Reanimation des Gehirns

Aus Organspende-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

"Reanimation von toten Schweinehirnen" (2019)

Die Meldung

Mitte April 2019, wenige Tage vor Ostern, gingen durch die deutsche Presse die Meldungen:

  • "Tote Schweinehirne 'wiederbelebt'"[1]
  • "Flackern im Schweinehirn"[2]
  • "Ist der Tod umkehrbar? Medizin-Sensation: Forscher reaktivieren Gehirn von totem Schwein"[3]
  • "«Frankenschwein»: Forscher reaktivieren das Gehirn toter Schweine"[4]
  • "Zombiehirne: 'BrainEx' belebt Hirnfunktionen von Schweinen wieder"[5]

Diese Meldung bezieht sich auf das Ergebnis der Forschung von Nenad Sestan und seinem Team.[6]


Nenad Sestan und sein Team holten sich vom Schlachthof 300 Schweineköpfe, legten ihnen das Gehirn frei und schlossen 32 Gehirne 4 Stunden nach dem Tod der Schweine an ein spezielles Gerät an. Damit wurden die Gehirne mit synthetischem Blut versorgt, angereichert mit Sauerstoff und Medikamenten, die den Sterbeprozess der Gehirnzellen verlangsamen bzw. umkehren. Dieses regenerierende synthetische Blut wurde den Schweinehirnen 6 Stunden verabreicht. Die Forscher stellten fest, dass hernach einige Synapsen wieder funktionierten. Auch zeigte das Gehirn normale Reaktionen auf Medikamente. Die Gehirne verbrauchten auch ebensoviel Sauerstoff wie ein gesundes Gehirn.

Es gab jedoch keine Anzeichen von elektrischer Aktivität, eine zwingende Bedingung, die für Wahrnehmung, Bewusstsein und alle höheren Funktionen des Gehirns notwendig sind.

Eine etwaige Netzwerkaktivität seien absichtlich durch Chemikalien unterdrückt worden. Eine Untersuchung ohne diese Blocker wären durch die Ethikkommission untersagt worden, so die SZ. - Doch in dem Bericht in der NATURE ist von keiner Chemikalie die Rede, die etwaige Netzwerkaktivitäten des Gehirns unterdrückt hätten.

"Laut den Forschern stammten die Gehirne aus der Fleischindustrie; die Tiere wurden also nicht für das Experiment in einem Labor aufgezogen. Allerdings waren die Wissenschaftler von Yale besorgt, dass sich die Schweine bewusst werden könnten, was mit dem körperlosen Gehirn passiert. Das Team überwachte deswegen die Gehirne ununterbrochen, um zu prüfen, ob es Anzeichen für eine höhere Gehirnaktivität gab. In diesem Fall hätten sie das Experiment mit einem Narkosemittel beendet."[3]

Die Studie

Im Internet ist die Studie von Nenad Sestan und seinem Team in englischer Sprache nachzulesen.[7] Die Übersetzung nachfolgender Zitate wurde von Deepl.com durchgeführt.

Nenad Sestan hat ein "extrakorporales pulsierendes Perfusionssystem und ein auf Hämoglobin basierendes, azelluläres, nicht-koagulatives, echogenes und zytoprotektives Perfusat entwickelt, das die Erholung von Anoxie fördert, Reperfusionsschäden reduziert, Ödeme verhindert und den Energiebedarf des Gehirns metabolisch unterstützt. Mit diesem System beobachteten wir die Erhaltung der Zytoarchitektur, die Abschwächung des Zelltods und die Wiederherstellung der vaskulären dilatativen und glialen Entzündungsreaktionen, die spontane synaptische Aktivität und den aktiven zerebralen Stoffwechsel in Abwesenheit der globalen elektrokortikographischen Aktivität. Diese Ergebnisse zeigen, dass das isolierte, intakte große Säugetiergehirn unter geeigneten Bedingungen eine unterschätzte Fähigkeit zur Wiederherstellung der Mikrozirkulation und der molekularen und zellulären Aktivität nach einem verlängerten postmortem Intervall besitzt."

"Viele Säugetierarten haben große, energieaufwändige Gehirne, die sehr anfällig für Anoxie und das Ende der Durchblutung sind. Studien an Menschen und Versuchstieren haben gezeigt, dass Sauerstoffspeicher, globale elektrische Aktivität und Bewusstsein innerhalb von Sekunden nach einer Durchblutungsstörung verloren gehen, während Glukose- und ATP-Speicher innerhalb von Minuten erschöpft sind. Wenn die Perfusion nicht schnell wiederhergestellt wird, führen mehrere irreführende Mechanismen zu einer weit verbreiteten Membrandepolarisation, dem Verlust der ionischen Homöostase, der mitochondrialen Dysfunktion und der excitotoxischen Anhäufung von Glutamat. Die Konvergenz dieser Faktoren wurde allgemein vorgeschlagen, um eine progressive und weitgehend irreversible Kaskade von Apoptose, Nekrose und axonalen Schäden zu initiieren."

Verschiedene "Daten deuten darauf hin, dass die Einleitung und Dauer des Zelltods nach Anoxie oder Ischämie ein längeres zeitliches Intervall umfassen kann, als derzeit angenommen wird, was eine vielschichtige Intervention ermöglicht, die das Fortschreiten schädlicher Zellprogramme stoppen könnte, die durch die globale Beleidigung ausgelöst wurden. Daher gehen wir davon aus, dass unter geeigneten Bedingungen bestimmte molekulare und zelluläre Funktionen im Gehirn großer Säugetiere zumindest teilweise die Fähigkeit zur Wiederherstellung nach einem verlängerten post-mortem Intervall (PMI) erhalten bleiben können."

"Daher haben wir diese Technologie auf das isolierte und weitgehend ex cranio-Gehirn von 6-8 Monate alten Schweinen (Sus scrofa domesticus) 4 h nach der Leiche angewendet."

"Die Überwachung der elektrischen Aktivität von der dorsalen Oberfläche des Gehirns mittels klinischer Oberflächengitterelektroden und Elektrokortikographie (ECoG; auch bekannt als intrakranielle Elektroenzephalographie, EEG) ergab, dass die spontane globale Aktivität nicht wieder auftauchte und dass die ECoG-Aktivität während der BEx-Perfusion isoelektrisch war. Dies zeigt, dass die Organisation und/oder Summierung der synaptischen Aktivität einzelner Neuronen nicht ausreicht, um nach ECoG bewertete nachweisbare Netzwerkaktivitäten hervorzurufen".

Zusammenfassung: "Mit dieser Technologie haben wir gezeigt, dass die Mikrozirkulation und spezifische molekulare und zelluläre Funktionen im Gehirn großer Säugetiere unter ex vivo normothermischen Bedingungen nach einem erweiterten PMI wiederhergestellt werden können (siehe Ergänzende Diskussion). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die molekulare und zelluläre Verschlechterung im Gehirn nach einem Kreislaufstillstand einem langwierigen Prozess zu folgen scheint, anstatt in einem singulären, eng definierten Zeitfenster zu erfolgen. Am wichtigsten ist vielleicht, dass das Säugetiergehirn bei entsprechender Intervention eine größere Kapazität für metabolische und neurophysiologische Resilienz gegenüber anoxischer oder ischämischer Beleidigung aufweist, als derzeit geschätzt wird: Unsere Erkenntnisse über Stoffwechsel, pH-Wert und zerebrale Perfusion stimmen mit den physiologischen Parametern überein, die für die Genesung von nicht-menschlichen Primaten, die einer globalen Ischämie unterworfen wurden, als wichtig für die Genesung angesehen wurden17. Während unsere Daten eine isoelektrische globale Aktivität nach 6 h Perfusion nach einem 4 h PMI zeigen, haben frühere Studien eine proportionale Verzögerung zwischen den Zeiten der globalen Ischämie und dem Wiederauftreten der globalen elektrischen Aktivität in vivo gezeigt. In Abwesenheit längerer Perfusionsstudien ist es noch unklar, ob die von uns beschriebene Technologie in der Lage ist, die globale ECoG-Aktivität im isolierten Gehirn wiederherzustellen. ... Die beobachtete Wiederherstellung molekularer und zellulärer Prozesse nach 4 h globaler Anoxie oder Ischämie sollte nicht extrapoliert werden, um ein Wiederaufleben der normalen Gehirnfunktion zu bedeuten. Im Gegenteil: Zu keinem Zeitpunkt haben wir die Art der organisierten globalen elektrischen Aktivität beobachtet, die mit Bewusstsein, Wahrnehmung oder anderen Hirnfunktionen höherer Ordnung verbunden ist, und unsere Technologie erfordert eine Weiterentwicklung, Optimierung und Implementierung, einschließlich Studien mit längeren Perfusionszeiten. ..."

Erste Urteile

"Das Hirntodkriterium grundsätzlich in Frage zu stellen, scheint mir nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht richtig zu sein. Denn es zielte ja nie auf die zelluläre, sondern die funktional-systemische Ebene", kommentiert der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock.[8]

"Dass es überhaupt möglich sein soll, nach vier Stunden ohne Sauerstoffversorgung eine globale Hirnfunktion wiederherstellen zu können, wage ich zu bezweifeln", meint Bernd Böttiger von der Uniklinik Köln.[8]

"Wenn es in Zukunft möglich wäre, die Funktion des Gehirns nach dem Tod wiederherzustellen, hätte das natürlich wichtige Auswirkungen auf unsere Definition des Todes", sagte Dominic Wilkinson, Professor für medizinische Ethik in Oxford.[3] Dies zeigt, dass hier der Tod nicht verstanden wurde. Der Tod ist irreversibel, ansonsten ist es nicht Tod.

"Obwohl es spontane Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirn gab, stellte sich keine netzwerkartige Kommunikation ein. Die Gehirne entwickelten also kein Bewusstsein oder Empfindungen. Zusammengefasst heißt das: Die Gehirne waren nach wie vor tot", so Sarah Serafini.[3]

""Es ist eine vorübergehende Erhaltung einiger der grundlegenderen Zellfunktionen im Schweinehirn, nicht die Erhaltung von Denken und Persönlichkeit", sagte Tara Spires-Jones, Professorin an der Universität Edinburgh.[3]

"Kurz zusammengefasst: Die Ergebnisse dieser Studie haben keinerlei Implikationen für eine Reanimation beim Menschen", sagt Ulrich Dirnagl, Direktor der Abteilung Experimentelle Neurologie an der Charité in Berlin.[2] Weiter sagt Dirnagl: "Erstens präsentiert er nichts wirklich Neues und zweitens ist die Behauptung, diese Studie präsentiere einen Schritt in Richtung Wiederherstellung von Hirnfunktion nach längerer Unterbrechung der Hirndurchblutung, nicht nur übertrieben, sondern schlichtweg falsch."

"Neurologische Fälle, bei denen ein Nulllinien-EEG besteht und anschliessend EEG-Signale wiederkehren, sind durch diese Studie nicht ‹denkbarer› geworden als zuvor", sagte Annette Rogge von der Christian-Albrechts-Universität Kiel.[4]

"Die Ergebnisse der Nature-Studie haben nichts mit einer Debatte über den Hirntod zu tun", so Dag Moskopp vom Vivantes-Klinikum im Friedrichshain, Berlin.[4]

"Über die gesamte Menschheitsgeschichte schien der Tod sehr einfach. Jetzt stellt sich die Frage, was wirklich unumkehrbar ist", sagte Christof Koch, Präsident des Allen-Instituts für Hirnforschung in Washington.[5]

Fazit

Zusammenfassend lässt sich hierzu sagen, dass dies keine Widerlegung des Hirntodkonzeptes ist, sondern als ein Beitrag zur zukünftigen Therapie nach Schlaganfall (Hirninfarkt) und nach erfolgreicher Renanimation (längerem Herzstillstand) ist. Mit den daraus ergebenden Erkenntnissen könnten in Zukunft noch mehr Menschen vor größeren Schädigungen des Gehirn und dem Hirntod bewahrt werden. Der Hirntod selbst ist davon unberührt.

Die Erkenntnisse aus dieser Studie weitet im günstigsten Fall die Therapiemöglichkeiten vor Eintritt des Hirntodes. Den eingetretenen Hirntod hebt auch diese Therapieform nicht auf, denn der Tod ist per Definition irreversibel, auch der Hirntod. Dies verlieren viele Menschen aus dem Blick, auch Mediziner, wenn sie z.B. vom "klinischen Tod" sprechen. Das ist "nur" ein vorübergehender Kreislaufstillstand, aus dem man den Menschen jedoch wieder herausholten kann. Wenn der Versuch der Reanimation nicht gelingt, dann ist der Mensch tot, aber erst dann. - Solange mit dieser neuen Therapiemöglichkeit der Hirntod verhindert werden kann, ist dies hervorragend. Doch auch diese Therapie wird ihre Grenzen besitzen. Jenseits dieser Grenze bleibt auch dann der Hirntod, irreversibel.

Weitere Meldungen

Das ReAnima-Projekt (2016)

"Die Mission des ReAnima-Projekts ist es, sich auf klinische Forschung in Sachen Hirntod oder unumkehrbarem Koma zu fokussieren; an Patienten, die die Kriterien für einen Hirntod schon erfüllen, aber immer noch mit lebenserhaltenden Maßnahmen vor dem Tod bewahrt werden – ein Zustand, der in vielen Ländern als 'lebender Kadaver' betitelt wird," so Pastor gegenüber "MailOnline". Das Team des Projekts will 15- bis 65-jährige Individuen untersuchen, an denen der Hirntod festgestellt wurde. Falls die Ambitionen von „ReAnima“ erfolgreich sind, könnte das vielen Menschen das Leben retten.[9]

Anhang

Links

Einige Links zum Thema:

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. https://www.focus.de/wissen/natur/tote-schweinehirne-wiederbelebt_id_10606753.html Zugriff am 18.04.2019.
  2. a b https://www.sueddeutsche.de/wissen/biologie-flackern-im-schweinehirn-1.4413850 Zugriff am 18.04.2019.
  3. a b c d e https://www.watson.de/wissen/tiere/798114247-medizin-sensation-gehirn-toter-schweine-wiederbelebt-ist-tod-umkehrbar (18.04.2019) Zugriff am 20.04.2019.
  4. a b c https://www.nzz.ch/wissenschaft/hirntod-forscher-reaktivieren-das-gehirn-toter-schweine-ld.1475644 Zugriff am 18.04.2019.
  5. a b https://www.futurezone.de/science/article216983439/Zombiehirne-BrainEx-belebt-Hirnfunktionen-von-Schweinen-wieder.html Zugriff am 18.04.2019.
  6. https://www.gwern.net/docs/longevity/2019-vrselja.pdf Zugriff am 19.04.2019.
  7. Nenad Sestan: Restoration of brain circulation and cellular functions hours post-mortem. Nach: https://www.gwern.net/docs/longevity/2019-vrselja.pdf Zugriff am 17.04.2019.
  8. a b https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/tote-schweinehirne-wiederbelebt/#utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tote-schweinehirne-wiederbelebt Zugriff am 17.04..2019.
  9. Focus: Unternehmen will Hirntote zurück ins Leben holen. In: Focus (25.04.2016) Nach: https://www.focus.de/gesundheit/dem-tod-entrinnen-unternehmen-will-hirntote-zurueck-ins-leben-holen_id_5463771.html Zugriff am 18.08.2020.