WSR: DBK + EKD

Aus Organspende-Wiki
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Gemeinsame Schriften

Gemeinsame Erklärung (04.10.2018)

Am 04.10.2018 brachten die EKD und die DBK die gemeinsame Schrift "Organspende in Deutschland - Referentenentwurf eines Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende" heraus:[1] Darin heißt es:

Um die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen, muss nicht zuletzt Vertrauen zurückgewonnen werden, das durch verschiedene Skandale und Intransparenz verloren gegangen ist.

Siehe: Vertrauen

Dazu gehört auch offen darüber zu sprechen, dass die Organspende den Sterbeprozess verändert, was für nicht wenige Menschen mit erheblichen Unsicherheiten und Ängsten einhergeht.[Anm. 1]

Siehe: Sterbeprozess, Hirntod, Todesverständnis

... das Vertrauen in die Transplantationsmedizin zurückzugewinnen, sollte somit Priorität vor einer Diskussion über eine mögliche Neuregelung des Zustimmungsverfahrens haben.

Siehe: Vertrauen

Stellungnahme zum Entwurf ... (06.01.2020)

Am 06.01.2020 veröffentlichte der Bevollmächtigte des Rates der EKD und das Katholisches Büro in Berlin die "Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz".[2] Darin heißt es:

Um die Zahl der Organspenden in Deutschland nachhaltig zu erhöhen, sehen sie vorrangigen Handlungsbedarf in Bezug auf strukturelle und organisatorische Aspekte im Transplantationsverfahren. Das im April 2019 verabschiedete „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ setzt genau hier an.

Anzahl der Organspender: 2019 = 932; 2020 = 913; 2021 = 933; 2022 = 869
Trotz Überwindung der Corona-Pandemie sank die Zahl der Organspender.

Aus Sicht der Kirchen begegnet der „Entwurf zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“ erheblichen rechtlichen und ethischen Bedenken, auf die im Folgenden ausführlicher eingegangen wird.
Auch als Akt von hohem moralischem Wert kann eine Spende aber nicht erzwungen werden. Es besteht keine moralische Pflicht, seine Organe posthum zu spenden. Eine rechtliche Pflicht kann es aus diesem Grund erst recht nicht geben.

Siehe: Widerspruchsregelung, Selbstbestimmungsrecht, Pflicht, Zwang, Moral#Moral_und_die_Widerspruchsregelung

Aus der grundsätzlich positiven Haltung der Bevölkerung zur Organspende lässt sich keine pauschale Spendenbereitschaft aller Menschen und erst recht keine generelle Zustimmung zur Organentnahme im Einzelfall schließen, denn eine solche erfordert eine umfassende Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Konsequenzen einer Organspende.

Wer, außer dem Verfasser, schließt auf eine "pauschale Spendenbereitschaft aller Menschen"? Siehe: Selbstbestimmungsrecht

Die Organspende geht nämlich mit schwerwiegenden Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit einher und verändert den Sterbeprozess erheblich.

Was ist mit der "körperlichen Unversehrtheit" bei Urnenbestattung? Im Jahr waren rund 77% Urnenbestattungen, Tendenz steigend.
Siehe: Sterbeprozess

Zwar sind vor einer Organentnahme zwingend alle für das Weiterleben entscheidenden Hirnfunktionen unwiderruflich erloschen. Zugleich aber bildet das Fortbestehen von gewissen Funktionen des Körpers durch organprotektive Maßnahmen eine unverzichtbare Voraussetzung für jede Organtransplantation. Dieser Umstand aber setzt seinerseits medizinisch-therapeutische Maßnahmen während des Sterbeprozesses voraus, die sich von einer palliativen Begleitung des Sterbens grundlegend unterscheiden.

Diesen Worten ist zu entnehmen, dass die Verfasser den Hirntod nicht als den Tod des Menschen anerkennen. Siehe: Todesverständnis, Hirntodkonzept, Das Hirntodkonzept

Da der Mensch seine Würde im Sterben und auch über den Tod hinaus behält, darf die Freiheit bei dieser sensiblen Entscheidung nicht beschnitten werden.

Siehe: Selbstbestimmungsrecht

Eine gesellschaftliche Grundentscheidung, dass jeder Mensch grundsätzlich als Organspender anzusehen ist, solange er nicht ausdrücklich widerspricht, entspricht nicht dem christlichen Bild des selbstbestimmten Menschen, der in Freiheit und zugleich in der Verantwortung vor Gott und seinen Mitmenschen über sein Leben und seinen Körper Entscheidungen zu treffen hat.

Siehe: Widerspruchsregelung, Selbstbestimmung, Todesverständnis, Hirntodkonzept, Das Hirntodkonzept

Voraussetzung für eine ethisch vertretbare und gesellschaftlich akzeptable Lösung des Problems des Organmangels ist die ehrliche Aufarbeitung und Benennung der Ursachen für diesen Missstand. Zu den offensichtlichen Ursachen, die von niemandem ernsthaft bestritten werden, zählen der in Folge diverser Skandale in der Transplantationsmedizin zu verzeichnende Vertrauensverlust vieler Menschen ...

Siehe: Vertrauen

Denn ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass der Bedarf faktisch höher ist als die Anzahl der überhaupt maximal zur Verfügung stehenden gespendeten Organe. Deshalb ist die Behauptung, dass der Organmangel durch eine Widerspruchslösung behoben werden könnte, irreführend:

Wer, außer den Verfassern, behauptet, dass der Organmangel durch eine Widerspruchslösung behoben werden könnte?
Bei der Organspende zählt jeder einzelne Organspender, denn aus jedem Organspender werden im statistischen Mittel 3 Organe entnommen.

67 Prozent der möglichen Organspender wurden im Jahr 2018 tatsächlich Organspender (2017, 2016: 68 Prozent), also ein viel höherer Anteil als die bisherige geschätzte Zahl erklärter Zustimmungen zur Organspende durch Erklärung in einem Organspendeausweis. Das entspricht im Berichtsjahr 955 Organspendern (2017: 797, 2016: 857, 2015: 877, 2014: 864).

Siehe: Entscheidung#Getroffene_Entscheidungen
Es lässt sich auch die Gegenrechnung aufstellen: Es haben sich gegen eine Organentnahme ausgesprochen: (1. Zahl = "Nein" im OSA, 2. Zahl = Hinterbliebene haben "Nein" entschieden[Anm. 2] 3. Zahl = Anteil der "Nein" an potentiellen Organspendern: 2019: 3,1% / 41,6% / 21,4%; 2018: 4,1% / 32,6% / 24,0%; 2017: 4,6% / 40,8% / 23,9%; 2016: 4,4% / 35,0% / 23,8%; 2015: 3,1% / 31,9% / 27,2%; 2014: 2,9% / 39,1% / 28,5%; 2013: 2,0% / 38,3% / 29,3%
Damit haben in den letzten Jahren bei einem "Nein" zur Organspende 30-40% der Hinterbliebenen der Organentnahme widersprochen. Ob dies in allen Fällen dem Willen des Hirntoten entsprach (Selbstbestimmungsrecht), muss bezweifelt werden.

Auch wenn man mit bestimmten strukturellen Änderungen die Zahl der Zustimmungen wahrscheinlich noch erhöhen könnte, kann sich die Einführung der Widerspruchslösung rein faktisch nur bei einem Teil der 24 % der Fälle auswirken, bei denen es bisher wegen fehlender Zustimmung nicht zur Organspende kam.

Diese Aussage ist korrekt, aber rechtfertigt es nicht dennoch die Einführung der Widerspruchsregelung, wenn von den 24% nur die Hälfte Organspender werden?

Auch diese Fälle sind zunehmend wahrzunehmen.

Die Organspendeverweigerer nehmen nicht zu, sondern ab: 2006 = 26,0%; 2007 = 27,5%; 2008 = 29,5%; 2009 = 29,9%; 2010 = 25,7%; 2011 = 27,0%; 2012 = 27,5%; 2013 = 29,3%; 2014 = 28,5%; 2015 = 27,2%; 2016 = 23,8%; 2017 = 23,9%; 2018 = 24,0%; 2019 = 21,4%

So gibt es in Griechenland zwar eine Widerspruchslösung, die Zahl der Spender (5,8 pro Million Einwohner) liegt trotzdem sogar deutlich unter der Zahl der Spender in Deutschland (11,5 pro Million Einwohner). Erfahrungen aus Spanien, europäischer Spitzenreiter mit 46,9 Organspenderinnen und Organspendern pro 1 Million Einwohner zeigen, dass nicht die Art der gesetzlichen Regelung, sondern vielmehr die strukturellen Voraussetzungen in Bezug auf die Abläufe und die Zusammenarbeit der verantwortlichen Stellen ausschlaggebend sind für die Erhöhung der Spenderzahlen, außerdem auch die Tatsache, dass Explantationen bereits nach einem sogenannten Herz- bzw. Kreislauftod vorgenommen werden

Spanien hatte im Jahr 2016 10,7 pmp Organspender DCD bei insgesamt 39,7 pmp Organspender. Damit verbleiben für Spanien 29,0 pmp Organspender naFch der Hirntod-Spende. Das ist das Dreifache von Deutschland.

Die Vorschrift deutet somit eine Nicht-Erklärung oder das Unterlassen des Widerspruchs gleichsam als Zustimmung zur Organentnahme und arbeitet jedenfalls ausweislich der Entwurfsbegründung mit einer gesetzlichen Fiktion[9], die den in Deutschland geltenden (medizin-)ethischen Prinzipien und dem geltenden Medizinrecht ansonsten fremd ist.

Siehe: Schweigen = Zustimmung

Zudem würde diese Regelung ausgerechnet in einem Entscheidungsfeld, in dem es um Leben, Sterben und Tod geht, einer starken Rechtfertigung bedürfen angesichts der Tatsache, dass sich der Rechtsstaat in anderen Sphären des rechtlich geordneten Zusammenlebens nicht auf eine nur vermutete bzw. solcher Art gedeutete Zustimmung der Betroffenen verlässt.

Siehe: Hirntod, Hirntodkonzept, Todesverständnis

Die Kirchen halten dieses Niveau an Aufklärung und Information nicht annähernd für ausreichend. Die generelle regelmäßige Aufklärung der Bevölkerung hat sich schon bisher nicht als zielführend erwiesen.

Was ist hierzu der Vorschlag der Kirchen?

Die Kirchen betrachten eine kontinuierliche, ausführliche und ehrliche Aufklärung in den verschiedenen Lebensphasen als absolut notwendig, um die Menschen zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung zu befähigen und das Vertrauen in die Transplantationsmedizin wieder herzustellen.

Siehe: Vertrauen - Es entsteht der Eindruck, dass es den Verfassern an Aufklärung fehlt.

Die Kirchen begrüßen diese Maßnahme und gehen davon aus, dass ein Organspenderegister die Spenderidentifikation im Krankenhausalltag erheblich erleichtern und sich positiv auf die Zahl der Organspenden auswirken wird.

Warum soll sich das vorgeschlagene Organspenderegister "positiv auf die Zahl der Organspenden auswirken"? Es ist nur eine andere Form der Willenserklärung, dazu noch eine schwieriger zu handhabende als der OSA.

Nach den derzeit geltenden Regelungen werden in diesem Fall die Angehörigen gefragt und dürfen unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des potenziellen Organspenders letztendlich über die Organentnahme entscheiden. Eine Organspende ist nur dann zulässig, wenn die Angehörigen entsprechend unterrichtet wurden und einer Spende ausdrücklich zugestimmt haben.

Siehe: Entscheidung

Der Begriff der „doppelten“ Widerspruchslösung ist hier irreführend, da den Angehörigen kein eigentliches Entscheidungsrecht mehr zusteht.
Die Kirchen lehnen es ausdrücklich ab die Rolle der Angehörigen derart zu schwächen, denn diese sind in der Regel von einer Organspende besonders „betroffen“.

Es geht nicht um den Willen der Hinterbliebenen, sondern um den Willen des Hirntoten (Grundrecht der Selbstbestimmung). Dies wird in den Fragen 1-3 deutlich. Erst, wenn hierfür keine Antwort gefunden wurde, dürfen die Hinterbliebene in der 4. Frage entscheiden. Siehe: Entscheidung

Diese befinden sich in einer ohnehin emotional extrem belasteten Situation, weil ihr Angehöriger – möglicherweise sogar unerwartet – verstorben ist.

Hirntote versterben selten erwartet. Siehe: Ursachen, Entlastung der Hinterbliebenen

Diese Entscheidung dann auch noch dadurch zu belasten, dass eine Organ“spende“ gesellschaftlich erwartet wird, ja rechtlich verpflichtend ist, ist aus seelsorgerlicher Perspektive nicht vertretbar.

Siehe: Pflicht

Eine Widerspruchslösung vernachlässigt nicht nur die wichtige Rolle der Angehörigen und das Gespräch mit ihnen im Sterbeprozess, sondern schadet weiter dem Vertrauen in den Prozess der Organspende, indem das Gefühl vermittelt wird, dass ohne ausdrückliche entgegenstehende Willensbekundung des Verstorbenen staatlich verordnet auf dessen Körper zugegriffen werden kann.

Siehe: Entscheidungsfindung, Selbstbestimmung, Entlastung der Hinterbliebenen

Fazit

Diese Stellungnahme entspricht in ihrer Sachlichkeit und Klarheit nicht der gemeinsamen Schrift "Organtransplantationen" (1990) oder der Arbeitshilfe der DBK "Hirntod und Organspende" (2015). Statt dessen muss festzustellt werden:

  • Die Stellungnahme enthält eine Reihe von sachlichen Fehlern
  • sie enthält einige ungerechtfertigte Unterstellungen,
  • Zahlen wurden so dargestellt, als würden sie gegen die Einführung der Widerspruchsregelung sprechen,
  • moralische Gründe gegen die Einführung der Widerspruchsregelung zu nennen, weist eine gewisse Doppelmoral auf,
  • im Zusammenhang von "Sterbeprozess" mangelt es an Eindeutigkeit,
  • an einer Stelle wird deutlich, dass von den Verfassern das Hirntodkonzept abgelehnt wird.

In der Summe erweckt die Stellungnahme den Eindruck, dass hier eine Streitschrift gegen die Widerspruchsregelung verfasst wurde, ohne Rücksicht auf sachliche Korrektheit.

Anhang

Anmerkungen

  1. Den "Sterbeprozess verändert" ist eine sehr nebulöse Formulierung. Was ist damit gemeint? Kommen die Organspender nach dieser Aussage bei der Organentnahme zu Tode? Von Kirche erwarte ich klare, unmissverständliche Worte - oder Schweigen.
  2. Es gibt nach § 4 TPG eine klare Hierarchie, wie nach der Feststellung des Hirntodes vorzugehen ist:
    1. Liegt eine schriftliche Willenserklärung des Hirntoten vor, ist danach zu verfahren.
    2. Liegt diese nicht vor, werden die Hinterbliebenen gefragt, ob ihnen eine mündliche Willenserklärung des Hirntoten bekannt ist, nach der verfahren werden kann.
    3. Liegt diese nicht vor, werden die Hinterbliebenen gefragt, was sie meinen, was der Wille des Hirntoten sein dürfte, nach der verfahren werden könnte.
    4. Haben die Hinterbliebenen auch keine Ahnung, was der Wille des Hirntoten sein könnte, entscheiden die Hinterbliebenen.
    Es wird somit immer versucht, nach dem schriftlichen, mündlichen oder mutmaßlichen Willen des Hirntoten zu verfolgen. Die Hinterbliebenen haben erst dann ein Entscheidungsrecht, wenn der primäre Weg nicht gangbar ist. Dies spiegelt sich in den Jahresberichten der DSO wider.

Einzelnachweise

  1. DBK: Organspende in Deutschland - Referentenentwurf eines Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende. Nach: https://www.ekd.de/referentenentwurf-bmg-organspende-38289.htm Zugriff am 18.03.2023.
  2. Bevollmächtigter des Rates der EKD und Katholisches Büro in Berlin: Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz. Nach: https://www.ekd.de/stellungnahme-widerspruchsloesung-zum-transplantationsgesetz-52585.htm Zugriff am 18.03.2020.