Vorlage:Renate Greinert

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Schriften

Zwischen Nächstenliebe und Kannibalismus (2005)

Renate Greinert veröffentlichte 2005 in "Natürlich" den Artikel "Zwischen Nächstenliebe und Kannibalismus".[1] Darin heißt es:

Christians Schwester hatte ihrem Bruder im Krankenhaus zum Abschied noch ein Kettchen um den Hals gelegt,und ich hatte einen Ring dazugehängt.Wir baten darum, ihm das zu lassen, als einen letzten Ausdruck unserer Verbundenheit. Jetzt lag die Kette zerrissen neben ihm, der Ring fehlte. Selbst dafür hatten sich Abnehmer gefunden. (63)

Das sollte nicht vorkommen. Das ist Diebstahl! In dieser Situation verletzt er zutiefst.

Angehörigen der Organspender gehen jeweils davon aus, dass ihre Kinder so tot waren, wie man sich Tot-Sein vorstellt. Alle erinnerten sich daran, dass ihre Kinder nicht kalt, starr, leblos und ohne Atem waren. Im Gegenteil: sie waren warm, einige schwitzten, sie wurden wie Patienten versorgt und behandelt. (64)

Siehe: Phänomen-Ebene

Im Nachhinein breiten sich Angst und Entsetzen aus. Das Schuldgefühl, zu früh aufgegeben zu haben, überwältigt, denn was verlassen wurde, war ein Lebender und kein Toter. Niemand kann die Angehörigen aus diesem Alptraum heraus-führen, weil keiner leugnen kann, dass sie tatsächlich warme, lebende Körper zurückgelassen haben. An dieser erlebten und im Sinne des Wortes wirklich begriffenen Tatsache geht die Definition des Hirntodes vorbei. (64)

Eine Großmutter erzählte Ähnliches in einem anderen Zusammenhang: Jeden Samstag brachte ihre Tochter das Enkelkind zu ihr, damit sie ungestört einkaufen kann. An einem Samstag hatte aber die Tochter einen Verkehrsunfall, bei dem das Auto ausbrannte. Selbst nach Jahren meint die Großmutter jeden Samstag, dass die Tochter kommen und das Enkelkind abholen würde. => Der Tod eines (Enkel-)Kind ist immer ein Trauma.

Fixiert auf dem Operationstisch, anästhesiert wie jeder Patient, der operiert wird,reagieren einige Spender mit Blutdruckanstieg, wenn der erste Hautschnitt gesetzt wird. Bei normalen Patienten ist das ein Zeichen für Schmerz. Haben unsere Kinder etwas empfunden, als man sie vom Kinn bis zum Schambein aufschnitt, ihre Körperhälften wie eine Wanne auseinander spreizte um sie mit eiskalter Perfusionslösung zu füllen? (64)

Siehe: Schmerz, spinale Reflexe

Alles Wissen, alle Informationen, die wir in dieser Frage sammelten, bestätigen und erhärten den Verdacht, dass unsere Kinder nicht tot waren, sondern erst im Sterben lagen. (65)

Mit "allen Informationen ..." können kaum Lehrbücher der Medizin mit enthalten sein. Siehe: Todesverständnis

Irreversibel Hirntote müssen wie andere Intensivpatienten genährt, gewaschen und gepflegt werden, werden täglich mehrmals umgelagert, um so genannte Druckgeschwüre zu vermeiden. Kontinuierliche Mundpflege, Hautpflege und Medikamentengabe sind notwendig. Ihr Herz schlägt und sie atmen mit technischer Unterstützung durch Beatmungsgeräte. Sie sind warm, der Stoffwechsel funktioniert. Hirntote Frauen können Kinder gebären, hirntote Männer können Erektionen haben. Hirnströme und Hormonproduktion der Hypophyse sind möglich. Sie reagieren auf äussere Reize, bei 3 von 4 Hirntoten sind Bewegungen der Arme und Beine möglich. Hirntote können sich aufrichten und gurgelnde Laute ausstossen. (65)

Siehe: Leben der Hirntoten

Der Mensch wird seither in seiner schwächsten und schützenswertesten Situation, seinem Sterben, umdefiniert zu einem wehrlosen, aber in einer bisher nie da gewesenen Weise ausbeutbaren Objekt. Sein bisher in einer zivilisierten Welt als selbstverständlich anerkanntes Recht auf sein eigenes ungestörtes undindividuelles Sterben wurde umdefiniertin eine Pflicht zur Organspende. Der Mensch wurde per Definition aufgeteilt in totes Hirn mit lebenden Organen. (65)

Siehe: Todesverständnis

Spender wie Empfänger müssen darauf verzichten, einen der wichtigsten Grundprozesse ihres Menschseins zu durchleben, ihr eigenes Sterben. Der Transplantierte muss sich so auf sein Leben konzentrieren, dass er sich auf sein Sterben nicht mehr einrichten kann und übergangslos dem Tod gegenüber-steht. Gewinner ist lediglich der Transplantationsmediziner, der seinem Traum, den Tod zu besiegen, einen wesentlichen Schritt näher gekommen ist. (65)

Für den Spender kann die Medizin nichts mehr tun, für den Organ-Patienten sehr wohl.

Die Menschen, für die wir als Spender angeworben werden, liegen bereits in den Krankenhäusern und ihr Überleben hängt davon ab, dass wir möglichst bald unser Leben beenden, um mit unseren gesunden Organen ihr Sterben aufzuhalten. (65)

Kaum einer von den Organ-Patienten will, dass ein anderer Mensch stirbt, damit er weiterleben kann. Siehe auch: Zufriedenheit

Die Antwort ist einfach: Die Gesellschaft wird mit ihrer Angst vor dem Sterben so manipuliert, dass wir uns alle nur in der Rolle der Organempfänger sehen,aber nicht als Lieferant. Die Akzeptanz der Organspende beruht darauf, dass keiner mehr sterben will. Jeder hofft, auf Kosten eines anderen zu überleben. (65)

Siehe: Verschwörungstheorie

Der Mensch ist nicht mehr in seiner Ganzheit und Individualität gefragt, sondern als Recyclingobjekt, als Lieferant von Ware, die er zu Leb- oder Sterbenszeit abgibt. (65)

Siehe: Menschenbild, Diffamierung

Über Organverteilerstellen werden sie wie Ware angeboten und in Europa verteilt. Entnommen und in Kühlboxen verpackt, werden sie per Hubschrauber oder Jet in Transplantationszentren geflogen und verwertet. Der Mensch verkommt zum Sonderangebot, tiefgefroren bis zur Verwertung. (67)

Siehe: Diffamierung

Es sind 15 Jahre seit dem Tod meines Sohnes vergangen. (67)

Der Artikel wurde 2005 veröffentlicht. Demnach müsste der Tod 1990 erfolgt sei. Damit kann es hier nicht mehr um Christian Orth handeln, sondern um Lorenz Meyer. Wo der Wechsel im Artikel erfolgt ist, war nicht erkennbar.

Den Tod meines Vaters, der nach einem Autounfall starb, hatte ich verdrängt und auch den Tod von anderen Angehörigen und Freunden. Durch den Tod meines Sohnes rückten sie alle wieder in mein Bewusstsein. Es war ein langwieriger Prozess, zu begreifen, dass Sterben etwas Alltägliches ist, dass der Tod die Krönung des Lebens ist. (67)

Viele Angehörigen berichten mir am Sterbebett eines Patienten, dass sie jetzt die Erinnerungen früheren Sterbens nunn einholt, dass sie sich daran erinnern, dass es jetzt sehr präsent ist.

Wir haben das Sterben an Krankenhäuser oder andere Institutionen abgegeben. (67)

Die Alternative wäre: Die Verunglückten werden nicht mehr in die Klinik gebracht, um zu versuchen, ihr Leben zu retten und ihre Gesundheit wieder herzustellen, sondern statt dessen nach Hause zu bringen, damit das Sterben im Kreis der Familie erfolgen kann, so wie es hier gewünscht wird.

Ich habe oft genug Lust dazu gehabt, alles hinzuwerfen, denn sich mit der Transplantationsmedizin auseinander zu setzen, bedeutet ein Eintauchen in einen gefährlichen Strudel von Macht, Grössenwahn und Lebensgier. (67)

Siehe: Verschwörungstheorie

Ich sehe das nicht so. Ich sehe eine Verpflichtung meinem verstorbenen Sohn gegenüber, dessen Tod nicht den Stellenwert eines überfahrenen Kaninchens hat, und der nun, weil er tot ist, nicht mehr zählt. Ich sehe auch eine Verpflichtung den Lebenden gegenüber, deren Tod mich immer wieder in die gleiche Situation der Frage nach der Organentnahme führen kann. (67)
Leben, Sterben und Tod stehen für mich jetzt zusammen und eröffnen mir eine neue Sichtweise. Der Tod lauert nicht mehr am Ende meines Lebens wie eine Falle, der ich ausweichen muss. Weil er nun neben mir steht, ist jeder Tag ein neues Geschenk für mich, das ich in mein Lebensgefäss hineintun kann, bis es eines Tages überläuft und sich in neue Bahnen ergiesst. (67)

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Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Renate Greinert: Zwischen Nächstenliebe und Kannibalismus. In: Natürlich 8-2005, 62-67. Nach: https://www.natuerlich-online.ch/fileadmin/Natuerlich/Archiv/2005/08-05/62-67_transplantation.pdf Zugriff am 27.06.2020.