Todesverständnis

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Es gibt drei Aktivitäten, die wir Menschen zu unseren Lebzeiten nicht dauerhaft anhalten können: Herzschlag, Atmung und Denken. (Klaus Schäfer)

Wir Menschen können nicht nicht-denken. Unser Gehirn arbeitet pausenlos, auch nachts. "Die fMRT zeigt beständig eine Aktivität auf. Die Gedanken rattern auch in Ruhe ununterbrochen vor sich hin. Unentwegt entstehen Gedankenketten und Gedankenassoziationen, die allerdings dann unterbrochen werden, wenn eine Aktivität gestartet wird."[1]

"Es ist etwas zutiefst Menschliches, über Dinge nachzudenken, die keinen direkten Bezug zu Handlungen oder zur Umgebung haben. Sich an Dinge zu erinnern, die in der Vergangenheit geschehen sind und sich zukünftige Ereignisse auszumalen."[2]

Allgemeines

Allgemeines Todesverständnisse

  • keine Bewegung, keine Tätigkeit
    • 1745 schrieb Johann Heinrich Zedler, dass Leben Bewegung ist.[3]
    • 1817 im Brockhaus (3. Aufl.) ist der Tod fehlende Bewegung, fehlende Tätigkeit.[4]
    • 1827 im Brockhaus (7. Aufl.) ist der Tod fehlende Bewegung.[5]
  • fehlender Atem
    • 1827 in Brockhaus (7. Aufl.) ist der Tod die fehlende Eigenatmung.[6]
  • keine Empfindlichkeit
    • 1745 schrieb Johann Heinrich Zedler, dass Leben Empfindlichkeit ist.[7]
  • Wahrnehmung
    • 1830 schrieb Franz Ludwig, dass der Tod fehlende Wahrnehmung ist.[8] Er unterschied zwischen geistigem und körperlichen Leben,[9] und damit zwischen Menschenleben und Tierleben.[10]
  • Bewusstsein
    • ** 1830 schrieb Franz Ludwig, dass der Tod fehlendes Bewusstssein ist.[11]
  • Organisation vernichtet
    • 1824 in Brockhaus (6. Aufl.): "das Leben ist vernichtet, sobald die Organisation zur Ausübung ihrer Verrichtung untauglich ist, oder die inner Kraft fehlt.“[12]

Religiöses Todesverständnis

Die Bibel kennt verschiedene Todeskriterien:

  • Atem
    • Bei der Erschaffung des Menschen blies Gott dem Menschen den Lebensatem in die Nase ein. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen (Gen 2,7.19).
    • Der Lebensatem seht an verschiedenen Stellen mit dem Leben in Verbindung (Gen 1,30; 2,7; Num 16,22; 27,16; Jes 57,16; Klag 4,20; Bar 6,24; Lk 8,55).
    • Aus diesem Grunde gibt es im Judentum die Argumentation, dass Hirntote Tote sind, weil sie keine Eigenatmung besitzen.
  • Blut
    • "Denn das Leben des Fleisches ist im Blut." (Lev 17,11) "Denn das Leben aller Wesen aus Fleisch ist das Blut im Lebewesen." (Lev 17,14)
    • "Doch beherrsche dich und genieße kein Blut; denn Blut ist Lebenskraft und du sollst nicht zusammen mit dem Fleisch die Lebenskraft verzehren." (Dtn 12,23)
    • Diese Beobachtung scheint in den Kämpfen gemacht worden zu sein, dass trotz einer relativ kleinen Wunde ein Mensch verblutet und damit sein Leben verliert. Davon abgeleitet dürfte die Vorstellung entstanden sein, dass im Blut das Leben sei.[13]

Chronik des Todesverständnisses

Das Todesverständnis wechselte im Laufe der letzten 3 Jahrtausende:

  • Hippokrates (5.Jh. v.C.)
    Für Hippokrates war nicht die Feststellung des Todes wichtig, sondern dass der Arzt den baldigen Eintritt des Todes feststellte, um sich dann von der Behandlung zurückzuziehen. Die Feststellung des Todes war dabei nie eine ärztliche Aufgabe.[14]
  • Platon (418-347 v.C.)
    Für Platon war der Tod die Trennung vorübergehend verbundener Elemente, die Trennung von Leib und Seele.[15]
  • Aristoteles (384-322 v.C.)
    Aristoteles sah die Seele im Herzen lokalisiert. Damit bedeutete der Herztod den Tod des Menschen.[15]
  • Galen von Pergamon (129-199 n.C.)
    Galen setzte den Tod mit anderen Zuständen gleich, wie z.B. Hysterie, Asphyxie, Koma oder Katalepsie.[15]
  • Descartes (1596-1650)
    Descartes trennte strikt zwischen Geist und Körper, aber er versuchte keinen Neudefinition des Todes.[15]
  • Zeit der Aufklärung
    Während der Aufklärung gab es keine einheitliche Definition des Todes. Meist wurde jemand als tot angesehen, der sich nicht mehr bewegt hat.[15]

Überlegungen

Abgrenzung zwischen Leben und Tod

Leben und Tod auf der Ebene der Einzeller

Leben auf der Ebene der Einzeller ist per Definition gekennzeichnet von eigenem Stoffwechsel und die eigenem Erbgut (DNA bzw. RNA). Einzeller, die diese beiden Bedingungen nicht erfüllen, sind per Definition keine Lebewesen:

  • Viren
    Viren besitzen zwar eigenes Erbgut und können sich damit multiplilzieren, doch dies können sie nur mit einer lebenden Zelle mit Stoffwechsel, da Viren keinen eigenen Stoffwechsel haben. Wegen dem fehlenden eigenen Stoffwechselgehören Viren nicht zu den Lebewesen, auch wenn sie eigenes Erbgut besitzen.
  • ausdifferenzierte Zellen (z.B. rote Blutkörperchen
    Ausdifferenzierte Zellen besitzen einen eigenen Stoffwechsel, aber kein Erbgut. Daher können sie sich nicht vermehren. Somit fehlt ihnen ein Wesensmerkmal für Lebewesen.

Leben und Tod des Menschen

Als diese Aktivitäten werden üblicherweise genannt:

Davon ausgehend werden einzelne Punkte in sophistischer Weise betrachtet:

  • Fortpflanzung
    Alte Menschen sind nicht mehr zur Fortpflanzung fähig. Sie waren es einmal, aber diese Fähigkeit haben sie im Alter verloren. Deswegen sind sie nicht tot, sondern leben noch immer.
  • Wachstum
    Ausgewachsene Menschen können nicht mehr weiter wachsen. Sie können nur noch altern. Deswegen sind sie nicht tot, sondern leben noch immer.

Sichere Todeszeichen sind Hirntod, Totenstarre, Totenflecke, Fäulnis und Verwesung. Auf diesem Hintergrund werden folgende Überlegungen angestellt:

Dies zeigt, dass beim Tod immer die Gesamtsituation betrachtet werden muss, nicht nur ein Merkmal des Todes herausgegriffen werden darf, wie es einige Kritiker des Hirntdkonzeptes machen.


Sonstiges

Zitate

Name Zitat
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen Zweifellos ist der Mensch als leiblich-seelische Ganzheit mehr als sein Gehirn. Aber ebenso zweifellos kommt dem Gehirn eine Sonderstellung zu. Ein Mensch kann den 'Tod' seines Herzens überleben, nicht aber den 'Tod' seines Gehirns."[16]
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen Wie die Lebens- und damit auch die Todeszeichen des Lebewesens und seiner Teile sich unterscheiden, so unterscheiden sich auch die Vorgänge des jeweiligen Sterbens, der letzten Spanne des jeweiligen Lebens. Der Unterschied zwischen dem Lebewesen und seinen Organen, Geweben und Zellen wird beim Tod durch den völligen und endgültigen Hirnausfall wichtiger, äußerlich aber auch unscheinbarer als beim Tod nach endgültigem Herz- und Kreislaufstillstand."[17]
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen Dabei übersieht die Betrachtung, der Mensch sei noch nicht ganz tot, wenn nur sein Gehirn abgestorben sei, den Unterschied zwischen dem Ganzen als Einheit und dem Ganzen als Summe seiner Teile. Ganzheit bedeutet Einheit als Lebewesen, nicht nur Summe aller Zellen, Gewebe und Organe. Durch den völligen und endgültigen Hirnausfall ist das Ganze als die Einheit das Lebewesens verloren gegangen. Sie war bei höheren Lebewesen wie bei Menschen ausschließlich durch eine vom Gehirn allein bewirkte Integration zustande gekommen."[18]
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen Auf der Intensivstation kann der Eintritt des Hirntodes bei einem Patienten nicht selten indirekt an einem 'Entgleiten' von physiologischen Überwachungsparametern erkennbar werden, und in manchen Fällen erfordert es einen zeitlich geradezu exponentiell zunehmenden, intensivmedizinischen Aufwand, diesem Funktionsverlust der restlichen Organe entgegenzuwirken."[19]
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen In jedem Fall ist es - auch unter Aufbietung der modernen Intensivmedizin - nicht möglich, jeden hirntoten Leichnam beliebig lange 'weiterlaufen' zu lassen."[20]
Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen Dem Individualtod folgt eine etwas missverständlich als 'intermediäres Leben' bezeichnete Phase von bis zu einigen Tagen Dauer, in welcher zunächst noch supravitale Reaktionen zu beobachten sind. Schließlich werden durch ein zeitlich gestaffeltes Absterben von Organen und Geweben (Absterbeordung) die Absterbevorgänge auf zellulärer Ebene bis zum totalen oder biologischen Tod mit dem 'Tod der letzten Zelle' vollendet."[21]
Dag Moskopp Selbst Ärzte, Vertreter der Bundesärztekammer und Mitglieder des Deutschen Ethikrates laufen aktuell Gefahr, sich von Kritikern im Hinblick auf den Todesbegriff verunsichern zu lassen. Dessen ungeachtet ist selbstverständlich bei diesem sensiblen Thema höchste Sorgfalt geboten."[22]
Michel Foucault Es ist von entscheidender und bleibender Bedeutung für unsere Kultur, daß ihr erster wissenschaftlicher Dsikurs über das Individuum seinen Weg über den Tod nehmen mußte."[23]

Georg Scherer: "Der Tod ebnet die Unterschiede von sinnvollem Leben und Sinnlosigkeit, von Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, auf eine leere Gleichgültigkeit hin ein. Die Opfer von Auschwitz und ihre Schlächter, die Lebensretter und die Geretteten, die Betrogenen und Ausgebeuteten, die Betrüger und Ausbeuter würden alle in dem einen - alle Unterschiede auslöschendene - Aus endigen, wenn der Tod das letzte Wort hätte. Dies wäre absurd, weil so das elementaste Postulat unserer Vernunft, dass nämlich menschliches Leben sinnvoll sein sollte, selber der Absurdität überführen würde. Von daher vermag unser Denke auf der Forderung einer postmortalen Existenz des Menschen bestehen, ohne einen Beweis für diese vorführen zu können. Kant hat ein solches Postulat von den Bedingungen und Notwendigkeiten der Moralität her gefordert."[24]



Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Christof Kessler: Glücksgefühle. Wie Glück im Gehirn entsteht und andere erstaunliche Erkenntnisse der Hirnforschung. München 2017, 169.
  2. Christof Kessler: Glücksgefühle. Wie Glück im Gehirn entsteht und andere erstaunliche Erkenntnisse der Hirnforschung. München 2017, 169.
  3. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig, Halle 1745, 633.
  4. Brockhaus: Conversations-Lexicon. 3. Auflage. 10 Bände. Stuttgart 1816-1819. Bd. 5 (1817), 593. Nach: https://books.google.de/books?id=DA9CAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 22.1.2018.
  5. Brockhaus: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. 7. Auflage. 12 Bände. Leipzig 1827. Bd. 6 (1827), 486. Nach: https://books.google.de/books?id=-phHAAAAYAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 22.1.2018
  6. Brockhaus: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. 7. Auflage. 12 Bände. Leipzig 1827. Bd. 11 (1827), 283. Nach: https://books.google.de/books?id=wg5CAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 22.1.2018
  7. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig, Halle 1745, 636.
  8. Franz Ludwig: Neuestes Conversations-Lexicon, oder allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für gebildete Stände. Von einer Gesellschaft von Gelehrten ganz neu bearbeitet. Wien 1825–1836, 18 Bände. Bd. 11 (1830), 110. Nach. https://books.google.de/books?id=A1w88GF_JIEC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 19.1.2018.
  9. Franz Ludwig: Neuestes Conversations-Lexicon, oder allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für gebildete Stände. Von einer Gesellschaft von Gelehrten ganz neu bearbeitet. Wien 1825–1836, 18 Bände. Bd. 11 (1830), 111. Nach: https://books.google.de/books?id=A1w88GF_JIEC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 19.1.2018.
  10. Franz Ludwig: Neuestes Conversations-Lexicon, oder allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für gebildete Stände. Von einer Gesellschaft von Gelehrten ganz neu bearbeitet. Wien 1825–1836, 18 Bände. Bd. 11 (1830), 112. Nach: https://books.google.de/books?id=A1w88GF_JIEC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 19.1.2018.
  11. Franz Ludwig: Neuestes Conversations-Lexicon, oder allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für gebildete Stände. Von einer Gesellschaft von Gelehrten ganz neu bearbeitet. Wien 1825–1836, 18 Bände. Bd. 11 (1830), 110. Nach. https://books.google.de/books?id=A1w88GF_JIEC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false Zugriff am 19.1.2018.
  12. Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände (Converstations-Lexicon) 6. Auflage. 10 Bände. Leipzig 1824. Bd. 5 (1824), 636. Nach: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV001574302/ft/bsb10710724?page=646 Zugriff am 19.1.2018.
  13. Es wurde nicht daran gedacht, dass auch Menschen ohne jede Wunde - deren Blut noch im Körper ist - sterben.
  14. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 10.
  15. a b c d e Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 11.
  16. Dieter Birnbacher: Vorwort. In: Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 7.
  17. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 15.
  18. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 15.
  19. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 15.
  20. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 16.
  21. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Aufl. Neu-Isenburg 2001, 12.
  22. Dag Moskopp: Hirntod, 16.
  23. Michel Foucault: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blickes. Frankfurt 1963, 207.
  24. Georg Scherer: Tod, philosophisch. In: Korff, I. Beck, P. Mikat (Hg.): Lexikon der Bioethik. Gütersloh 1989. Bd. 3, 572-5734. Zitiert nach: Dag Moskopp: Hirntod, 17.