Thomas Linder

Aus Organspende-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

"Welche fatalen Auswirkungen solche voreiligen Prognosen für die Betroffenen, ihre Angehörigen, aber auch für die Kliniken haben können, zeigt der Fall von Thomas Linder. Es stellt sich die Frage, wer schützt Patienten, die als potentielle Organspender identifiziert werden, vor falschen Prognosen?"[1] So heißt es in einer Presseerklärung von KAO.

Was war mit Thomas Linder geschehen bzw. was hat er erlebt? Dies steht nicht in der Presseerklärung. Aber wozu gibt es Suchmaschinen. Am 20.11.2015 fand Google[2] unter den 23 Seiten diese eine mit etwas mehr Informationen, von Silvia Matthies:
"Thomas Linder ist eigentlich eine klassische Fehldiagnose. Bei einem Patienten, bei dem man ev. Tod oder eine schwere Behinderung prognostiziert , völlig verfrüht auf Organentnahme zu drängen, ist schon ziemlich grenzwertig. ..."[3]

Darstellung nach Video-Clip (1993)

In einem 15-minütigen Video-Clip auf Youtube stellt die Filmemacherin Silvia Matthies das Geschehen wie folgt dar:
Der 22-jährige Obergefreite Thomas Linder wurde 1993 auf seinem Weg zu seiner Einheit in einen Unfall verwickelt. Mit "lebensbedrohlichen Verletzungen"[Anm. 1] wurde er in die Intensivstation der Uni-Klinik Marburg eingeliefert. In einer über 6-stündigen Operation versuchen die Ärzte das Leben von Thomas Linder zu retten.

Die Mutter fuhr gegen Anraten des Arztes[Anm. 2] nach Marburg und wird vom Assistenzarzt über den "desaströsen Zustand" aufgeklärt. "Das Schlimmste sind die Kopfverletzung". Der Arzt sagte, dass die Überlebenscancen gleich Null seien. Wenn er es doch überleben sollte, würde Thomas Linder als geistig Schwerbehinderter blind im Rollstuhl sitzen.

Bevor die Mutter ihren Sohn gesehen hat, stellt der Assistenzarzt die Frage nach Organspende. Die Mutter antwortete hierauf, dass Thomas Linder die Organe noch selbst brauche. Außerdem sei das Gehirn noch nicht so erforscht, dass er sich über Hirntod kein Urteil erlauben könne.[Anm. 3] Er wisse gar nicht, was alles im Gehirn stattfindet. Die Mutter sagte auch dem Arzt, dass sie überzeugt sei, dass er wieder werde.[Anm. 4] Der Arzt fragte dann nochmals nach der Organentnahme, was die Mutter verweigerte.

In der Folgezeit musste Thomas Linder mehrfach operiert werden. Sein schwer ramponiertes Gesicht wurde fast wieder hergestellt. Seine Mutter wachte Tag und Nacht an seinem Bett und versuchte, ihn über das Unterbewusstsein zu erreichen. Sie sprach zu ihm, streichelte ihn, bewegte ihm seine Beine.

Bis auf den HNO-Arzt, der Thomas Linder aufsucht, sagen alle anderen Ärzte, dass Thomas Linder keine Chance habe. Für Ärzte und Pflegepersonal galt die Mutter als unbelehrbar. Die Mutter: "Man hat den Thomas einfach nur liegen gelassen." (6:55 min) Hierzu Silvia Matthies: "Das Fatale ist: Wenn die Frage nach Organentnahme erst einmal gestellt wurde, gibt es kaum noch ein Zurück. Andernfalls müssten die behandelnden Ärzte bereit sein, ihre Prognose in Frage zu stellen. Das tun die wenigsten."

Nach einer Woche begann Thomas Linder zu atmen. Nach drei Wochen wurde er in eine andere Klinik verlegt, danach in eine Reha. Nach 6 Monaten war er körperlich und geistig wieder so gut hergestellt, dass er ein Studium der Betriebswirtschaft aufnehmen konnte. Er durfte auch wieder Autofahren.

Das Video wurde am 6.11.2015 in Youtube gestellt, 22 Jahre nach dem Ereignis. - Silvia Matthies hierzu am Schluss: "Das Thema ist hochaktuell. Ähnliche Fälle gibt es auch heute immer wieder. Das weiß auch die BÄK und das Bundesgesundheitsministerium. Nach wie vor werden Angehörige schon wenige Stunden nach der Einlieferung des Patienten in die Klinik auf das Thema Organspende angesprochen. ... Für die Betroffenen ist es eine traumatische Erfahrung, die ihr Vertrauen in die Intensivmedizin nachhaltig erschüttert."

Hinweis

Im Jahr 2015 veröffentlicht die DSO für das Klinikpersonal eine Verfahrensanweisung. Auf Seite 30 beschreibt ein Ablaufschema die Aufgaben und Unterstützungsangebote der DSO an die Klinikärzte. Zu "Klinische Symptome des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls" ist angegeben: "Beratung: Klärung von allgemeinen Fragen, medizinischen und juristischen Voraussetzungen einer Organspende".

Erst wenn der Hirntod nachgewiesen ist, heißt es hierzu: "Kontakt DSO: Klärung der medizinischen und juristischen Voraussetzungen einer Organspende".

Mit diesem Papier weist die DSO die Kliniken eindeutig an, erst nach der Feststellung des Hirntods zu klären, ob es eine Zustimmung der Organspende gibt.[Anm. 5]

Im Jahr 2011 veröffentlichte die DSO den "Leitfaden für die Organspende" in 3. überarbeiteter Auflage. Es ist ein Ordner, der auf jeder Intensivstation steht. Im Diagramm auf Seite 11 ist das Angehörigengespräch zur Frage der Organspende nach der Feststellung des Hirntods platziert. Darüber hinaus heißt es auf Seite 39: "Vor Abschluss der Feststellung des Hirntodes (Indikation zur Hirntoddiagnostik) kann auf die Möglichkeit einer Organspende hingewiesen werden. Dies gibt den Angehörigen Gelegenheit, die Frage ohne zeitlichen Druck zu erörtern".
Auf Seite 43 heißt es des weiteren: "Es versteht sich von selbst, dass manipulative Momente in der Kommunikation zu unterlassen sind."[Anm. 6]

Damit ist die im Titel enthaltene Frage des am 6.11.2015 bei Youtube veröffentlichten Videos "Prognose Tod-wann ist die Frage nach Organen zulässig?" klar und deutlich beantwortet:
Nach Feststellung des Hirntods.[Anm. 7]

Anhang

Anmerkungen

  1. Bei einem anschließenden Telefongespräch zwischen der Mutter und dem Stationsarzt solle dieser gesagt haben, warum sie ihn noch sehen wolle. Er sei so schwer verletzt. Sie solle ihn so in Erinnerung behalten, wie er war. Der Arzt wollte nicht, dass sie kommt.
  2. Nach der Darstellung des Video-Clips muss Thomas Linder übel zugerichtet ausgesehen haben. Wörtlich wird in dem Clip es als "desaströsen Zustand" benannt.
  3. Siehe hierzu: Chronik/Hirntod
  4. Dies sagte sie, so die Darstellung in dieser Reportage, noch bevor sie ihren Sohn gesehen hatte. Sie hatte sich somit noch kein eigenes Bild davon gemacht, in welchem "desaströsen Zustand" ihr Sohn war.
  5. Damit sollte 22 Jahre nach dem Vorfall von Thomas Linder kein Arzt vor Feststellung des Hirntods nach der Zustimmung zur Organspende fragen. Das sollte spätestens mit dieser Anweisung der Vergangenheit angehören. Wer anders handelt, verstößt gegen diese Anweisung. - Es wird jedoch nicht ausbleiben, dass man mit der Beauftragung zur Durchführung der HTD das Thema Organspende zumindest anspricht, in dem Sinne, dass diese Frage kommen wird, wenn der Hirntod nachgewiesen ist. Aber niemand sollte vor Feststellung des Hirntods eine Antwort auf die Frage um Zustimmung zur Organspende erwarten.
  6. Es wird der DSO und/oder den Klinikärzten von Kritikern vorgeworfen, dass sie bei der Frage um Organspende manipulativ arbeiten würden. Hier steht eindeutig, dass dies zu unterlassen ist.
  7. Diese Frage hätte KAO und Silvia Matthies spätestens seit dem Jahre 2012 mit den öffentlich zugänglichen Unterlagen der DSO beantworten können.

Einzelnachweise