Entscheidungslösung besteht in einer Entlastung der Angehörigen. Sie müssen aufgrund der vermehrt dokumentierten Spendebereitschaft seltener als bisher in einer extrem belastenden Situation über die Organentnahme entscheiden."[4]

Im Herbst 2012 wurde das TPG dahingehend geändert, dass sich jeder Bürger ab dem vollendetem 16. Lebensjahr zur Frage der Organspende erklären solle. Die hierfür notwendige Aufklärung und Umsetzung sollten die Krankenkassen übernehmen. Bis zum Jahr 2017 stieg der Anteil der potentiellen Organspender mit schriftlicher Erklärung auf 16,0%. Damit kommen 84% der Bürger dem gesetzlichen Auftrag nicht nach. 5 Jahre haben sich die Krankenkassen und viele Gruppen und Personen darum bemüht, die Bürger zum Ausfüllen des Organspendeausweises zu bewegen und haben wenig erreicht. Das 2012 gesetzte Ziel wurde nicht erreicht.

Damit müssen die Ärzte in der Klinik bei über 80% der potentiellen Organspender die Hinterbliebenen nach dem Willen des Hirntoten fragen. Dies ist für die Hinterbliebenen in dieser Situation eine sehr schwere Frage, die ihre Trauer nur schwerer macht. Um zu verdeutlichen, wie schwer diese Situation ist, in der den Hinterbliebenen die Frage um die Organspende gestellt wird, sei hier kurz ein typischer Ablauf beschrieben:
In den meisten Fällen läuft der zum Hirntod führende Prozess binnen acht Tagen ab: Der Mensch wird durch das todbringende Ereignis – bei über 50% eine massive Hirnblutung, bei je etwa 15% ein massiver Hirninfarkt, ein schweres Schädelhirntrauma (Unfall) oder ein Stillstand des Blutkreislaufs – plötzlich aus dem Leben gerissen. Er kommt komatös auf die Intensivstation. Dort versuchen die Ärzte das Leben des Patienten zu retten und seine Gesundheit wieder herzustellen. Es folgen für die Angehörigen Tage volle Ängste und Hoffnungen. Irgendwann erkennen die Ärzte die Schwere der Erkrankung. Für die Angehörige sinkt die Hoffnung. Schließlich gibt es deutliche Hinweise, dass der Hirntod eingetreten ist. Die Hirntoddiagnostik wird durchgeführt und bestätigt meist binnen 12 Stunden den Verdacht. Dies ist für die Hinterbliebenen ein schwerer Schlag. Erschwerend kommt hinzu, dass der Hirntod ein unsichtbarer Tod ist. Hirntote unterscheiden sich äußerlich in nichts von Komapatienten. In diese Situation der frischen Trauer und des unsichtbaren Todes haben in den meisten Fällen die Ärzte die Hinterbliebenen zu fragen, ob sie einer Organentnahme zustimmen. Für die Hinterbliebenen in dieser Situation eine weitere schwere Belastung. {{Zitat|Beschreibung der Situationen der Intensivstation bei der Frage um Beendigung der Therapie:
Es liegt eine Patientenverfügung vor, die klar besagt, dass der Patient diesen hoffnungslosen Zustand als nicht lebenswert ansieht und die Beendigung der Therapie wünscht. Es wird vor diesem Schritt immer mit den Angehörigen gesprochen, ob sie den Willen des Patienten um Therapiebeendigung mittragen. Oft sind dann Sätze wie "Das kann ich nicht entscheiden" zu hören.
Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass es nicht um die Entscheidung der Angehörigen geht, sondern ob sie den Willen des Patienten mittragen. Mitunter ist dies echt schwere Arbeit, bis die Angehörigen verstanden haben, dass sie nichts zu entscheiden haben, sondern es um die Frage geht, ob sie den Willen des Patienten mittragen. Wenn diese Einsicht erreicht ist, stimmen sie erleichtert bis auf wenige Ausnahmen ganz schnell der Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen zu.

Entscheidungsfindung nach Zustimmungsregelungen

Ob Zustimmungsregelung, Entscheidungsregelung, oder Erklärungsregelung, es müssen nach der Feststellung des Hirntodes nach § 4 TPG vom Arzt bis zu 4 Fragen an die Hinterbliebenen gestellt werden:

  1. Liegt eine schriftliche Willenserklärung des Hirntoten vor, ist danach zu verfahren.
  2. Liegt diese nicht vor, werden die Hinterbliebenen gefragt, ob ihnen eine mündliche Willenserklärung des Hirntoten bekannt ist, nach der verfahren werden kann.
  3. Liegt diese nicht vor, werden die Hinterbliebenen gefragt, was sie meinen, was der Wille des Hirntoten sein dürfte, nach der verfahren werden könnte.
  4. Haben die Hinterbliebenen auch keine Ahnung, was der Wille des Hirntoten sein könnte, entscheiden die Hinterbliebenen.

Es wird somit immer versucht, nach dem schriftlichen, mündlichen oder mutmaßlichen Willen des Hirntoten zu verfahren. Die Hinterbliebenen haben erst dann ein Entscheidungsrecht, wenn der primäre Weg nicht gangbar ist. Dies spiegelt sich in den Jahresberichten der DSO wider.

Entscheidungsfindung nach Widerspruchsregelung

Der entscheidende und für die Hinterbliebenen auch den entlastenden Unterschied liegt in der Fragestellung bei der Widerspruchsregelung:

  1. "Ist Ihnen ein schriftlicher Widerspruch des Hirntoten zur Organentnahme bekannt?"
  2. "Ist Ihnen ein mündlicher Widerspruch des Hirntoten zur Organentnahme bekannt?"

Damit würden die als sehr belastend empfundenen Fragen 3. und 4. entfallen.

Bei einer doppelten Widerspruchsregelung würden die Hinterbliebenen bei fehlendem Widerspruch des Hirntoten gefragt werden, ob sie mit der offensichtlichen Zustimmung zur Organentnahme durch den Hirntoten einverstanden sind.


Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise