DER 2015

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Stellungnahme Hirntod und Entscheidung zur Organspende (2015)

Am 24.2.2015 veröffentlichte der Deutsche Ethikrat die Stellungnahme Hirntod und Entscheidung zur Organspende. Einstimmigkeit gab es zur Frage der Voraussetzung der postmortalen Organentnahme:[1]

Einstimmig ist der Deutsche Ethikrat der Auffassung, dass am Hirntod als Voraussetzung für eine postmortale Organentnahme festzuhalten ist. (167)

Hirntod

Darin sprachen sich 7 Mitglieder dagegen aus, den Hirntod als Tod des Menschen anzusehen, für 18 Mitglieder ist der Hirntod der Tod des Menschen.

Dafür sprachen sich aus:

Name Beruf Konfession
Katrin Amunts Medizinerin und Professorin für Hirnforschung
Constanze Angerer Richterin, von 2001-2008 Landgerichtspräsidentin in München
Wolf-Michael Catenhusen SPD-Politiker ev.
Frank Emmrich Mediziner, Lehrstuhlinhaber für Klinische Immunologie
Christiane Fischer Ärztin ev.
Carl Friedrich Gethmann Philosoph, angewandte Philosophie
Thomas Heinemann Medizinethiker und Philosoph
Ilhan Ilkilic Mediziner und Philosoph
Leo Latasch Mediziner, Anästhesist
Anton Losinger Weihbischof, Augsburg kath.
Reinhard Merkel Prof. für Strafrecht und Rechtsphilosophie
Herbert Mertin FDP-Politiker
Eckhard Nagel Mediziner, Philosoph ev.
Ulrike Riedel Juristin
Eberhard Schockenhoff kath. Priester, Moraltheologe in Freiburg
Elisabeth Steinhagen-Thiessen Medizinerin, Prof. für Geriatrie
Jochen Taupitz Jurist für Medizinrecht und Medizinethik
Michael Wunder Psychologe und Psychotherapeut


Dagegen sprachen sich aus:

Name Beruf Konfession
Peter Dabrock ev. Theologe, Prof. für Systematische Theologie, Schwerpunkt Ethik ev.
Martin Hein ev. Theologe, Bischof von Kurhessen-Waldeck ev.
Wolfram Höfling Rechtswissenschaftler und Staatsrechtler
Edzard Schmidt-Jortzig emerit. Ordinarius für Öffentliches Recht ev.
Silja Vöneky Rechtswissenschaftlerin und Rechtsphiolosophie
Claudia Wiesemann Ärtzin, Medizinethikerin, Medizinhistorikerin
Christiane Woopen Medizinethikerin und Philosophin kath.[2]

Konfessionen ohne Quellenangaben wurde dem Wikipedia entnommen.

Stellungnahmen zur Stellungnahme 2015

Bedauerlich ist es, dass der DER in seiner Diskussion um den Hirntod diesen nur im Zusammenhang mit Organspende behandelt hat. Dabei werden die Mehrzahl der HTD zur Beendigung der Therapie durchgeführt, siehe: 2015 - gemeinsame Erklärung der DGNI DGN DGNC[3]

Angela Speth schrieb: "Obwohl einige Mitglieder das Absterben des Gehirns als Kriterium für den Tod ablehnten, hielten sie in einer Stellungnahme paradoxerweise die Organentnahme bei Hirntoten für gerechtfertigt."[4]

Reinhard Müller (25.02.2015)

Am 25.02.2015 veröffentlichte Reinhard Müller in der FAZ den Artikel "Leben und leben lassen".[5] Darin schreibt er:

Ethik kann nicht befohlen werden. Schon gar nicht ist ein Ethikrat dazu berufen, erste und letzte Fragen von Leben und Tod zu regeln. Er soll vielmehr die öffentliche Diskussion fördern und Empfehlungen für den Gesetzgeber abgeben.
Es leuchtet ein, einen unumkehrbaren Ausfall der Hirnfunktion als Tod einzustufen.
Matthias Mindach (2016)

Matthias Mindach veröffentlichte Anfang 2016 den Artikel: "Wenn wir 'Tod' sagen, dann meinen wir nicht 'Tod'. Der Deutsche Ethikrat und der Hirntod – Anmerkungen aus medizinischer Sicht".[6] Auf 12 Seiten mit 54 Literaturangaben setzt er sich als Nervenarzt fachlich mit der Stellungnahme des DER auseinander. So schreibt er:

Es folgt der Abschnitt „2.2. Ablauf der Organspende in Deutschland“, dem der Abschnitt „2.2.2. Hirntoddiagnostik“ untergeordnet ist. Dadurch könnte nahegelegt werden, dass die Hirntodbestimmung lediglich im Rahmen der Organtransplantation bedeutsam sei und keinen eigenständigen Stellenwert besitze. Dies begünstigt eine funktionale Sicht auf den Hirntod, die von der historischen und tatsächlichen Situation her nicht gerechtfertigt ist. (69)
Die Überinterpretation durch den Rat ist dabei kein zufälliger Fehler, denn der Abschnitt 2.3.2. (S. 34ff.) legt ausführlich nahe, dass der Hirntod in einer nicht näher bestimmten Weise nicht identisch mit dem Tod des Menschen sei. (69)
Der Abschnitt, in dem die Hirntoddiagnostik geschildert wird, kann im Wesentlichen akzeptiert werden, doch auch hier fehlt es nicht an potentiell irreführenden Formulierungen. Es heißt beispielsweise, dass die „Abgrenzung verschiedener Bewusstseins-beeinträchtigungen wie etwa Bewusstlosigkeit, Wachkoma (apallisches Syndrom)oder minimal vorhandenes Bewusstsein (minimally conscious state) vom Hirntod“ mitunter schwierig sein könne (S. 20). Das ist jedoch nicht der Fall, denn Wachkoma und minimally conscious state lassen sich mit einem Blick vom Hirntod abgrenzen; dazu bedarf es keinerlei apparativer Untersuchungen. Die angegebene Literatur handelt u.a. von der Unterscheidung zwischen Wachkoma und minimal vorhandenem Bewusstsein, aber von Hirntod ist nicht die Rede. Dieser Verwischung klarer Grenzen begegnet man bereits in der fehldeutenden und fehlleitenden Hirntod-Kritik durch Müller. (70)
Auch hat die Bundesärztekammer keinen Anlass gesehen, in den aktuellen Hirntodrichtlinien vom März 2015 davon abzurücken, dass der Hirntod mit rein klinischer Untersuchung, das heißt ohne apparative Zusatzuntersuchungen, festgestellt werden kann – es wäre verfehlt, dies als Verlegenheitslösung zu bewerten. (71)
Es erstaunt also, an dieser Stelle nicht die unmittelbar evidente Vorstellung erwähnt zu sehen, dass der Untergang des Gehirns der Individualtod des Menschen ist. ... Christoph Lang hat darauf verwiesen, dass bereits die theoretische Vorstellung einer Hirntransplantation völlig abwegig ist. „Jeder würde prompt und intuitiv sagen, dass das Gehirn einen neuen Körper bekäme und nicht umgekehrt.“ (72)
Der Tod ist kontextuell. Als der Mensch nichts als seine fünf Sinne hatte, war das Sistieren der Atmung das definitive Kriterium des Todes. Mit der Akzeptanz des Stethoskops wurde der Herzschlag das entscheidende Zeichen. Die Todesfestlegung durch neurologische Kriterien wurde erst mit der technologischen Entwicklung möglich und notwendig; der Terminus „Hirntod“ ist insofern unglücklich und verwirrend, als er für etwas anderes als den „eigentlichen“ Tod gehalten werden könnte. (72]
Das ist im Kern ein instrumentalistisches Verständnis der medizinischen Wissenschaft; es ruft Osianders Vorrede zum Kopernikus ins Gedächtnis. Aus der Sprache der elaborierten Sophistik zurückübersetzt bedeutet es: Ich erkenne den Hirntod nicht als „eigentlichen“ Tod, als biologisches Faktum, an. Was das Wesen dieses Todes im Unterschied zum Hirntod ausmacht, lasse ich offen, ziehe aber die praktischen Konsequenzen in genau dergleichen Weise, als hätte ich ihn anerkannt. (72)
Diese Art der Logik wird sich möglicherweise nicht jedem sofort erschließen.In einem langen Exkurs (S. 53ff) legt der Ethikrat sodann die Auffassung einer Reihe von Philosophen zum Tod dar, wobei das letzte Wort Heidegger überlassen wird. Wir erfahren beispielsweise, was Thomas von Aquin über den Tod dachte. Aber es scheint für den Rat uninteressant, sich die pathophysiologischen Abläufe zu vergegenwärtigen, die dem Hirntod zugrunde liegen. Damit hätte allgemeinverständlich herausgearbeitet werden können, dass es sich bei den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Hirntodfeststellung nicht um willkürliche Setzungen handelt, die je nach metaphysischer Vorliebe modifiziert wer-den könnten. (73)
Auch im Weiteren werden die „üblichen Anschauungen“ des „sogenannten Laien“ als solche in ihrer Historizität nicht untersucht; der philosophische Exkurs stellt die Auffächerung der Auffassungen zum Tod lediglich als reine Geistesgeschichte dar. Die Geschichtsschreibung vertritt die Ansicht,dass es eine kontextunabhängige, „natürliche“ Art der Todesfeststellung nie gegeben hat. (73)
Das Hirntodkonzept ist nicht in erster Linie für die Transplantation geschaffen worden – das ist ein verbreiteter Irrtum, dessen Bekämpfung lohnend gewesen wäre –, auch wenn es dafür einen sicheren Scheidepunkt liefert. (74)
Shewmon selbst spricht in seinem Vortrag im Forum Bioethik des Deutschen Ethikrates 2012 von einer „sexual maturation of brain-dead children“, aber in seiner Declaration zum Fall McMath behauptet er das Gegenteil: „Neither do corpses undergo sexual maturation“ (aus dem Kontext ist klar, dass mit „corpse“ hier nur „hirntoter Leichnam eines Kindes“ gemeint sein kann). (75)
Wenn die „Lebensweltkompatibilität“ es unmöglich machte, den Hirntod als Tod anzuerkennen – welche Auswirkungen hätte es, wenn man das aussetzende Herz eines hirntoten Körpers ausschalten und den Kreislauf mittels einer Herz-Lungen-Maschine oder eines Kunstherzens aufrechterhalten wollte? Das wäre zwar abwegig, aber technisch machbar bzw. in Reichweite und somit immer noch weit weniger entrückt als manche der Überlegungen von Hirntodkritikern. (75)
Es bleibt unerörtert, welche praktischen Konsequenzen aus dieser Position im Unterschied zur Feststellung des Hirntodes als Tod des Menschen zu ziehen wären. So wird eingeräumt, dass auch im Fall des irreversiblen Funktionsverlustes des Gehirns die Einstellung der Beatmung ethisch geboten sei (S. 98). (75)
Die Erkenntnis vom Hirntod als dem Tod des Menschen beansprucht Validität per se. Sie ist in sich schlüssig, und sie hat die Naturwissenschaft auf ihrer Seite. Es ist kein Fall bekannt, in dem eine lege artis durchgeführte klinische Hirntoddiagnostik durch eine Rückkehr von Hirnfunktionen widerlegt worden wäre. (76)
Die Position B wird von sieben der insgesamt 26 Mitglieder des Ethikrats vertreten. Es sind dies die Vorsitzende, Frau Prof. Christiane Woopen (Professur für Ethik und Theorie der Medizin; eine „sturmerprobte Katholikin“, FAZ vom 26.09.2014), drei Juristen (davon einer zeitweise der Synode der Evangelischen Kirche angehörig) und zwei Theologen. Ein Mediziner mit klinischer Erfahrung oder gar Kenntnissen der Neurologie oder Intensivmedizin ist nicht darunter. (76)

Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Deutscher Ethikrat: Stellungnahme Hirntod und Entscheidung zur Organspende. Berlin 2015. Nach: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-hirntod-und-entscheidung-zur-organspende.pdf Zugriff am 22.08.2020.
  2. http://www.konradsblatt-online.de/html/aktuell/aktuell_u.html?&m=23041&artikel=40967&cataktuell=1160 Zugriff am 27.9.2015.
  3. In vornehmer Weise schrieben die 3 Gesellschaften: "Die unterzeichnenden Fachgesellschaften ergänzen in diesem Zusammenhang, dass sich die Fragen in Bezug auf den Hirntod auch stellen, wenn von vorneherein keine Transplantation in Frage kommt. Bei mehr als der Hälfte der Menschen wird der Hirntod diagnostiziert, auch wenn nach der Diagnose keine Organentnahme erfolgt, aus den verschiedensten Gründen."
  4. Angela Speth: Gefangen im Niemandsland: Eine 'chronisch Überlebende' entfacht die Diskussion um Trennlinie zwischen Leben und Tod neu. (Medscape 21.05.2018) Nach: https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4906962 Zugriff am 22.12.2018.
  5. Reinhard Müller: Leben und leben lassen. In: FAZ (25.02.2015) Nach: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/hirntod-debatte-leben-und-leben-lassen-13447843.html Zugriff am 15.05.2020.
  6. Matthias Mindach: Wenn wir 'Tod' sagen, dann meinen wir nicht 'Tod'. Der Deutsche Ethikrat und der Hirntod – Anmerkungen aus medizinischer Sicht. In: Aufklärung und Kritik 1/2016. Nach: http://www.gkpn.de/Mindach_Ethikrat_AuK1-2016.pdf Zugriff am 10.04.2020.