Vertrauensregelung

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Am 25.06.2019 reichte die AfD mit der Drucksache 19/11124 neben den bereits bestehenden Anträgen zur Widerspruchsregelung und Erklärungsregelung einen weiteren Antrag ein, der den Titel "Mehr Vertrauen in die Organspende – Vertrauenslösung" trägt.[1] Darin heißt es:

Die Menschen in Deutschland stehen demnach einer Organspende offenbar mehrheitlich positiv gegenüber, verfügen jedoch nicht aufgrund mangelnder Information oder Organisation über keinen Organspendeausweis, sondern weil ihnen das Vertrauen in die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung einer Organspende nach dem Transplantationsgesetz in neuester Fassung fehlt.
Diesen Vertrauensvorschuss der Bevölkerung hat das bisherige Transplantationssystem verspielt.

Dabei wird auf ein Artikel von Wolfram Höfling vom 12.12.2018 verwiesen. Wäre das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende geschwunden, so müsste es sich an den Zahlen nach Feststellung des Hirntodes an einer sinkenden Zustimmung zeigen. Die Zustimmung blieben jedoch über die Jahre 2006 bis 2015 mit 72% ±2% relativ konstant und stiegen 2016 und 2017 sogar auf über 76% an.

Der Hirntod wartet nicht, bis man sich entschieden hat.
Niemand weiß, wann es wen trifft - es kann jeden jederzeit treffen - das Leben belegt es.
Daher ist es sinnvoll, sich jetzt zu entscheiden.
Wer sich noch nicht entscheiden kann, soll "Nein" ankreuzen,
man kann es später - so lange man noch lebt - jederzeit ändern, ohne Angaben von Gründen.
Nach der Feststellung des Hirntodes
gibt es kein "Ich kann mich nicht entscheiden",
dann gibt es nur noch ein "Ja" oder "Nein",
so wie bei der Widerspruchsregelung.
Nach der Feststellung des Hirntodes geht es auf der Grundlage des Grundrechts der Selbstbestimmung immer um die Umsetzung des Willen des Hirntoten. Nur wenn dieser nicht festgestellt werden kann, haben die Hinterbliebenen zu entscheiden.
Außer der WSR haben bei allen anderen Regelungen
die Menschen die Möglichkeit der Nicht-Entscheidung,
was die Entscheidung durch die Hinterbliebenen zur Folge hat.
Daher ist die WSR die ideale Regelung bei der Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts.
Ein "Nein" auf dem OSA ist besser als kein OSA.

Entscheidungen 2002-2021

Die Entscheidung zur Organspende ab dem Jahr 2002.[2] [Anm. 1]

Entscheidung 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
Potenziell[3] 1.868 2.090 1.865 1.963 1.866 1.888 1.876 1.799 1.584 1.370 1.339 1.317 1.248 1.178 1.416 1.371 1.344 1.280
Ja: (Abs) 1.259 1.313 1.198 1.217 1.296 1.200 1.046 876 921 926 857 863 955 1.040 1.028 1.039
schriftlich 5,0 5,5 7,3 5,8 6,8 6,2 6,3 8,8 7,3 8,9 10,3 14,3 16,1 15,2 16,4 19,7 17,6 18,8 21,2 20,3
mündlich 11,6 11,8 13,0 11,1 16,1 18,4 19,9 21,9 21,8 25,8 23,2 25,8 24,8 27,9 26,7 26,7 25,4 24,8 20,8 22,3
vermutet 75,4 76,8 75,9 79,1 68,1 66,6 60,9 51,8 53,5 47,7 50,6 43,6 42,0 44,2 44,5 41,0 45.5 44,2 45,3 47,4
Hinterbliebene 8,1 5,8 3,7 3,9 8,9 8,8 12,9 17,4 17,4 17,7 15,9 16,3 17,2 12,7 12,3 12,6 11,6 12,2 12,2 9,1
Nein: (Abs) 485 537 551 565 482 486 434 402 381 358 297 282 340 293 274 241
schriftlich 1,3 1,0 2,3 2,2 1,4 0,4 0,9 1,4 1,7 1,1 1,8 2,0 2,9 3,1 4,4 4,6 4,1 3,1 4,0 4,1
mündlich 15,9 17,5 17,7 18,9 21,4 22,9 22,7 30,8 28,8 31,2 31,1 35,1 32,0 35,8 32,3 29,8 32,1 28,7 16,8 14,1
vermutet 68,3 66,1 68,7 70,8 52,4 47,5 43,6 29,4 28,8 27,1 27,6 24,6 26,0 29,3 28,3 24,8 31,2 26,6 38,3 42,7
Hinterbliebene 14,5 15,3 11,3 8,1 24,7 29,2 32,8 38,4 40,7 40,6 39,4 38,3 39,1 31,8 35,0 40,8 32,6 41,6 40,5 38,2
Nein-Anteil 26,0 27,4 29,5 29,9 25,7 27,0 27,4 29,3 28,5 27,2 23,8 23,9 24,0 21,4 21,4 20,4
Ja-Anteil 67,7 66,9 64,2 64,5 69,1 66,7 66,0 63,9 68,8 70,3 68,7 73,3 67,4 75,9 75,8 76,5
Ja OSA % 4,6 4,1 4,0 5,7 5,0 5,9 6,8 9,1 11,1 10,7 11,3 14,4 11,9 14,3
Nein OSA % 0,4 0,1 0,3 0,4 0,4 0,3 0,5 0,6 0,8 0,8 1,0 1,1 1,0 0,7
OSA % 5,0 4,3 4,3 6,1 5,5 6,2 7,3 9,7 11,9 11,5 12,3 15,5 12,9 14,9

Nein-Anteil = nach Feststellung des Hirntodes der Anteil in %, der der Organentnahme widersprochen hat
Ja-Anteil = nach Feststellung des Hirntodes der Anteil in %, der der Organentnahme zugestimmt hat
Ja OSA % = von den Organspendern hatten n% schriftlich der Organentnahme zugestimmt
Nein OSA % = von den Nicht-Organspendern hatten n% schriftlich der Orgenentnahme widersprochen.
OSA % = von den potentiellen Organspendern (Summe aus Organspendern und Nicht-Organspendern hatten n% ihre Entscheidung zur Frage der Organspende selbst schriftlich festgehalten, d.h. einen Organspendeausweis ausgefüllt. Im Jahr 2013 gab nach Feststellung des Hirntodes 29,3% "Nein" zur Organspende, doch 2008 waren es 29,5% und 2009 sogar 29,9%. Von 2013 bis 2016 ging der Nein-Anteil von 29,3% auf 23,8% zurück. Seither stagniert der Widerspruch zur Organspende bei ca. 24%. Von einem "Vertrauensverlust" kann hier wirklich nicht gesprochen werden, der einen Rückgang der Organspender um rund 30% bewirkte.

Entscheidungen ab 2022

Ab dem Jahr 2022 brachte die DSO in ihren Jahresberichten eine neue Berechnung der Entscheidungen heraus. Daher sind die Tabellen nun anders: Entscheidungen nach DSO-Regionen:

Ja (%) 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030
Nord 51,3
Nord-Ost 57,8
Ost 56,6
Bayern 59,5
B-W 59,5
Mitte 44,9
NRW 39,5

Die schriftlichen Entscheidungen nach DSO-Regionen:

Ja (%) 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030
Nord Ja 25,8
Nord Nein 7,5
Nord-Ost Ja 23,1
Nord-Ost Nein 5,3
Ost Ja 19,4
Ost Nein 6,5
Bayern Ja 23,8
Bayern Nein 4,3
B-W Ja 21,4
B-W Nein 4,3
Mitte Ja 26,6
Mitte Nein 11,1
NRW Ja 18,3
NRW Nein 6,9

Entscheidungen 2021

Ausschlussgründe[4] Anz. %
keine Zustimmung zur Organspende im Vorfeld 945 47%
keine Feststellung des Hirntodes 514 25%
medizinische Kontraindikationen 334 17%
Herzprobleme oder Herzstillstand 216 11%
keine Freigabe durch Staatsanwaltschaft 3
Bereits im Vorfeld der Hirntodfeststellung gab es in 945 Fällen keine Zustimmung zur Organentnahme.
Willenserklärung[5] Anz. Ja % Ja Anz. Nein % Nein
schriftlich 261 22,4 81 6,8%
mündlich 253 21,7% 181 15,1%
vermutet 543 46,6% 456 38,2%
Hinterbliebene 104 8,9% 389 32,6%
Summe 1.166 1.112
Sonstiges 83 6,9%
Rund jeder 4. Hirntote hatte im Jahr 2022 eine schriftliche Willensäußerung zur Frage der Organspende.
Damit mussten 3/4 der Hinterbliebenen gefragt werden ob sie den Willen des Hirntoten kennen.
Über die Hälfte der Hinterbliebenen kannten nicht den Willen des Hirntoten.
Damit musste weitergefragt werden, was sie wohl vermuten und in letzter Konsequenz, wie sie entscheiden.
Daher ist die baldige Einführung der Widerspruchsregelung sinnvoll.
Kennzeichnend dafür sind die immer wieder möglichen Skandale im Rahmen der Feststellung des Hirntodes zur Organgewinnung, der Vermittlung der Organe und der Gewinnmaximierung bei Vergütung der Leistungen der Transplantationsmedizin.

Da es den "Vertrauensschwund" nachweislich nicht gibt kann auch nicht gesagt werden, dass die Skandale nennenswerte Auswirkungen auf die Zustimmung zur Organspende hatte.

Auch die letzte Änderung des Transplantationsgesetzes (zuletzt geändert durch Art. 1 Zweites ÄndG vom 22.3.2019, BGBl. I S.352) hat nicht zu mehr Transparenz, sondern durch Erweiterung der Kompetenzen aller Beteiligten zu mehr Skepsis geführt.

Hierzu fehlt der Nachweis.

Erst die Einführung einheitlicher Standards und deren Kontrolle sowie die Übertragung der Aufsicht über alle Vertragspartner im Organspendeverfahren auf eine unabhängige Institution, sorgen für mehr Vertrauen und damit für eine Steigerung der Spendenzahlen.

Da dieser Antrag einzig und allein auf der Basis des nicht existierenden "Vertrauensverlustes" beruht, kann auch durch diese Maßnahme das Vertrauen nicht erhöht werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Es fordert nicht der Bundestag die Bundesregierung auf, sondern höchstens die Antragsteller. Zudem ist es der Bundestag, der dies beschließt.

Die Forderungen der Antragssteller lauten:

dass die Aufklärung der Bevölkerung gemäß § 2 Transplantationsgesetz (TPG) auf die grundlegenden Fragen der Todesfeststellung und den medizinischen Verfahrensablauf erweitert wird,

Die Streitfrage um den Hirntod ist nicht die Todesfeststellung. Dieses ist klar und deutlich. Die Streitfrage lautet, ob mit der Feststellung des Hirntods auch der Mensch tot ist.

dass klargestellt wird, dass eine mögliche Patientenverfügung immer vor-rangig vor einer Organspende Geltung findet,

Dies widerspricht der Grundhaltung in der StVO, wonach das Leben immer die Vorfahrt hat.

Das setzt voraus, dass eine ehrliche Aufklärung der Bevölkerung zu grundlegenden Fragen des Sterbeprozesses, der Todesfeststellung und den erforderlichen medizinischen Verfahrensabläufen kontinuierlich erfolgt.

Wo ist dies denn bisher nicht erfolgt?

Fazit:
Es ist ein Antrag, der auf der Basis des nachweislich nicht existierenden Vertrauensverlustes gestellt wird. Damit ist der Antrag als solches überflüssig.


Anhang

Siehe: Widerspruchsregelung - Entscheidungsregelung - Erklärungsregelung - Zustimmungsregelung - Notstandsregelung

Anmerkungen

  1. Die Zahlen der Jahre 2002 bis 2005 wurden aus dem Jahrbuch der DSO entnommen. Die Zahlen der Jahre 2006 bis 2013 wurden nach den absoluten Zahlen der Jahrbücher der DSO berechnet. Dabei wurden nur die realisierten Organspenden mit den Ablehnungen nach Feststellung des Hirntods ins Verhältnis gesetzt. D.h. nicht berücksichtigt wurden dabei nicht erfolgte Organtransplantationen, z.B. durch Kreislaufversagen oder med. Gründen.

Einzelnachweise

  1. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/111/1911124.pdf Zugriff am 06.07.2019.
  2. DSO: Jahrbuch 2002ff.
  3. Die Anzahl der potenzieller Organspender umfasst alle Hirntoten, die mit für eine TX brauchbare Organe auf der Intensivstation liegen. Die meisten von werden tatsächlich Organspender. Bei einigen wird die die Organspende verweigert. Daneben gibt es noch eine Reihe von Hirntoten, bei denen zwar eine Zustimmung zur Organspende vorgelegen hat, bei denen es jedoch aus verschiedenen Gründen zu keiner Organspende gekommen ist. Die DSO unterscheidet hierbei unter:
    • Abbruch vor oder während der Organentnahme (z.B. Tumorfeststellung)
    • Medizinische Gründe (inkl. Herz-Kreislaufstillstand, ICD-10 I46.9)
    • Sonstiges (Keine Einwilligungsberechtigten, Gespräch nicht zumutbar, keine Freigabe durch den Staatsanwalt)
  4. DSO: Jahresbericht 2022, 60.
  5. DSO: Jahresbericht 2022, 23.