Wiener Hofburg 1972

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Auf der Wiener Hofburg fand vom 04.-06.05.1972 ein interdisziplinärer Kongress zum Thema "Die Bestimmung des Todeszeitpunktes" statt. Dabei 45 Vorträge gehalten. E. Scherzer fasste als wissenschaftlicher Sekretär dieses Kongresses die nachfolgenden Punkte zusammen, für die es eine große Übereinstimmung gibt. Sie sollen als Empfehlungen verstanden werden:[1]

  1. Der isolierte Organtod des Gehirns, für den sich inzwischen allgemein der Terminus 'Hirntod' eingebürgert hat, stellt ein Produkt der modernen Reanimationsbehandlungen dar. Nach seinem Eintritt ist ein bewußtes menschliches Leben nicht mehr möglich. Der Hirntod entspricht deshalb de facto dem Individualtod, obwohl Herztätigkeit und Kreislauf noch funktionieren.
  2. Den genauen Todeszeitpunkt zu bestimmen, ist nicht möglich, da der Tod wie das Leben in zeitlicher Hinsicht ein prozeßhaftes Geschehen ist.
  3. Hingegen ist es durch Anwendung verschiedener Methoden möglich, retrospektiv festzustellen, ob im zeitlichen Ablauf des Sterbeprozesses bereits jener Punkt überschritten wurde, nach dem der Hirntod eingetreten ist.
  4. Dieses Feststellungsverfahren hat lediglich im Hinblick auf eine geplante Organentnahme Bedeutung und erübrigt sich in allen anderen Fällen, da bei diesen die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit jeglicher Therapie zur Beendigung der ärztlichen Bemühungen ausreicht.
  5. Pathogenetisch beruht der Hirntod nicht auf der primären Teilschädigung des Gehirns, sondern auf dem sekundär entwickelten zytotoxischen Hirnödem, das - maximal ausgeprägt - intrazerebral zum völligen Zirkulationsstillstand führt.
  6. Morphologisch finden wir deshalb beim Hirntod eine Totalnekrose des Gehirns, die folglich nicht nur das Großhirn, sondern auch den gesamten Hirnstamm betrifft.
  7. Auf klinischem Gebiet ist der Hirntod gekennzeichnet durch den irreversiblen Ausfall aller zerebraler Funktionen. Verlust des Bewußtseins, Fehlen der Spontanatmung und Aussetzen aller spontanen, zentralgesteuerten motorischen Aktionen sind als obligat zu fordern. Hinzu kommt der Ausfall sämtlicher Hirnreflexe sowie die zerebrale Reaktionslosigkeit auf alle Reize. Persistenz oder Wiederauftreten spinaler Phänomene (Reflexe, Tonus, Schablonen) sind auch bei Asymmetrie der mit der klinischen Diagnose des Hirntodsyndroms vereinbar
  8. Das Erlöschen der bioelektrischen Hirntätigkeit ist durch ein fehlendes Skalp-EEG (Elektroenzephalogramm) nachzuweisen. Die Ableitungen müssen unter Anwendung strengster Maßstäbe (artefaktfreie Ableitung bzw. einwandfreie Identifizierung nicht eliminierbarer Artefakte) durchgeführt werden. Zu fordern sind: Verwendung eines EEG-Gerätes mit mindestens 8 Kanälen, höchste Verstärkungen (etwa 20 mm/50 Mirkovolt über die ganze Zeit, große Filter, nicht zu große Elektrodenabstände, Elektrodenwiderstände unter 20-Kilo-Ohm, Mitregistrierung des Elektrokardiogramms, Überwachung der Ableitungen durch einen erahrenen EEG-Fachmann und Ableitedauer von mindestens eine halben Stunde.
  9. Auch bei Vorliegen aller bisher genannten Kriterien ist die Irreversibilität des zerebralen Funktionsverlustes noch nicht bewiesen. Vor allem muß eine Serumanalyse auf Hypnotika erfolgen, sofern sich der geringste Verdacht auf eine Intoxikation ergibt und die Art der zerebralen Schädigung nicht eindeutig ist. Bei positivem Ausfall der chemischen Proben muß sofort mit der Hämodialyse begonnen werden.
  10. Mit Persistenz der obligaten klinischen Zeichen des kompletten zerebralen Funktionsverlustes und mit Persistanz des isoelektrischen EEGs nimmt der Wahrscheinlichkeitsgrad des inzwischen eingetretenen definitiven Hirntodes zwar stetig zu, erreicht aber nicht die für eine Organentnahme ezu fordernde vollkommene Sicherheit.
  11. Somit können verläßliche Zeitgrenzen, bei deren Überschreiten der Hirntod bereits sichergestellt ist, weder für die klinische Symptomatologie noch für die hirnelektrische Stille angegeben werden. Solche zeitlichen Grenzen (z.B. im Hinblick auf Herz- und Kreislaufstillstand, Apnoe, Pupillenstarre, Verlangsamung der zerebralen Durchblutung, fehlende bioelektrische Hirntätigkeit) stellen aber bedeutungsvolle Erfahrungswerte dar, welche die Erstellung einer infausten Prognose gestatten.
  12. Den bislang einzigen und absoluten Beweis der Irreversibilität des zuvor klinisch und elektroenzephalographisch bestimmten Hirntodsyndroms liefert die technisch einwandfrei durchgeführte zerebrale Angiographie (am günstigsten transfemorale Kathetermethode, bei Direktpunktion am Halse Nachweis der korrekten Nadellage und einer ausschließlich intraarteriellen Kontrastmittelinjektion, Aufnahmenserien über genügend lange Zeit) mit dem Befunde des Zirkulationsstillstandes in allen zum Gehirn führenden Arterien (fehlende Darstellung des zerebralen Gefäßbezirkes auf sämtlichen Bildern, Kontrastmittelstopp in typischer Höhe, 'vorauseilende' kontrastreiche Füllung des Externagebietes), dessen unausbleibliche Folge der morphologische Untergang (Totalinfarkt bzw. Totalnekrose) des Gehirns ist.
  13. Der Nachweis des aufgehobenen intrakraniellen Kreislaufes durch dir sogenannte 'terminale Angiographie' hat sich nicht zuletzt auch deshalb auf das Basilarisgebiet zu erstrecken, weil ansonsten im Einzelfall die - obgleich zugegebenermaßen äußerst seltene - Möglichkeit des Vorliegens präexistennter abnormaler Gefäßverhältnisse mit alleiniger Blutversorgung des Gehirns aus einer oder aus beiden Vertebralarterien nicht ausgeschlossen werden kann.
    Für die geplante Organtransnplantation ist jedoch der absolut sichere Nachweis des eingetretenen Hirntodes eine unabdingbare Voraussetzung.
  14. Die zeitliche Anberaumung der terminalen Angiographie kann sich an der Art der zugrunde liegenden zerebralen Schädigung, an der Geschwindigkeit in der Entwicklung des Hirntodsyndroms, an den sich verschlechternden Kreislaufverhältnissen, am Absinken der Körpertemperatur und eventuell an sonstigen Hilfsbefunden orientieren.
  15. Die Wiederholung einer terminalen Angiographie mit eindeutigem Ergebnis erübrigt sich im Hinblick auf die Dauer der Untersuchung, da die Wiederbelebungszeit des Gehirns sicher überschritten ist.
  16. Mit dem angiographischen Nachweis des kommpletten intrakraniellen Zirkulationsstopps ist der Untersuchte als tot zu betrachten. Sämtliche Behandlungsmaßnahmen können abgebrochen werden. Der Verstorbene kann sofort zur Organentnahme freigegeben werden.
    Wenn keine Transplantation geplant ist, erscheint die Beendigung der laufenden Therapie wegen evidenter Aussichtslosigkeit auch schon früher und ohne Durchführung der erwähnten angiographischen Untersuchungen möglich. Diese Entscheidung liegt vollkommen im Ermessen des behandelten Arztes.
  17. Das hier aufgezeigte Schema des medizinischen Feststellungsverfahrens mit Vornahme sämtlicher geforderter Untersuchungsgänge erübrift sich im Falle einer manifesten, sehr ausgedehnten Hirngewebszerstörung (z.B. traumatische Hiirnzertrümmerung). Der Hirntod kann in diesem Falle allein aus dem Lokalbefund am Schädel und aus den zuvor angeführten obligaten klinischen Zeichen des kompletten zerebralen Funktionsverlustes diagnostiziert werden.
  18. Die Feststellung des bereits eingetretenen Hirntodes fällt ausschließlich in den Bereich der medizinischen Kompetenz und sollte einem Ärzteteam, das vom Transplantationsteam unabhängig arbeitet, vorbehalten bleiben.
  19. Eine gesetzliche Regelung des medizinischen Verfahrens zur Feststellung des eingetretenen Todes wäre inopportun, weil dadurch Forschung und weitere Entwicklung auf diesem medizinischen Gebiete gehemmt werden könnte.
  20. Das Einholen der Erlaubnis von Angehörigen kann im Hinblick auf eine Organentnahme nicht zur Bedingung gemacht werden und ist aus praktischen Gründen sogar abzulehnen, da die Angehörigen durch ein solches Ansinnen meist überfordert werden.



Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. W. Krösl, E. Scherzer (Hg.): Die Bestimmung des Todeszeitpunktes. Kongress in der Wiener Hofburg vom 4. bis 6. Mai 1972. Wien 1973, 363-366.