Menschenbild

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Geschichtlicher Abriss des Menschenbildes

Herz-zentriertes Menschenbild Gehirn-zentriertes Menschenbild
Steinzeitliche Darstellung in einer spanischen Mammuthöhle deutet darauf hin, dass das Herz als verwundbarste Stelle unseres Körpers gegolten hat.[1] Ab ca. 5000 v.C. wurden an lebenden Menschen Schädelöffnungen durchgeführt.[2]
Um 1500 v.C. bildete sich im Neuen Reich in Ägypten die Vorstellung, dass im Totengericht das Herz gewogen werden würde.[3] Um 1700 v.C. beschreibt das Papyrus Edwin Smith das Gehirn, ohne Hinweis auf dessen Funktion.[2]
Um 500 v.C. vermutete Alkmaion von Kroton das Gehirn das Organ der Sinneswahrnehmung.[2]
Um 400 v.C. erklärte Hippokrates von Kos (460-370 v.C.) das Gehirn für Empfindungen und Intelligenz verantwortlich.[2]
Im 4. Jh. v.C. lehrte Aristoteles, dass das Herz das Zentralorgan sei und das Zentrum für das menschliche Wesen.[4] Zeitgleich sahen auch die Stoiker das Herz als den Sitz der Seele an.[5] Um 380 v.C. lehrte Platon lehrte, dass mentale Vorgänge im Gehirn verankert seien.[2]
Um 280 v.C. beschreibt Erasistratos von Keos (3005-250 v.C.) Großhirn und Kleinhirn als Teile des Gehirns.[2]

Um 290 v.C. lehrte Herophilos von Chalkedon (330-255 v.C.), dass das Gehirn der Sitz menschlicher Intelligenz sei.[2]

Im 2. Jh. lehrte Galen, dass das Gehirn der Sitz der Seele sei.[3]
Um 900 beschrieb Abu Bakr Muhammad ibn Zakariya ar-Razi (um 864-925) 7 Hirnnerven und 31 Spinalnerven.[2]
Um 1020 erklärte Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham (Alhazen) (um 964-1039), dass das Sehen nicht im Auge erfolgt, sondern im Gehirn.[2]
Um 1200 erwog Moses Maimonides (1135–1204) erstmals, dass der Verlust von Hirnfunktionen mit dem Tod gleichzusetzen sei.[6]
Um 1250 beschrieb Albertus magnus (um 1200-1280) 3 Hirnventrikel (Hohlräume im Gehirn: ein vorderer, ein mittlerer und ein hinterer. Der Prozess von Wahrnehmung über Denken zur Erinnerung erfolge über sie, so wie das Wasser im Römischen Brunnen fließt.[2]
Im 16. Jh. wurde der Anatom Andreas Vesalius (1514-1564) des Mordes beschuldigt, nachdem er bei einer Autopsie ein noch schlagendes Herz freigelegt hatte.
1664 veröffentlichte Thomas Willis (1621-1675) seine "Cerebri anatome" und erklärte die Großhirnrinde als Sitz des Gedächtnisses.[2]
1789 wurde an Guillotinierten durch elektrische Schläge das Herz zum Schlagen angeregt. 1796 veröffentlichte Samuel T. Soemmerring (1755-1830) sein Buch "Über das Organ der Seele", er sah das Gehirn als solches an.[2]
Um 1800 regten Marie François Xavier Bichat (1771-1802) die ersten erfolgreichen Wiederbelebungsversuche zu ausgedehnten anatomischen, histologischen und physiologischen Untersuchungen an. Er grenzte vegetative Grundfunktionen (Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel) als "organisches Leben" von dem Komplex höherer Gehirnleistungen (Bewusstsein, Sinneswahrnehmungen) ab. In Konsequenz dieser Ergebnisse griff er erst viel später entwickelten Erkenntnissen vor und prägte den Begriff "Hirntod".[7]
1811 entdeckte Julien Jean Legallois (1770-1814) das Atemzentrum im Hirnstamm.[2]
1823 erklärte Marie-Jean-Pierre Flourens (1794-1867) das Kleinhirn reguliere motorische Aktivität.[2]

1824 liefert Francois Magendie (1783-1855) erste Hinweise auf die Rolle des Kleinhirns für den Gleichgewichtssinn.[2]
1825 präsentierte Jean-Baptiste Bouillaud Patienten, denen nach Frontalhirnverletzungen die Sprache verloren ging.[2]

1863 veröffentliche Iwan Michailowitsch Setschenow (1829-1905) das Buch "Reflexes of the Brain" (Reflexe des Gehirns).[2]

1864 schrieb John Hughlings Jackson (1835-1911) über den Verlust von Sprache nach Hirnverletzungen.[2]

1870 entdeckten Eduard Hitzig (1838-1907) und Gustav Fritsch (1838-1927) den motorischen Kortex durch elektrische Stimulation der Hirnrinde von Hunden und Katzen.[2]

1872 definierte Guillaume-Benjamin-Amand Duchenne (1806-1875) 13 primäre Emotionen des Menschen anhand elektrischer Stimulationen von Gesichtsmuskeln.[2]
1874 führte Roberts Bartholow elektrische Reizungen an der menschlichen Hirnrinde durch.[2]
1875 registrierte Richard Caton (1842-1926) elektrische Ströme von der Hirnrinde.[2]

1887 zeichnete Augustus Desiré Waller (1856-1922) das erste EKG vom Herzen eines Menschen auf.[8] 1885 unterschied Hermann Ebbinghaus (1850-1909) in seinem Buch "Über das Gedächtnis" zwischen Lang- und Kurzzeitgedächtnis.[2]
1889 erstellte Victor Horsley (1857-1916) bei Affen eine Karte der Hirnrinde für motorischen Handlungen.[2]
1894 publizierte Victor Horsley (1857-1916) seinen Artikel "Über den Tod durch cerebrale Kompression und seine Prävention". Darin beschreibt er erstmals Patienten, die man heute als hirntot bezeichnen würde.
1903 prägte Ivan Pavlov (1848-1936) den Ausdruck "konditionierter Reflex".[2]

1905 entwickelten Alfred Binet (1857-1911) und Theodore Simon (1872-1961) den ersten Intelligenztest.[2]

1909 stimulierte Harvey Cushing (1869-1939) erstmals die menschliche sensorische Hirnrinde elektrisch.[2]

1909 beschrieb Korbinian Brodmann (1868-1918) 47 zytoarchitektonisch unterscheidbare Areale der menschlichen Großhirnrinde (Brodmann's Areae).[2]

1919 beschrieb Cecile Vogt (1875-1962) über 200 verschiedene Regionen der menschlichen Großhirnrinde.[2]
1924 entwickelte der Jenenser Psychiater Hans Berger (1873-1941) eine Methodik der Ableitung von Hirnströmen und legte damit den Grundstein für das EEG.
1929 erprobte Werner Forßmann in einem Selbstversuch die Methode der Herzkatheterisierung.[1] 1929 leitete Hans Berger in Jena das 1. EEG am Menschen ab.[2]

1930 beobachtete Viktor Hamburger (1900-2001) als erster den planmäßigen Zelltod (Apoptose) während der Ontogenese.[2]

1947 führten Sweet () und Beck () die erste erfolgreiche Defibrillation am offenen Herzen eines Menschen durch. In den 1950er Jahren entwickelte Vladimir A. Negovskij, der sich auf dem Gebiet der Reanimationsforschung verdient gemacht hatte, das Konzept des "biologischen Todes", wie er ihn nannte. Dabei ging er davon aus, dass der Mensch als tot anzusehen ist, wenn sein Gehirn nicht mehr arbeitet.[9]
1953 stellte der amerikanische Arzt John Gibbon in Philadelphia die erste Herz-Lungen-Maschine vor und schafft damit die Basis, das stillstehende Herz zu öffnen und zu operieren.[1] 1956 wies Roger Wolcott Sperry (1913-1994) durch Experimente am Frosch nach, dass Verhaltensleistungen unmittelbar auf korrekten Mustern neuronaler Kontakte beruhen.[2]
1958 wurde der erste Herzschrittmacher implantiert.[1] 1959 beschrieben Pierre Mollaret (1898-1987) und Maurice Goulon (1919-2008) erstmals unter dem Begriff "Coma depassé" (jenseits/unterhalb des Komas, "überschrittenes Koma") einen Zustand, welcher bei künstlicher Beatmung keinerlei Lebenszeichen des Gehirns erkennen ließ, der nicht umkehrbar war und irgendwann zum Herztod führte.
1960 veröffentlichten Wertheimer, Rougement, Jouvet und Descotes in einem Artikel, dass sie eine künstliche Beatmung beendet haben. Als Kriterien für ihr Handeln nannten sie: Nachweis der völligen Areflexie, keine Eigenatmung, das EEG weist eine Nulllinie auf und eine angiographische Darstellung der Hirndurchblutung.
1962 übernahmen Judith Hockaday und ihre Forschergruppe das Konzept von Vladimir A. Negovskij und präsentierten 1962 auf einem Kongress der EEG-Gesellschaft ein begrifflich ausgereiftes Todeskonzept, bei dem das Erlöschen der Hirnfunktionen als Zeichen des Todes zu verstehen sei.[10]
1964 wurde auf dem Deutschen Chirurgenkongress eine erste einfache HTD verabschiedet.[11]
1966 führten Fred Plum (1924-2010) und Jerome Posner () den Begriff "Locked-in-Syndrom" für Patienten ein, die zwar (fast) alles wahrnehmen können, aber (fast) vollständig gelähmt sind, unfähig sich mitzuteilen.
Am 3.12.1967 transplantitierte Christiaan Barnard das erste Herz. Das hätte das Ende des Herz-zentrierten Menschenbildes sein müssen. Am 10.5.1966 stellte die Kommission der frz. "Académie Nationale de Médicine" das Ergebnis ihrer Arbeit vor: Der irreversible Funktionsverlust des Gehirns wurde als neues Todeskriterium eingeführt.[12]
April 1968 stellte diese Kommission der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie das Ergebnis ihrer Arbeit unter dem Titel "Todeszeichen und Todeszeitbestimmung" vor. Nach der frz. medizinischen Akademie bejaht auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie das Hirntodkonzept. Menschen mit irreversiblen Funktionsverlust des Gehirns werden als Tote angesehen.[13]
Eine aus Medizinern, Juristen und Theologen gebildete Ad-Hoc-Kommission der Harvard University schuf am 5.8.1968 das sogenannte Hirntod-Konzept.
1969 wurde der Begriff "irreversibles Koma" durch verschiedene Kriterien (z.B. EEG-Nullinie, 24 Stunden später keine Verbesserung) erweitert und dies als "Hirntod" definiert.
1980 wurde der erste Defibillator eingesetzt.[1] 1979 begann eine durch den Wissenschaftlichen Beirat der BÄK gebildete Kommission mit der Ausarbeitung einer "Entscheidungshilfe zur Feststellung des Hirntodes". Diese wurde 1982, 1991, 1997 und 2015 aktualisiert.
1982 wurde das erste künstliche Herz eingesetzt. Es funktionierte 4 Monate.[1] 1982 gab die BÄK die 1. Fortschreibung der Entscheidungshilfe zur HTD heraus. [11]
1983 gab der Weltärztebund eine Deklaration zur Definition des Todes heraus.
1991 gab die BÄK die 2. Fortschreibung der Entscheidungshilfe zur HTD heraus.[11]
1995 bekam im Deutschen Herzzentrum Berlin erstmals ein Patient sein eigenes Herz wieder eingesetzt, nachdem es sich außerhalb des Patienten erholt hatte und ein Kunstherz die Arbeit übernommen hatte.[1] 1997 gab die BÄK die 3. Fortschreibung der Entscheidungshilfe zur HTD heraus.[11]
2011 brachte die "Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften" (SAMW) die Schrift "Es gibt nur einen Tod" heraus.
2015 brachte der DER am 24.2.2015 seine Stellungnahme zu "Hirntod und Organspende" heraus. Für 7 Mitglieder ist der Hirntod nicht der Tod des Menschen, für 18 Mitglieder ist der Hirntod der Tod des Menschen.
2015 übergab die BÄK die 4. Fortschreibung der Entscheidungshilfe zur HTD an das Bundesministerium für Gesundheit, das diese Richtlinie am 30.3.2015 in Kraft setzte.[11]
2015 brachte die Deutsche Bischofskonferenz die Arbeitshilfe "Hirntod und Organspende" heraus. Darin heißt es auf Seite 6: "Nach jetzigem Stand der Wissenschaft stellt das Hirntod-Kriterium im Sinne des Ganzhirntodes – sofern es in der Praxis ordnungsgemäß angewandt wird – das beste und sicherste Kriterium für die Feststellung des Todes eines Menschen dar, so dass potentielle Organspender zu Recht davon ausgehen können, dass sie zum Zeitpunkt der Organentnahme wirklich tot und nicht nur sterbend sind."

Siehe auch:
Kardiozentriertes Menschenbild (Herz-zentrieres Menschenbild)
Enzephalozentrisches Menschenbild (Gehirn-zentriertes Menschenbild)

Anhang

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. a b c d e f g http://www.madeasy.de/4/herzhist.htm Zugriff am 27.5.2016.
  2. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae af Robert-Benjamin Illing: Stationen der Gehirnforschung durch die Jahrtausende. Zugriff im Internet unter: http://www.uniklinik-freiburg.de/neurobiologie/live/geschichte.html Zugriff am 15.3.2014.
  3. a b https://de.wikipedia.org/wiki/Seele Zugriff am 8.7.2016.
  4. Dag Moskopp: Hirntod, 44.
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Seele 8.7.2016.
  6. Siehe: Steven Laureys: Hirntod und Wachkoma. In: Spektrum der Wissenschaft 2/2006, 62. http://www.coma.ulg.ac.be/papers/german/05_spektrum_hirntod.pdf Zugriff am 12.8.2016.
  7. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Deutsche Stiftung Organtransplantation: Kein Weg zurück ... Informationen zum Hirntod. Frankfurt a.M. 2012, Seite 10.
  8. Referenzfehler: Es ist ein ungültiger <ref>-Tag vorhanden: Für die Referenz namens edv wurde kein Text angegeben.
  9. Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten, 55.
  10. Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten, 55.
  11. a b c d e http://www.aerzteblatt.de/archiv/6339/Bekanntmachungen-Stellungnahme-des-Wissenschaftlichen-Beirates-der-Bundesaerztekammer-Kriterien-des-Hirntodes-Entscheidungshilfen-zur-Feststellung-des-Hirntodes Zugriff am 3.2.2015.
  12. Siehe: Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten, 99.
  13. Gesa Lindemann: Beunruhigende Sicherheiten, 113f.