Hinterbliebenenbetreuung

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Hinterbliebenenbetreuung ist die psychologische und seelsorgliche Begleitung der Hinterbliebenen von Organspendern. Sie beginnt mit der Feststellung des Hirntods und geht über die Bestattung des Organspenders hinaus.

Begrifflichkeit

Oft wird in diesem Zusammenhang von "Angehörigenbetreuung" gesprochen. Dies ist jedoch ein zwar weit verbreiteter, aber unkorrekter Ausdruck, da Angehörige zu Lebzeiten eines Patienten sind. Ist der Patient jedoch verstorben, ob in den Herz- Lungentod oder den Hirntod, so sind es Hinterbliebene. Es sind Menschen, die der Verstorbene hier in dieser Welt zurückgelassen hat. Sie sind dem Verstorbenen nicht nachgefolgt, sondern sind hier in dieser Welt geblieben. Aus diesem Grunde ist Hinterbliebenenbetreuung hierfür der korrekte Ausdruck.

DSO-Region Mitte

Es gibt wenige Statistiken über die Arbeit von Hinterbliebenenbetreuung. Dietmar Mauer und Sabine Moos betrieben in der DSO-Region Mitte nicht nur eine sehr umfassende und engagierte Hinterbliebenenbetreuung, sondern führten unter den Hinterbliebenen von Organspendern auch Umfragen durch. Dies wurden im Jahr 2008 im Hessischen Ärzteblatt veröffentlicht.[1]

Die damaligen DSO-Mitarbeiter Dietmar Mauer und Sabine Moos beschreiben die Situation des Jahres 2008 mit den Worten:

In Deutschland wurde der Betreuung von Angehörigen während und nach postmortaler Organspende bisher keine große Bedeutung beigemessen. Da auch offizielle Formen der gesellschaftlichen Anerkennung bundesweit fehlten, entwickelte die DSO-Region Mitte das Angehörigenprojekt. Das Projekt ist eine erste Initiative, die Betreuung der Angehörigen flächendeckend in drei Bundesländern (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland) auch über die Organspende hinaus sicherzustellen. In das Projekt ist zudem die Weiterbildung des Intensivpersonals in der Angehörigenbetreuung integriert.

Ende 2014 gab die DSO bekannt, dass sie sich auf ihre Kerngeschäfte zurückzieht. Damit dürften alle DSO-Projekte der Hinterbliebenenbetreuung Vergangenheit werden.

Die von Dietmar Mauer und Sabine Moos betriebene Hinterbliebenenbetreuung umfasste: "vom Erstkontakt auf der Intensivstation, dem Gespräch über eine mögliche Organspende, der Gestaltung des Übergangs in den OP, der Abschiednahme nach der Explantation bis hin zur Betreuung der Spendefamilien nach der Organspende.
Im Anschluss an die Organspende erhalten die Familien in angemessenem zeitlichem Abstand, wenn sie es wünschen, einen Dankesbrief durch den betreuenden Koordinator. In diesem Brief wird auch anonym über das Ergebnis der Transplantation berichtet.
Ungefähr ein Jahr nach der Organspende werden die Angehörigen von der DSO zusammen mit erfahrenen Psychologen zu einem Seminartag eingeladen. Dabei wird es den Angehörigen ermöglicht, auch mit anderen Familien in Kontakt zu treten. Koordinatoren der DSO beantworten alle Fragen zum Ablauf der Organspende, zur Hirntoddiagnostik und Verteilung der Organe. Außerdem bedanken sich langjährig transplantierte Patienten stellvertretend für alle persönlich bei den Angehörigen."

Seit 2002 wurde für die Befragung der Hinterbliebenen von Organspendern ein Fragebogen ausgearbeitet. Die Antworten flossen direkt in die Hinterbliebenenbetreuung ein. Auch wirken die Antworten vielen Vorurteilen entgegen:

  • Eine stabile Entscheidung für eine Organspende ist in der überwiegenden Anzahl der Fälle (> 90 Prozent) möglich.
  • Die Organspende erschwert nicht die Zeit der Trauer.
  • In den meisten Fällen (> 90 Prozent) wurde bei der Bitte um die Organspende von den Angehörigen kein Druck empfunden.
  • In mehr als 50 Prozent hatten die Hinterbliebenen die Ärzte auf die Organspende angesprochen oder hatten die Frage erwartet.
  • Die Abschiednahme nach der Organspende beugt negativen Vorstellungen (Entstellung des Leichnams durch die Organentnahme) vor und erleichtert den Beginn der Trauer.

Aus den Antworten der Hinterbliebenen wurde für das Personal der Intensivstationen eine Leitlinie zur Gesprächsführung erarbeitet. Diese wurde an viele Kliniken der DSO-Region Mitte verteilt. Darin sind auch rein praktische Hinweise enthalten, die mit der eigentlichen Gesprächsführung nichts zu tun haben, sondern mit dem Rahmen, so z.B.: nicht am Bett des Hirntoten, nicht auf dem Flur, sondern in einem Raum mit Sitzgelegenheit.

Wichtige Gesprächsinhalte sind:

  • Wurde der Hirntod und damit Tod des Patienten verstanden?
    (Falls nein, verbietet sich die Frage nach Organspende. Der Hirntod und seine Ursachen sollten erneut verständlich gemacht werden).
  • Wie geht es jetzt weiter? (Beendigung der Intensivtherapie) Es empfiehlt sich mehrmals klar auszusprechen: "Ihr Angehöriger ist tot/verstorben".
  • Vor Beendigung der Intensivtherapie muss jedoch die Frage geklärt werden, ob der Verstorbene sich zu Lebzeiten zur Organspende geäußert hat, bzw. der mutmaßliche Wille des Verstorbenen hierzu ermittelt werden. Der Hinweis auf das Schicksal der Wartepatienten erklärt der Familie das "Warum" dieser Frage.
  • Vom Fragenden wird klar formuliert, dass die Entscheidung der Familie – egal wie sie ausfällt – akzeptiert wird.
  • Ist die Bitte um Organspende ausgesprochen, orientiert sich der Verlauf des Gespräches ganz an den Reaktionen der Hinterbliebenen:
    • Brauchen sie weitere Informationen?
    • Brauchen sie Zeit, um untereinander die Frage zu besprechen?
    • Gibt es Einigkeit innerhalb der Familie?
  • Bei Ablehnung der Organspende:
    • Akzeptanz der Entscheidung signalisieren.
    • Weiteren Ablauf klären.
  • Bei Akzeptanz der Organspende:
    • Ablauf und Umfang der Entnahme besprechen
    • über Verteilungskriterien der Organe informieren
    • Verlauf nach Organspende (obligater Hinweis, auf die Möglichkeit den Verstorbenen nach der Entnahme noch einmal zu sehen)
    • Info über Dankbrief/Angehörigentreffen und erforderliche Datenspeicherung
    • Nennung von Ansprechpartner für spätere Kontaktaufnahme (Visitenkarte des Koordinators)
Anerkennung der Organspende

In Jahre 2004 erweiterte die DSO das Angehörigenprojekt. Angeregt durch internationale Beispiele (USA, Israel, Australien) veranstaltete das Team der Region Mitte eine öffentliche Ehrung von Hinterbliebenen verstorbener Organspender. Unter dem Motto "Dem anonymen Organspender ein Gesicht geben", trafen sich die Hessische Gesundheitsministerin Silke Lautenschläger am 13. November 2004 in Limburg an der Lahn und die Rheinland-Pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer am 10. Februar 2005 in Mainz mit betroffenen Familien. Im Saarland nahm Minister Hecken im November 2007 an einer Veranstaltung mit Angehörigen teil.

"Im Tod Leben schenken – dafür gebührt den Verstorbenen und ihren Familie Dank und gesellschaftliche Anerkennung. Gemeinsam mit der DSO wollen wir mit dieser Veranstaltung in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ein bundesweites Zeichen setzen", so die Sozialministerinnen und der Minister in ihren Ansprachen.

Im Jahre 2007 konnte an der Justus-Liebig-Universität in Gießen durch das Ausbildungsprogramm "Begleitung von Angehörigen im Entscheidungsprozess zur Organspende" umgesetzt werden."

Die Hinterbliebenenbetreuung ist für die Organspende langfristig lebenswichtig,denn die Hinterbliebenen "können wie keine andere Gruppe, authentisch und überzeugend über ihre Motive zur Organspende berichten."
Hinterbliebenen, bei denen nicht vorbildlich verlaufen ist und die sich selbst überlassen wurden, könnten sich zu neuen Kritiker der Organspende entwickeln, so wie es bei Renate Greinert geschah.[Anm. 1]

Daher schreiben Dietmar Mauer und Sabine Moos am Ende ihres Artikels: "Eine verbesserte Angehörigenbetreuung erhöht die Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit der Organspende in der Öffentlichkeit und im Krankenhaus. Dies wird zukünftig die Organspendebereitschaft in Deutschland positiv beeinflussen."

Die Ergebnisse im Einzelnen

Würden Sie heute genauso entscheiden? (n = 406)
89,7% = ja, 1,0% = nein, 8,4% = weiß nicht, 1,0% = keine Angaben

Erschwerte die Organspende die Trauerzeit? (n = 235)
8,9% = ja, 82,1% = nein, 7,7% = weiß nicht, 1,3% = keine Angaben

Fühlten Sie sich unter Druck gesetzt? (n = 235)
7,2% = ja, 91,1% = nein, 1,7% = keine Angaben

Wie haben Sie die Bitte um Organspende erlebt? (n = 406)
33,7% = überrascht, 8,9% = schockiert, 40,4% = Frage erwartet, 15,0% = selbst angesprochen, 2,0% = keine Angabe

Anhang

Quellen

Anmerkungen

  1. Ihr Sohn Christian starb 1985 nach einem Verkehrsunfall in den Hirntod. Die Eltern stimmten den Organspende zu und erlebten dabei Schreckliches. Renate Greinert tritt nach rund 30 Jahren noch immer in den Medien auf und tut so, als würde es heute noch genauso ablaufen. In den Medien ist kein Hinweis zu hören oder zu lesen, dass sich dies bereits 1985 ereignete und wir in Deutschland seit 1997 ein TPG haben, das solche schrecklichen Erlebnisse verbietet. (Dieser Punkt steht nicht in dem Artikel, sondern wird von Klaus Schäfer so gesehen.)

Einzelnachweise