Locked-in-Syndrom

Aus Organspende-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Definition

Das Locked-in-Syndrom (engl. eingesperrt) ist die Bezeichnung „für die Unfähigkeit, sich durch Bewegungen spontan od. durch Bewegungen spontan verständlich zu machen“ (Pschyrembel, 978).

Ursachen

Die Ursache ist meist eine Schädigung im Pons, seltener im Mittelhirn oder auf beiden Seiten der Capsula interna.

Das Locked-in-Syndrom ist in der Regel die Folge eines Schlaganfalls. Aber auch Folgendes kann die Ursache sein:[1]

  • Jede Störung (wie eine Krebserkrankung im Gehirn, eine Infektion oder eine Kopfverletzung), die den mittleren Teil des Hirnstamms, aber nicht diejenigen Teile des Gehirns zerstört, die das Bewusstsein und die geistige Funktion kontrollieren (der obere Teil des Hirnstamms und das Großhirn)
  • Bestimmte giftige Substanzen wie Insektizide oder eine Überdosierung von Opioiden
  • Selten eine vollständige Lähmung der peripheren Nerven und Muskeln, wie bei schwerem Guillain-Barré-Syndrom oder bei Krebs im mittleren Teil des Hirnstamms oder im umliegenden Bereich

Diagnose

Da das Locked-in-Syndrom irrtümlicherweise für Stupor oder Koma gehalten werden kann, werden Patienten, die sich nicht bewegen und nicht ansprechbar scheinen, von Ärzten getestet, indem sie aufgefordert werden, ihre Augen zu öffnen und zu schließen.[1]

Bildgebungstests des Gehirns wie Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) werden durchgeführt, um die Ursache zu bestimmen und vor allem Störungen festzustellen, die behandelt werden könnten.[1][1]

Wenn die Diagnose unsicher ist, können andere bildgebende Tests durchgeführt werden, wie z. B. Elektroenzephalografie (EEG), Positronen-Emissions-Tomografie (PET), Einzelphotonen-Emissions-Computertomografie (SPECT), funktionelle MRT oder evozierte Potenziale.[1]

Symtome und Behandlung

Das Locked-in-Syndrom ist eine fast vollständige Lähmung. Das Bewusstsein und die geistige Funktion sind nicht beeinträchtigt. Die Patienten können nicht das Gesicht verziehen, sich bewegen, sprechen oder eigenständig kommunizieren, aber sie können ihre Augen nach oben und unten bewegen und blinzeln.[1]

  • Das Locked-in-Syndrom wird in der Regel von einem Schlaganfall verursacht, möglicherweise aber auch vom Guillain-Barré-Syndrom oder einer Krebserkrankung, die einen bestimmten Teil des Gehirns betrifft.
  • Patienten mit diesem Syndrom können ihre untere Gesichtshälfte nicht bewegen, nicht kauen, nicht schlucken, nicht sprechen, ihre Gliedmaßen nicht bewegen und ihre Augen nicht hin- und herbewegen. Sehen, Hören, eine Bewegung der Augen nach oben und unten sowie Blinzeln sind jedoch in der Regel möglich.
  • Um ein Locked-in-Syndrom festzustellen, werden Patienten, die sich nicht bewegen und nicht ansprechbar scheinen, von Ärzten getestet, indem sie aufgefordert werden, ihre Augen zu öffnen und zu schließen. Außerdem führen sie bildgebende Verfahren durch, um die Ursache zu bestimmen.
  • Falls sie festgestellt werden kann, wird die Ursache behandelt. Weiterhin besteht die Therapie in einer guten Ernährung, einer Vorbeugung von durch Immobilisierung verursachten Problemen (wie Druckgeschwüre) und Kommunikationstraining.

Patienten im Locked-in-Syndrom absolut bewegungsunfähig. In Ausnahmefällen können sie einzelne Gliedmaßen (z.B. nur einen Finger) bewegen. Oft ist eine Kommunikation Mithilfe von Augenbewegungen möglich. Wenn das nicht mehr möglich ist, bietet ein Brain-Computer-Interface noch eine Möglichkeit der Kommunikation mit der Außenwelt.

Patienten im Locked-in-Syndrom sind wach - nicht komatös! - und nehmen meist alles wahr. Ihr Handicap ist, dass sie nach außen nichts mitteilen können. Daher werden sie mitunter auch mit komatösen Patienten verwechselt.

Wachkoma, dem Locked-In-Syndrom und Hirntod

Das Locked-in-Syndrom ist eine infratentorielle Hirnschädigung. Ohne Nulllinien-EEG oder ohne Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstands kann es mit dem Hirntod verwechselt werden. Um dem vorzubeugen, muss bei den Voraussetzungen zur Hirntoddiagnostik geklärt werden, ob es sich um eine infratentorielle Hirnschädigung oder um eine supratentorielle Hirnschädigung handelt.

Handelt es sich um einen infratentorielle Hirnschädigung, ist von vorne herein zur Überprüfung der klinischen Symptome auch ein Nulllinien-EEG oder der Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstands zwingend vorgeschrieben. Damit wird auf jeden Fall ein Locked-in-Syndrom entdeckt.

Während beim Wachkoma bzw. apallischen Syndrom die Funktionen des Großhirns schwer beeinträchtigt sind, ist der Hirnstamm weitgehend intakt.

Beim Locked-In-Syndrom ist es genau umgekehrt. Hier sind die Großhirnfunktionen erhalten, dagegen liegen schwere Schädigungen des Hirnstamms vor.
Beim Hirntod sind alle Funktionen des Gehirns erloschen. Die medizinische Diagnose ist: “Irreversibler Hirnfunktionsausfall”.[2]

Historisches

Die ersten Beschreibungen des Krankheitsbildes kamen von Literaten der Weltliteratur, nicht von Medizinern. Alexandre Dumas (1762-1806) z.B. beschreibt im “Graf von Monte Christo” eine Person, die unter den Symptomen des Locked-In-Syndroms leidet. Dumas schreibt, dass “die Seele in einem Körper eingeschlossen ist, welcher nicht mehr Anordnungen befolgt, obwohl seine intellektuellen Fähigkeiten intakt sind”.[2]

Hinweise

Hinweis 1
Einige Kritiker verweisen darauf, dass ein komplettes Locked-in-Syndrom kaum vom Hirntod zu unterscheiden sei. Hier hält Dag Moskopp entgegen: "Selbst der extrem seltene Zustand eines kompletten Locked-in-Syndroms würde gemäß den deutschen Richtlinien - darauf legte Reinhold A. Fronwein durch die Modifikation in der 1. Fortschreibung der Entscheidungshilfen Wert - schon deswegen nicht falsch positiv einem Hirntod-Syndrom zugeordnet werden, weil im Rahmen der Forderung nach Erfüllung der Vorausstzungen (Stufe I der Hirntod-Diagnostik) die Art der Hirnerkrankung zunächst geklärt werden müsste.
Dabei würde sich dann, etwa durch eine computergestützte Bildgebung, ergeben, dass es sich primär um eine Erkrankung des Hirnstamms in der hinteren Schädelgrube handelt. Demnach wäre die ableitung etw eines EEGs obligat. Ein EEG im Zustand des koompletten Locked-in-Syndroms iat aber nicht isoelektrisch. Es läge dann zwa ein schwerstgradiges Defektsyndrom vor, aber das EEG würde zeigen, dass nicht sämtliche Hirnanteile vollständig funktionsuntüchtig wären."<Dag Moskopp: Hirntod, 108f.</ref>

Hinweis 2
Einige Kritiker schreiben, als würden Patienten im Locked-in-Syndrom zur Gruppe der Hirntoten gehören. Hier hält Dag Moskopp entgegen: "Vorsicht ist außerdem geboten, wenn man über Begriffe wie 'Bewusstsein' und 'Tod' lediglich anhand von Skalen kommunizieren will. Anhand der 'Glasgow Coma Scale' (GCS) würde einem Patienten im kompletten Locked-in-Syndrom (mit definitionsgemäß erhaltenem Bewusstsein ohne motorische Entäußerungsmöglichkeit) der niedrigste Punktrang (GCS 3) zugeordnet, wohingegen ein Hirntoter mit ausgeprägtem sog. Lazarus-Zeichen mindestens als GCS 5, wenn nicht sogar als GCS 6 klassifiziert würde."<Dag Moskopp: Hirntod, 108.</ref>

Beispiele berühmter Patienten

Ein berühmter Patient mit Locked-in-Syndrom ist Jean-Dominique Bauby (1952-1997). Im Alter von 43 Jahren erlitt er einen massiven Hirninfarkt. Als er aus dem Koma erwachte, konnte er etwas grunzen und mit seinem linken Augenlid blinzeln. In diesem Zustand blieb er 15 Monate bis zu seinem Tod.
Es wurde im eine eigene Apparatur gebaut, mit deren Hilfe er durch Zwinkern sich nicht nur mitteilen konnte, sondern auch das Buch Schmetterling und Taucherglocke schrieb, alles nur mit seinem linken Augenlid tippend. Das Buch wurde verfilmt. - Den Titel des Buches hat Chefredakteur des Magazins Elle selbst gewählt, da er sich wie ein Tiefseetaucher in seiner Taucherglocke vorkommt. Innen fühlte er sich wie ein Schmetterling lebendig, hatte jedoch nur diese kleine Blickfenster, mit dem er sich per Augenzwinkern mit der Außenwelt verständlich machen konnte.[Anm. 1]

Julia Tavalaro war im Locked-in-Syndrom. Mit therapeutischer Hilfe konnte sie sich immer besser mitteilen. Sie schrieb danach das Buch "Bis auf den Grund des Ozeans" (amerik. Originaltitel: "Look up for yes" (Sehen Sie mich an))

Liste von Personen im Locked-in-Syndrom

Quelle: Wikipedia, englisch (Zugriff am 20.12.2016), erweitert mit recherchierten Daten.

Name geb. LIS Beschreibung
Kate Allat
Jean-Dominique Bauby 1952 1995 1997
Rabbi Ronnie Cahana
Lynsey Cribbin
Stephen Hawking 1942 hat Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Rom Houben 1983 Autounfall, Diskussion um Sterbehilfe
Graham Miles
Elias Musiris
Tony Nicklinson 1954 2005 2012 Schlaganfall, Diskussion um Sterbehilfe
Eoin O'Mahony
Gary Parkinson 1968 2010 brit. Fußballer
Martin Pistorius
Tony Quan
Erik Ramsey
Julia Tavalaro 1935 1966
Christine Waddell

Menschen im Locked-in-Syndrom, die als Hirntote angegeben werden (siehe: lebende Hirntote:

Name geb. LIS Beschreibung
Rom Houben 1983
Kate Allat 2011
Julia Tavalaro 1966
Martin Pistorius

LIS = das Jahr der Ursache, durch die diese Person in das Locked-in-Syndrom geriet.

Komatöse und pseudo-komatöse Zustände im Vergleich zu Hirntod

Hirntod im Vergleich zu anderen komatösen und pseudo-komatösen Zuständen:[3]

Bewusstsein
Selbstwahrnehmung
Schmerz-
empfinden
Schlaf-Wach-
Zyklen
motorische
Funktionen
Hirnstamm-
reflexe
respiratorische
Funktion
Prognose
akinetischer Mutismus partiell vorhanden, deutlich gestört intakt, aber keine Schmerzabwehr vorhanden, zum Teil gestört keinen spontane Motorik intakt intakt im Allgemeinen gut
apallisches Syndrom nicht vorhanden nicht erkennbar zumeist intakt keine bewusste, zielgerichtete Motorik intakt intakt abhängig von der Ätiologie
Koma nicht vorhanden (Definition!) abhängig von Komatiefe abhängig von Komatiefe keine bewusste, zielgerichtete Motorik vorhanden oder partiell erloschen unterschiedlich gestört abhängig von der Ätiologie
Locked-in-Syndrom intakt intakt intakt Quadriplegie, nur Augenbewegungen intakt (zumeist) intakt zumeist infaust
Anenzephalie nie vorhanden* nie vorhanden* ? keine bewusste, zielgerichtete Motorik abhängig von Ausprägung abhängig von Ausprägung immer infaust
Hirnrinden-Tod erloschen erloschen nein keine bewusste, zielgerichtete Motorik intakt (zumeist) intakt immer infaust
Hirnstamm-Tod erloschen(?) erloschen nein keine oder spinale Reflexmotorik erloschen erloschen immer infaust
Hirntod erloschen erloschen nein keine oder spinale Reflexmotorik erloschen erloschen

nie vorhanden* = Bei Anenzephalie waren Großhirn und Kleinhirn nie angelegt. Daher waren diese Funktionen auch nie vorhanden.

Basiskriterien zur Beurteilung der Hirnstammfunktionen

Basiskriterien zur Beurteilung der Hirnstammfunktionen und Hirnstammreflexe[4]

Mittelhirnsyndrom Bulbärhirnsyndrom
Stadien 1 2 3 4 5 6
Vigilanz leichte Somnolenz tiefe Somnolenz Koma Koma Koma Koma
Reaktion auf sensorische Reize verzögert, mit Zuwendung vermindert, ohne Zuwendung keine Reaktion keiner Reaktion keine Reaktion keine Reaktion
Bulbus normal, pendelnd beginnende Divergenz, dyskonjugiert Divergenz fehlt Divergenz fehlt Divergenz fixiert, fehlt Divergenz fixiert, fehlt
Pupillenweite mittelweit verengt eng mittelweit, erweitert erweitert maximal weit
Lichtreaktion normal verzögert träge vermindert fast fehlend fehlt
Spontanmotorik Wälzbewegungen Bewegung der Arme, Streckhaltung der Beine Beuge- und Streckhaltung Streckhaltung Restsymptomatik nach Streckhaltung schlaffe Haltung
Motorische Reaktion auf Schmerzreize im Gesicht prompt, Abwehr gerichtet verzögert, Abwehr ungerichtet Beuge-Streck-Stellung Strecksynergismen Restsymptomatik nach Strecksynergismen spinale Automatismen
Muskeltonus normal in den Beinen erhöht erhöht stark erhöht gering erhöht schlaff
Babinski-Phänomen angedeutet nachweisbar stark positiv stark positiv fraglich negativ
Atmung normal normal oder flach mit Pausen flach mit Pausen sehr stark unregelmäßig keine Eigenatmung
Pulsfrequenz steigend bis 90 steigend bis 90 steigend bis 120 steigend über 150 fallend auf 100, schwankend fallend auf 80, schwankend
Blutdruck normal normal leicht erhöht deutlich erhöht vermindert stark vermindert
Temperarur normal erhöhöt erhöht bis 39°C stark erhöht bis über 39°C sinkend auf 39°C sinkend auf unter 37°C

Vom Mittelhirnsyndrom zum Bulbärhirnsyndrom

Klinische Symptomatik des Mittelhirnsyndroms (MHS) hin zum Bulbärhirnsyndrom (BHS)[5]

Symptom/Prüfung Mittelhirnsyndrom Übergangsphase Bulbärhirnsyndrom
Bewusstsein, Vigilanz Koma Koma Koma
Blinzelreflex keiner keiner keiner
Arme, Beine gestreckt Rückgang der Streckstellung schlaff
Bewegungen Streckkrämpfe, Streckstarre keine keine
Schmerzreize Strecksynergismen, verstärkt gestreckt keine oder Strecksynergismen auslösbar keine
Muskeltonus stark erhöht, 'als ob der Patient aktiv gegenspannt' Rückgang der Muskelhypertonie, zuerst an Armen atonisch
Muskeleigenreflexe Hyperreflexe abgeschwächt keine
Pyramidenbahnzeichen ja ja keine oder schwache
Bulbusstellung deutliche Divergenz Divergenz Divergenz
Bulbusbewegung keine keine keine
Pupillen mittelweit, weit weit maximal weit
Lichtreaktion deutlich vermindert noch angedeutet keine
Kornealreflex ja schwach keiner
Ziliospinaler Reflex nein nein nein
Okulozephaler Reflex vermindert nein nein
Vestibulookulärer Reflex mit dissoziierter Reaktion nein nein
Atmung Tachypnoe, maschinenartig beschleunigt, flach Apnoe
Pulsfrequenz Tachykardie beschleunigt, flach Abfall bis Bradykardie
Blutdruck Hypertonus Rückgang ((RR-Abfall) Hypotonie
Temperatur Hypertermie Rückgang (Temperaturabfall) leicht erhöht, normal
Schweißsekretion Hyperhidrosis Hyperhidrosis

Anhang

Quellen

Auch aus diesen Dissertationen wurde geschöpft:

Anmerkungen

  1. Das Buch wie auch der Film ist sehr empfehlenswert. Personal (Ärzte und Pflegende) in Krankenhäuseren und Pflegeeinrichtungen sollten das Buch gelesen oder zumindest den Film angesehen haben. Es prägt den Umgang mit Patienten.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Kenneth Maiese: Locked-in-Syndrom. Nach: https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/st%C3%B6rungen-der-hirn-,-r%C3%BCckenmarks-und-nervenfunktion/koma-und-bewusstseinsst%C3%B6rung/locked-in-syndrom Zugriff am 23.02.2023.
  2. a b Christina Rückert, Sedef Kuecuekuncular: Locked-in-Syndrom. (29.07.2022) Nach: https://schlaganfallbegleitung.de/wissen/locked-in-syndrom Zugriff am 23.02.2023.
  3. Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2 Auflage. Neu-Isenburg 2001, 72.
    ==== Die gelb markierten Zustände wurden von Klaus Schäfer ergänzt.
  4. Walied Abdulla: Interdisziplinäre Intensivmedizin. 3. Auflage. München 2007, 650.
  5. Dietmar Schneider: Der hirntote Patient. In: Sven Berker, Sven Laudi, Udo X. Kaisers (Hg.): Intensivmedizin konkret. Fragen und Antworten. Köln 2016, 679f.