Todesfeststellung

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Burkhard Madea, Frank Mußhoff und Brigitte Tag schreiben in ihrem "Kurzlehrbuch Rechtsmedizin" (2012): "Die Feststellung des eingetretenen Todes kann sich schwieriger gestalten in der Phase einer Vita minima und Vita reducta mit zunehmender Devitalisierung vor Eintreten sicherer Leichenerscheinungen als Folge des irreversiblen Herz-Kreislauf-Stillstandes. In der Phase der Vita minima und Vita reducta mit Dysregulation der großen Funktionssysteme und ihrer Koordination sowie zunehmender Devitalisierung können die Lebensäußerungen (Respiration, Zirkulation) so daniederliegen, dass sie bei oberflächlicher Untersuchung nicht wahrgenommen werden. Ursachenkomplexe und Umstände, die zu einer Vita minima oder Vita reducta führen können, wurde als AEIOU-Regel[Anm. 1] zusammengefasst.
Bei dem Verdacht auf das Vorliegen von Umständen entsprechend der AEIOU-Regel, klinisch also Schlafmittel-, CO-, Alkoholvergiftungen, Unterkühlungen, Elektrounfälle, Apoplex, Hirndruck, metabolische Komata, Anfallsleiden, hypoxische Hirnschädigung, fehlende Lebensäußerungen aber gleichzeitig fehlenden sicheren Todeszeichen ist größte Vorsicht geboten. Grundsätzlich gilt: Keine Todesbescheinung ohne sichere Todeszeichen. Im Zweifelsfall, insbesondere bei Unterkühlung, sofortige Krankenhauseinweisung veranlassen!"[1]

Natürlicher Tod / unnatürlicher Tod

Ein natürlicher Tod liegt vor, wenn es keine Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod gibt, in der Regel der Tod infolge Krankheit oder Altersschwäche.[2]

Ein unnatürlicher Tod ist jeder Tod infolge strafbarer Handlung, Unfall, Suizid oder sonstiger äußerer Gewalteinwirkung, nicht nur mechanischer Art (z.B. durch Vergiftung). Hierbei ist es unerheblich, ob eigenes (z.B. häuslicher Sturz) oder fremdes oder gar kein Verschulden vorliegt. Unerheblich ist auch die Dauer der Latenzzeit zwischen Gewalteinwirkung und Todeseintritt, solange hier ein Kausalzusammenhang besteht. Für unnatürlicher Tod ist ausreichend, wenn hierfür lediglich Anhaltspunkte bestehen.[2]

Beispiele für einen unnatürlichen Tod:

  1. Der Tod infolge Lungenembolie bei posttraumatischer Thrombose bleibt auch Wochen nach dem zugrundliegenden Knochenbruch ein unnatürlicher Tod.[2]
  2. Stirbt ein 90-jähriger, infolge einer sturzbedingten Oberschenkelhalsfraktur bettlägriger Patient an einer hypostatischen Pneumonie.[3]
  3. Der Tod durch Aspirationspneumonie infolge suizidaler Tablettenintoxikation. [3]
  4. Ein 16-jähriger Radfahrer erleidet bei einem Verkehrsunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit nachweisbar posttraumatischer Epilepsie. Er stirbt im Alter von 40 oder mehr Jahren an einem epileptischen Anfall.[3]
  5. Todesfälle im Gefolge ärztlicher Behandlungsfehler.[3]

Diese Beispiele sind keine Haarspalterei. Für die Hinterbliebenen hängen davon erhebliche zivilrechtliche Versorgungsansprüche ab, bei selbstverschuldeten Unfällen mögliche Ansprüche an die Unfallversicherung. "Wer als Leichenschauer in solchen Fällen leichtfertigt oder gar vorsätzlich (z.B. um die Polizei aus dem Krankenhaus herauszuhalten) einen natürlichen Tod bescheinigt, verschuldet ggf. den finanziellen Ruin der Hinterbliebenen."[3]

Beispiele irriger Todesfeststellungen

Beispiel 1

Eine 63 Jahre alt gewordene Frau wurde im Januar leblos am Flussufer außerhalb des Wassers in Rückenlage gefunden, die Bekleidung war regelrecht, die unbeschuhten Füße am Wasserrand. Der sofort alarmierte Notarzt diagnostizierte einen Herz-Kreislauf-Stillstand und eine Apnoe. Epikritisch stellte er fest: Apnoe, Karotis-Puls nicht tastbar, beginnende Leichenstarre am Unterkiefer, eingeschränkte Beweglichkeit der oberen Extremitäten, weite lichtstarre, entrundete Pupillen, Abbruch der Leichenschau wegen V.a. nicht-natürliche Todesursache, Übergabe an Polizei. Bei der kriminalpolizeilichen Leichenschau in den Räumen eines Bestatters konnte Totenstarre weder im Kiefergelenk noch in den Fingergelenken festgestellt werden, dagegen leichte, unregelmäßige Atembewegungen. Sofortige intensivmedizinische Maßnahmen waren erfolglos. Möglicherweise vorhandene Kältestarre war fälschlich als Totenstarre interpretiert worden, die differenzialdiagnostisch wichtige Prüfung auf das Vorhandensein von Totenflecken war vom Notarzt verpasst worden.[1]

Beispiel 2

Eine 40-jährige Frau wurde in der kalten Jahreszeit frühmorgens in einem Park aufgefunden. Der herbeigerufene Notarzt bescheinigte den eingetretenen Tod aufgrund Atmungs-, Puls- und Reflexlosigkeit sowie starker Abkühlung. In der Leichenhalle fiel dann auf, dass die über den Kopf geschlagene Plastikfolie im Gesichtsbereich beschlagen ist. Die daraufhin eingeleitete Reanimation verlief zunächst erfolgreich. - Die Frau hatte in suizidaler Absicht große Mengen Alkohol und Barbiturate eingenommen und sich zum Sterben in den Park gelegt.[4]

Anhang

Anmerkungen

  1. Ursachenkomplexe für eine Vita minima/Vita reducta (nach Prokop 1976):
    A Alkohol, Anämie, Anoxämie
    E Elektrizität (Blitzschlag)
    I Injury (Schädel-Hirn-Trauma)
    O Opium, Betäubungsmittel, zentral wirksame Pharmaka
    U Urämie (andere metabolische Komata), Unterkühlung

Einzelnachweise

  1. a b Burkhard Madea, Frank Mußhoff, Brigitte Tag: Kurzlehrbuch Rechtsmedizin. Bern 2012, 124.
  2. a b c Randolph Penning: Rechtsmedizin systematisch. 2. Auflage. Bremen 2006, 42.
  3. a b c d e Randolph Penning: Rechtsmedizin systematisch. 2. Auflage. Bremen 2006, 43.
  4. Randolph Penning: Rechtsmedizin systematisch. 2. Auflage. Bremen 2006, 22.