Hans Jonas: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Zitat|Dag Moskopp: Diese im Bostoner Paper nicht ausgesprochenen, aber subtextual augenfälligen Missstände nahm demgegenüber sehr wohl der in Mönchengladbach geborene Hans Jonas war und verfasste seine mehrfach aktualisierte Streitschrift hierzu (1968 ff.). Unklar bleibt aus heutiger Sicht, weswegen er beispielsweise die im hier vorliegenden Artikel dargestellte und publikatorisch gut belegbare Entwicklung zwischen 1952 und 1960 unerwähnt lässt. Er versteigt sich vielmehr und offenbar auf dem Boden einer räumlich und örtlich situativen Teilwahrnehmung in den USA unüberprüft zu der Falsch-Behauptung, der Hirntod (brain death) sei de novo 1968 in Harvard quasi 'erfunden' worden, und zwar ausschließlich zum Ziel der Akquise von Transplantationsorganen. Dabei impnieren vor allen seine weigergehenden Einlassungen gleichsam einen sich durch Eigenresonanz verstärkenden Argummentationszirkel, ohne die Primärdaten zu überprüfen oder sich wenigstens beraten zu lassen. So extrapoliert er in grotesker Unangemessenheit, dass 'die neue Definition des Todes' dazu führte, Hirntote nicht nur als 'Bank für lebensfrische Organe', sondern auch als 'Fabrik für Hormone und biochemische Substanzen' oder 'einer sich selbst regenerierdenden Blutbank' zu halten. Des Weiteren wären an Hirntoten experimentell 'immunologische und toxikologische Untersuchungen, Infektion von Krankheiten, alten und neuen, Ausprobieren von Drogen' zu erwarten. Jonas malt darüber hinausgehend Szenarien mit Studienausbildungen an Hirntoten, inklusive Amputationen zu Übungszwecken, und formuliert selbstreferentiell und trugschlüssig, die 'vorgeschlagene Definition des Todes beseitige jeden Grund, nicht an so etwas zu denken'.<ref>Dag Moskopp: Hirntod: Konzept und Kontext. In: Stephan M. Probst: Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 48.</ref>}}
{{Zitat|Dag Moskopp: Diese im Bostoner Paper nicht ausgesprochenen, aber subtextual augenfälligen Missstände nahm demgegenüber sehr wohl der in Mönchengladbach geborene Hans Jonas war und verfasste seine mehrfach aktualisierte Streitschrift hierzu (1968 ff.). Unklar bleibt aus heutiger Sicht, weswegen er beispielsweise die im hier vorliegenden Artikel dargestellte und publikatorisch gut belegbare Entwicklung zwischen 1952 und 1960 unerwähnt lässt. Er versteigt sich vielmehr und offenbar auf dem Boden einer räumlich und örtlich situativen Teilwahrnehmung in den USA unüberprüft zu der Falsch-Behauptung, der Hirntod (brain death) sei de novo 1968 in Harvard quasi 'erfunden' worden, und zwar ausschließlich zum Ziel der Akquise von Transplantationsorganen. Dabei impnieren vor allen seine weigergehenden Einlassungen gleichsam einen sich durch Eigenresonanz verstärkenden Argummentationszirkel, ohne die Primärdaten zu überprüfen oder sich wenigstens beraten zu lassen. So extrapoliert er in grotesker Unangemessenheit, dass 'die neue Definition des Todes' dazu führte, Hirntote nicht nur als 'Bank für lebensfrische Organe', sondern auch als 'Fabrik für Hormone und biochemische Substanzen' oder 'einer sich selbst regenerierdenden Blutbank' zu halten. Des Weiteren wären an Hirntoten experimentell 'immunologische und toxikologische Untersuchungen, Infektion von Krankheiten, alten und neuen, Ausprobieren von Drogen' zu erwarten. Jonas malt darüber hinausgehend Szenarien mit Studienausbildungen an Hirntoten, inklusive Amputationen zu Übungszwecken, und formuliert selbstreferentiell und trugschlüssig, die 'vorgeschlagene Definition des Todes beseitige jeden Grund, nicht an so etwas zu denken'.<ref>Dag Moskopp: Hirntod: Konzept und Kontext. In: Stephan M. Probst: Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 48.</ref>}}


{{Zitat|Alberto Bondolfi: Vgl. als interessante, aber meiner Meinung nach methodologisch ungenügend durchdachte Position die Kritik von Jonas, Gehirntod und menschliche Organbank. Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes, in: ders., Technik, Medizin und Ethik, Frankfurt a.M. 1985, S. 219-241. Jonas hat später zugegeben, dass seine Einschätzung der Problematik der Hirntoddefinition etwas vorschnell gewesen ist.<ref>Alberto Bondolfi: Der Status der Leiche im Blick auf die Organentnahme. In: Alberto Bondolfi, Ulrike Kostka, Kurt Seelmann (Hg.): Hirntod und Organspende, 98. Fußnote 21.</ref>
{{Zitat|Alberto Bondolfi: Vgl. als interessante, aber meiner Meinung nach methodologisch ungenügend durchdachte Position die Kritik von Jonas, Gehirntod und menschliche Organbank. Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes, in: ders., Technik, Medizin und Ethik, Frankfurt a.M. 1985, S. 219-241. Jonas hat später zugegeben, dass seine Einschätzung der Problematik der Hirntoddefinition etwas vorschnell gewesen ist.<ref>Alberto Bondolfi: Der Status der Leiche im Blick auf die Organentnahme. In: Alberto Bondolfi, Ulrike Kostka, Kurt Seelmann (Hg.): Hirntod und Organspende, 98. Fußnote 21.</ref>}}


== Sonstiges ==
== Sonstiges ==

Version vom 18. Januar 2021, 08:54 Uhr

Schriften

Hans Jonas zum Hirntod

Hans Jonas war einer der ersten Philosophen, die sich deutlich gegen das Hirntodkonzept ausgesprochen haben. Bereits einen Monat nach Vorstellung der Harvard-Kriterien äußerte sich Hans Jonas gegen das Hirntodkonzept.[1] Im September 1968 sprach sich Hans Jonas auf einer Konferenz über "Ethische Aspekte von Humanversuchen" gegen das Hirntodkonzept aus.[2]

Hans Jonas akzeptierte zunächst die Hirntoddefinition im Bezug auf den Zeitpunkt das Ende der Therapie, so kritisiert er im Jahr 1970 schärfer: "mit dem Primärgrund der Sinnlosigkeit der bloß vegetativen Fortexistenz" habe die Harvard-Kommission "strenggenommen nicht den Tod, sondern ein Kriterium dafür, ihn ungehindert stattfinden zu lassen" definiert.[3]


Einige Aussagen von Hans Jonas zum Hirntod sind hier chronologisch gelistet.

  • "Beim Vorliegen eines klar definierten negativen Gehirnzustandes darf der Arzt dem Patienten erlauben, seinen eigenen Tod ... zu sterben." Eine Organentnahme bezeichnet Hans Jonas auf der gleichen Seite als das, was "früher den Tatbestand einer Vivisektion gebildet hätte", da dieser Zustand "nach älterer Definition Leben gewesen wäre".[4] Zur Beendigung der Therapie berief sich Hans Jonas auf die Aussage von Papst Pius im Jahre 1957.[5]
  • In einem seiner letzen Briefe schrieb Hans Jonas fast flehend über die zur Organentnahme anstehenden Hirntoten: "Laßt sie zuerst sterben..."[6]

Technik, Medizin und Ethik (1987)

1987 erschien von Hans Jonas das Buch "Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung".[7] Das Kapitel 10 ist überschrieben mit: "Gehirntod und menschliche Organbank: Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes" (Seite 219-241). Darin heißt es:

Im August 1968 veröffentlichte eine hierzu eingesetzte Kommission der Harvard Medical School ihren Bericht über die Definition des Gehirntodes. Schon im Monat danach benutzte ich die Gelegenheit einer Konferenz über 'Ethische Aspekte von Humanversuchen', meinem Beitrag zu diesem Thema eine erste und scharfe Kritik des - mehr als nur fachmedizinischen Vorschlags der Harvardkommission einzufügen, obwohl dessen Gegenstand nicht eigentlich zum Thema der Versuche an menschlichen Subjekten gehörte: aber ich sah in ihm die Gefahr eines Mißbrauchs an ebensolchen Subjekten (Patienten) für medizinische Zwecke, nicht unähnlich dem in Versuchssituationen zu vermeidenden. (219)

Zumindest im deutschsprachigen Raum konnte seit 1968 keine ernsthafte Diskussion um Versuche an Hirntoten recherchiert werden. Das Buch von Hans Jonas erschien 18 Jahre nach der Ad-Hoc-Kommission. Diese Sorge war somit für den deutschsprachigen Raum somit völlig unbegründet.
Siehe auch: Chronik/Hirntod und Pierre Wertheimer

Aber ein beunruhigend entgegengesetzter Zweck verbindet sich mit diesem in der Suche nach einer neuen Definition des Todes - d.h. in dem Ziel, den Zeitpunkt der Todeserklärung vorzuverlegen (221)

Siehe: Vorverlegung des Todes

Sicher ist es doch zweierlei - wann vom Todesaufschub abzulassen und wann anzufangen, dem Körper Gewalt anzutun; wann aufzuhören, den Prozeß des Sterbens hinauszuziehen, und wann diesem Prozeß als in sich beendet und somit den Körper als Leichnam anzusehen, mit dem man tun kann, was für jeden lebendigen Leib Tortur und Tod wäre. (221)

Da Hirntoten alle Wahrnnehmung - auch jeglichen Schmerzes - erloschen ist, ist die Organentnahme für keinen Hirntoten eine Tortur.

Wir brauchen nur zu wissen, daß das Koma irreversibel ist, um ethisch zu entscheiden, dem Sterben nicht länger Widerstand zu leisten. (221)

Hirntod ist mehr als nur ein irreversibles Koma. Hier scheint das Grundproblem von Hans Jonas beim Verständnis von Hirntod zu liegen.

Da wir die genaue Grenzlinie zwischen Leben und Tod nicht kennen, genügt nichts Geringeres als die maximale 'Definition' (besser: Merkmalsbestimmung) des Todes - Hirntod plus Herztod plus jeder sonstigen Indikation, die von Belang sein mag -, bevor endgültige Gewalt stattgreifen darf. (222)

Ein irreversibler Herzstillstand - nach erfolglosem Reanimationsversuch - ist bis heute ein sicheres Todeszeichen und damit Grund genug, um den Tod eines Menschen festzustellen.

Wenn nur permanentes Koma durch die künstliche Aufrechterhaltung der Atmung usw. gewonnen werden kann, dann stelle man (geschützt durch die Definition, wen die Rechtsprechung es so will) die Lungenmaschine und alles andere ab und lasse den Patienten sterben: aber man lasse ihn sterben in aller Vollständigkeit, bis zum Stillstand jeder organischen Funktion. (222)

Siehe: irreversibles Koma, Sterbeprozess und intermediäres Leben

Wer kann wissen, wenn jetzt das Seziermesser zu schneiden beginnt, ob nicht ein Schock, ein letztes Trauma einem nichtzerebralen, diffus ausgebreiteten Empfinden zugefügt wird, das noch leidensfähig ist und von uns selbst, mit der organischen Funktion, am Leben erhalten wird? (222)

Jede Form von Empfinden - auch von Leid - ist an ein funktionierendes Gehirn geknüpft. Wenn dieses nicht mehr funktioniert, gibt es keine Empfindung, keine Wahrnehmung und keinen Schmerz.

Kein Dekret der Definition kann diese Frage entscheiden. (222)

... aber medizinisches Fachwissen kann diese Frage klären.

Ich betone aber, daß die Frage möglichen Leidens (...) nur ein Nebengedanke und keineswegs der Kern unserer Argumentation ist. Dieser - sagen wir es noch einmal - ist die Unbestimmtheit der Grenze zwischen Leben und Tod, nicht zwischen Empfindung und Empfindungslosigkeit, und er heißt uns, in einer Zone wesentlicher Ungewißheit mehr zu einer maximalen als zu einer minimalen Bestimmung des Todes hinzuneigen. (222)

Siehe: Todesverständnis

Der Patient muß unbedingt sicher sein, daß sein Arzt nicht sein Henker wird und keine Definition ihn ermächtigt, es je zu werden. (223)

Siehe: Diffamierung

Denn niemand hat ein Recht auf eines anderen Leib. (223)
Das Verschneiden eines Menschen sollte von Pietät umhegt und vor Ausbeutung geschützt werden. (223)

Siehe: Zustimmungsregelung, Entscheidungsregelung, Erklärungsregelung und Widerspruchsregelung

Bei dem überragenden Prestige seiner Urheber im Bunde mit dem mächtig ansteigenden Transplant-Interesse in Amerika konnte mir nicht zweifelhaft sein, daß seine Empfehlung, die diesem Interesse so entgegenkam, auf weite ärztliche und schließlich auch gesetzgeberische Zustimmung stoßen würde, und daß mein Widerspruch geringe Aussicht hatte, gehört zu werden. (223)
Ich behaupte nun: So rein dies Interesse, nämlich anderes Leben zu retten, an sich ist, so beeinträchtigt doch sein Mitsprechenlassen den theoretischen Versuch einer Definition des Todes; (225)

Siehe: Pierre Wertheimer und Chronik/Hirntod

Im Zweckdienst beider Gründe soll die neue Definition dem Arzt das Recht geben, die Behandlung eines Zustandes zu beenden, der durch sie nur verlängert, nicht gebessert werden kann, dessen Verlängerung aber für den Patienten selbst keinerlei Sinn hat. (224)

Hans Jonas akzeptiert damit nach Feststellung des Hirntodes das Therapieende.

Wenn aber 'der Patient aufgrund dieser Kriterien (des Gehirntods) für tot erklärt wird', d.h. wenn der Komatöse gar kein Patient, sondern ein Leichnam ist, dann ist der Weg für andere Verwendungen der Definition, wie der zweite Grund sie vertritt, im Prinzip geöffnet und wird in praxi beschritten werden, wenn man ihn nicht vorzeitig versperrt. (224f)

Siehe: Todesfeststellung, Todeserklärung und Todesverständnis

Grund zu diesem Verdacht gab schon Dr. Henry K. Beecher, wenn er andernwärts versicherte, die Gesellschaft könne es sich schlecht leisten, die Gewebe und Organe unheilbar bewußtlosen Patienten 'wegzuwerfen' (discard), da diese dringend für Studium und Versuche benötigt würden, um andere, sonst hoffnungslos Kranke damit retten zu können. (225)

Henry K. Beecher war kein Chirurg, sondern Anästesist. Er kam in die Kritik, da er an Menschenversuchen mit psychoaktiven Substanzen für amerikanische Geheimdienste beteiligt war. - Ohne Namenswechsel schreibt Hans Jonas im nächsten Satz, "wo das Interesse des Chirurgen an der Definition liegt." Damit baut Hans Jonas mit dem Anästesisten Henry K. Beecher ein Feindbild gegen die Transplantationsmedizin auf, das es so gar nicht gibt.

Der Gedankenaustausch mit der informellen Gruppe, die mich nach einer schriftlichen Darlegung ihrer Einwände zu einem einwöchigen Besuch als Gast des Medical Center der University of California in San Francisco einlud, nötigte mich zu ausführlicherer und begrifflicher Herausarbeitung meiner Position, die ich als Arbeitspapier (...) unter ihren Mitgliedern zirkulieren ließ.. (226)

Hans Jonas wurde offensichtlich von einer Gruppe als Galionsfigur von einer Gruppe gepusht.

Einen solchen Stand der Dinge aber anzuerkennen, wird ihm gerechter als eine präzise Definition, die ihm Gewalt antut. (227)

Wer neue wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, um an alten Definitionen festzuhalten, tut der Wissenschaft Gewalt an.

so nehme ich die Gelegenheit wahr, um zu erklären, daß ich stets den 'Tod des Organismus als ganzen' und nicht 'des ganzen Organismus' meinte. (227)

Hier widerspricht er sich selbst, siehe oben.

Aber Atmung und Blutkreislauf fallen nicht in diese Klasse, denn die Wirkung ihrer Tätigkeit, obwohl von Subsystemen ausgeführt, erstreckt sich durch das ganze System und sichert sowohl die funktionelle wie die substantielle Erhaltung seiner übrigen Teile. (227)

Es ist nicht nur die Eigenatmung erloschen, sondern auch die Homöostase schwerst gestört, d.h. in einem Zustand, der mit dem Leben nicht vereinbar ist.

Das so in Form gehaltene Gesamtsystem kann sogar, mit künstlicher Ernährung, seinen durchgängigen Metabolismus fortsetzen und dann wohl auch andere (z.B. Drüsen-)Funktionen - in der Tat, so nehme ich an, so ziemlich alles, was nicht von zentraler Nervenkontrolle abhängt, also die meisten biochemischen, 'vegetativen' Prozesse. (228)

Hier gibt Hans Jonas offen sachliche Schwächen zu. - Es stimmt: Alles, was nicht vom Gehirn gesteuert wird oder davon abhängig ist, funktioniert weiter. Nur funktioniert die Homöostase nicht ohne Gehirn.

Das eben ist ja der Zustand, in dem komatöse Patienten Monate und Jahre lang mit jenen Hilfmitteln fort'vegetieren' können, ... (228)

Im Erscheinungsjahr dieses Buches, Im August 1987 erschien von Victor W. Lee et al. der Artikel "Scintigraphic Evaluation of Brain Death: Significanceof Sagittal Sinus Visualization". Darin wird beschrieben: Zwischen Februar 1983 und Juli 1986 gab es in der Klinik 53 Hirntote. Sie alle erlitten trotz fortgesetzter intensivmedizinischer Behandlung innerhalb der ersten 8 Tage einen irreversiblen Herzstillstand, nur einer erst nach 17 Tagen.[8]
Selbst die Studie von Alan Shewmon (1997 mit dem Fortschritt der Medizin von inzwischen 10 Jahren!) mit weltweit 175 Hirntoten, bei denen nach Feststellung des Hirntodes die intensivmedizinische Behandlung fortgesetzt wurde, kam es bei 80 Hirntoten zu einen irreversiblen Kreislaufstillstand zwischen 1-2 Wochen. Nur 7 Hirntote hatten über 6 Monate einen funktionierenden Kreislauf. Alle 9 Hirntote mit über 4 Monaten waren jünger als 18 Jahre. Die 3 Hirntote mit den längsten Zeiten (2,7 und 5,1 und 14,5 Jahre) waren Neugeborene und kleine Kinder.
Hier zeigt sich, wie sehr Hans Jonas den pathophysiologischen Zustand Hirntod verkannte.

Kurz, was hier durch verschiedene Kunstgriffe in Gang gehalten wird, muß - mit der in dieser Zwielichtzone gebotenen Vorsicht - mit dem 'Organismus als ganzem' traditioneller Todesbestimmung gleichgesetzt werden, mehr jedenfalls als mit irgendeinem isolierbaren Teil desselben. (228)

Es stimmt, der Organismus als ganzes funktioniert, zeitlich auf unbestimmte Zeit befristet, dank dem vollen Aufwand der Intensivmedizin. Damit sind wir jedoch beim intermediären Leben.

Um hier genau zu sein: das 'Irreversible' des Aufhörens kann zweifachen Bezug haben: auf die Funktion selbst oder nur auf ihre Spontaneität. ... Das ist der Fall bei Atembewegungen und Herzkontranktionen des komatösen Patienten (und auch, neuerdings, des Kunstherzen!). Der Unterschied ist nicht unwichtig. Denn wenn wir für das Hirn, das ausgesetzt hat, - sagen wir, nur für das Kleinhirn - tun könnten, was wir jetzt für Herz und Lunge tun können, nämlich es arbeiten machen durch laufende Aktivierung von außen (elektrisch, chemisch oder was sonst), so würden wir es gewiß tun und nicht darüber rechten, dass die resultierende Tätigkeit der Spontaneität mangelt: auf die Tätigkeit als solche käme es an. (228f)

Bei aller Unterstützung der Intensivmedizin, kann der Blutkreislauf eine unbestimmte Zeit von meist wenigen Tagen aufrecht erhalten werden, aber damit haben wir nur intermediäres Leben. Menschliches Leben ist mit dem Eintritt des Hirntodes erloschen. Der Mensch ist damit tot.

Dies ist eine rein hypothetische und wohl auf immer unrealistische Spekulation; aber ich bezweifle, daß ein Arzt sich berechtigt fühlen würden, einen Patienten für tot zu erklären wegen Nichtsponanneität an der zerebralen Quelle, wenn diese durch ein künstliches Hilfsmittel zum Tätigsein gebracht werden kann. (229)

Nach Eintritt des Hirntodes ist jede Wahrnehmung und Bewusstsein erloschen. Dieses kann nicht ersetzt werden.

Und hier ist meinem Dafürhalten nach die richtige Frage nicht: Ist der Patient gestorben?, sondern: Was soll mit ihm - immer noch ein Patient - geschehen? (229)

Wer den pathophysiologischen Zustand Hirntod nicht verstanden hat, kann so fragen.

Diese Frage nun kann gewiß nicht durch eine Definition des Todes, sondern muß mit einer 'Definition' des Menschen und dessen, was ein menschliches Leben ist, beantwortet werden. (229)

Es gilt zwischen dem Tod an sich und dem Tod des Menschen zu unterscheiden. Siehe: Todesverständnis

Die späte Nutzung des Leichnams ist eine Sache für sich, auf die ich hier nicht eingehe, obwohl auch sie einer nur utilitarischen Einstellung widersteht. (230)

Das Hirntodkonzept entspricht genau dieser Vorstellung: Mit der Feststellung des Hirntodes ist der Tod des Menschen festgestellt. Danach ist - bei vorliegender Zustimmung - die Organentnahme möglich.

Die zu treffende Entscheidung ist axiologisch und nicht schon durch das klinische Faktum des Gehirntods gegeben. Sie beginnt, wenn die Diagnose des Zustands gesprochen hat: Sie ist nicht selber diagnostisch. (230)

"Diagnose ist nach allgemeinem Verständnis die Feststellung oder Bestimmung einer Krankheit. Das Wort ist abgeleitet von altgriechisch διάγνωσις diágnosis ‚Unterscheidung, Entscheidung‘ (bestehend aus διά- diá- ‚durch-‘ und γνώσις gnósis ‚Erkenntnis, Urteil‘)."[9]
Mit der HTD wird unterschieden, ob noch Koma vorliegt oder bereits Hirntod.

Demnach ist, wie früher ausgeführt, eine Neudefinition des Todes nicht benötigt - nur vielleicht eine Revision der vermeintlichen Pflicht des Arztes, unter allen Umständen das Leben zu verlängern. (230)

Eine Neudefinition des Todes ist notwendig, damit einheitlich für alle Ärzte gleich handeln. Siehe als gegenteiliges Beispiel: Bayerisches Gerichtsurteil

Wenn der komatöse Patient kraft Definition tot ist, dann ist er kein Patient mehr, sondern ein Leichnam, mit dem man anstellen darf, was immer Gesetz und Brauch oder Testament oder angehörige mit einem Leichnam zu tun erlauben und wozu diese oder jene Interessen im besonderen drängen. (230f)

Siehe: Hirntod und Koma

Das schließt ein - warum nicht? - das Hinausziehen des Zwischenzustandes (für den wir einen neuen Namen finden müssen ('Lebenssimulierung'?), da der des 'Lebens' durch die neue Definierung des Todes unanwendbar geworden ist), um aus ihm alle Vorteile herauszuschlagen, die wir können. (231)

Per Definition gibt es keinen Zwischenstatus zwischen Leben und Tod. Siehe: Todesverständnis

Sind wir erst einmal versichert, daß wir es mit einem Leichnam zu tun haben, dann sprechen keine logischen Gründe dagegen und starke pragmatische dafür, die künstliche Durchblutung (Lebenssimulierung) fortzusetzen und den Leib des Verschiedenen zur Verfügung zu halten - als eine Bank für lebensfrische Organe, möglicherweise auch als Fabrik für Hormone und andere biochemische Substanzen, nach denen Bedarf besteht. (231)

Hier ist Unsicherheit im Todesverständnis zu spüren.

Es wäre unaufrichtig zu leugnen, daß die Neudefinierung auf eine Vordatierung des fait accompli hinausläuft, verglichen mit Kriterien nach konventionellen Lebenszeichen, die noch dauern können; daß sie nicht durch das ausschließliche Interesse am Patienten motiviert ist, sondern auch durch gewisse ihm äußere Interessen (Organspende das vorherrschende davon); (232)

Siehe: Vordatierung und Todesverständnis

Aber einerlei, welche besondere Gebrauch zur Zeit von der Zunft vorgesehen, nicht vorgesehen oder gar verpönt sei - es wäre naiv zu glauben, daß irgendwo eine Linie zwischen erlaubtem und unerlaubtem Gebrauchh gezogen werden kann, wenn genügend starke Interessen sprechen: Die Definition, die absolut, nicht graduell ist, versagt jedes Prinzip für das Ziehen einer solchen Linie. (233)

Siehe: Panikmache

Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod ist nicht mit Sicherheit bekannt, und eine Definition kann Wissen nicht ersetzen. (233)

Leben und Tod sind kultur- und zeitabhängige Definitionen, entsprechend dem aktuellen Wissen einer Gesellschaft.

Der Verdacht ist nicht grundlos, daß der künstlich unterstützte Zustand des komatösen Patienten immer noch ein Restzustand von Leben ist (wie er bis vor kurzem auch medizinisch allgemein angesehen wurde). (233)

Das war noch bis in die 1950-er Jahre. Seit den 1960-er Jahren sieht die Medizin Hirntote als Tote.

D.h., es besteht Grund zum Zweifel daran, daß selbst ohne Gehirnfunktion der atmende Patient vollständig tot ist. (233)

Der atmende Patient besitzt Eigenatmung und ist damit nicht hirntot. Hirntote aber haben keine Gehirnfunktion und damit auch keine Eigenatmung. Den von Hans Jonas beschriebenen Zustand gibt es per Definition des Hirntodes nicht.

Hinter der vorgeschlagenen Definition mit ihren offenkundigen pragmatischen Motivierung sehe ich eine seltsame Wiederkehr - die naturalistische Reinkarnation sozusagen - des alten Leben-Seele-Dualismus. Seinen Gestalt ist der Dualismus von Körper und Gehirn. (234)

Hier müsste es wohl heißen "Körper und Geist", denn das Gehirn ist ein Teil des Körpers. Der Geist entspringt jedoch nachweislich dem Gehirn.

Wenn daher das Gehirn stirbt, ist es so, wie wenn die Seele entfloh: was bleibt, sind die 'sterblichen Überreste'. Nun wird niemand leugnen, daß der zerebrale Aspekt entscheidend ist für die menschliche Qualität des Lebens jenes Organismus, der 'Mensch' heißt. Eben dies anerkennt die von mir vertretene Position mit der Empfehlung, daß man bei unwiderruflichem totalem Verlust der Gehirntätigkeit den darauf natürlich folgenden Tod des übrigen Organismus nicht aufhalten soll. (234)

Interessant, dass Hans Jonas hier die Trennung von Leib und Seele bei Hirntoten sieht, sich aber weigert, Hirntote als Tote anzusehen.

Solange der komatöse Körper - selbst nur mit Hilfe der 'Kunst' - noch atmet, pulsiert und sonstwie organisch am Werk ist, muß er immer noch als restliche Fortdauer des Subjektes angesehen werden, das geliebt hat und geliebt wurde, und hat als solcher immer noch Anspruch auf jene Sakrosanktheit, die einem solchen Subjekt nach menschlichem und göttlichem Recht gebührt. (235)

Auch ein Leichnam mit Totenflecken und Totenstarre wurde geliebt und hat geliebt. Deswegen sieht ihn aber niemand als lebendig an.

Das Atmungsgerät wurde abgeschaltet nach, nicht vor, der Entfernung von Augen und Nieren; und dann wohl nur, weil man zufällig keine weitere Nutzung ihres Körpers für jetzt oder später ins Auge gefaßt hatte (oder fassen konnte, da er ohne Nieren nicht 'lebensfähig' war). Aber es hätte keiner weiteren Legitimierung oder neuen Prinzipienentscheidung bedurft, den Körper über die ersten zwei Operationen hinaus in Gang zu halten. So ist denn (zumindest durch einen Präsidenzfall) die Tür zur Tat geöffnet worden, die theoretisch verschlossen zu halten ich helfen wollte - und damit die Heerstraße frei zu einer unbestimmten Reihe praktischer Möglichkeiten, die meine gruselige Phantasie erspähte und deren Wahl kein Gesetz, Bedenken oder Prinzip mehr versperrt. Der Anfang ist gemacht: Fiktion weicht der Unternehmung, und das Ende ist nirgends in Sicht. (237)

An der 17-jährigen Schülerin wurde 1970 der Hirntod festgestellt (siehe Seite 236). Danach hätte das Therapieende erfolgen können, aber damit wären die Nieren geschädigt worden. Um möglichst gute Voraussetzungen für die Nieren-TX zu haben, wurde die intensivmedizinische Versorgung bis zur Organentnahme fortgesetzt.
Die "gruselige Phantasie" hat der 1903 in Mönchengladbach geborene und 1933 nach London ausgewanderte Jude wohl auch auf dem Hintergrund, dass er im Juli 1945 erfuhr, dass seine Mutter im KZ Auschwitz umkam, dem KZ, in dem auch Versuche an Menschen vorgenommen wurden. Von den von Hans Jonas beschriebenen Phantasien traten zumindest in Deutschland keine ein.

Das Elektrokephalogramm z.B. braucht nicht völlig flach zu sein, da Unebenheiten von Umweltquellen stammen können; manchmal wird es überhaupt durch das neurologische Gesamtbild ersetzt. Die Mindestfrist für Beobachtung und Testwiederholung wird herabgesetzt - von 24 auf 6 Stunden ab Eintritt des Komas. (238)

Das Buch von Hans Jonas erschien 1987. Damit lag die "Entscheidungshilfe zur Feststellung des Hirntodes" (1982) bereits vor. Darin werden andere Beobachtungszeiten gefordert: bei primärer Hirnschädigung mind. 12 Stunden und bei sekundärer Hirnschädigung mind. 3 Tage; bei Säuglingen und Kinder bis zum 2. Lebensjahr bei primärer Hirnschädigung 24 Stunden, bei sekundärer Hirnschädigung mind. 3 Tage. Dabei ist die Beobachtungszeit nicht ab Eintritt des Komas, sondern zwischen der 1. und 2. klinischen Diagnostik.

Insofern ist eingetroffen, was meine Untersuchungen als Folge der neuen Todesdefinition im Falle ihrer Annahme vorhersagte. Nicht eingetroffen ist allerdings die Gruselphantasie längerer Erhaltung des atmenden Leichnams für fernere medizinische Ausbeute (238)

Richtig.

Praktisch lief meine Gegenwehr darauf hinaus, daß man zunächst die künstliche Atmung einstellt, dann die Zeit läßt, um die endgültige Abwesenheit aller Lebenszeichen festzustellen, und danach erst mit der Organentfernung beginnt. Das würde, da die Verzögerung kurz ist, immer noch brauchbares Material erbringen, aber die Bedingungen wären nicht mehr die optimalen, die Ausbeute daher wohl geringer. Das hat praktisch den Ausschlag gegeben. (239)

Richtig. - Es ist auch auf die Empfänger zu blicken, denen ein so geschädigtes Organ einen kürzere Funktionszeit bescheren würde.

Die Folgen seiner Papiere

Insbesonder der Krern dieser Geschichts- und Wissenschafts-Klitterung - nämliich, das der Hirntod in Boston 1968 zum Primärziel dere Organakquise erfunden worden sei, wurde dann - offenbar ebenso ungeprüft - von vielen seiner Leser übernommen; hierzu hählen u.a. die Deutsche Bischofskonferenz (2015) sowie maßgebliche Autoren des Deutscen Ethikrates (2015). Einer Publikation der Ev.-Luth. Kirche in Bayern (2014) entnimmt man: 'Das Hirntodkriterium ist 1968 an der Harvard Medical School deshabalb eingeführt worden, weil man eine medizinisch begründbare Möglichkeit suchte, Patienten, deren Hirn als nicht mehr funktionsfähig erkannt worden war, von der Beatmung abschalten und sterben lassen zu können.' Den Fragen und Einlassungen der Ev. Frauen in Deutschland e.V. (2013) hat sich der Autor auf Einladung der Landesbischöfin, Ilse Junkermann, im sog. Spiegelsaalgespräch der Evangelischen Akademie, am 9. Januar 2017 in Magdeburg gestellt, nachdem ere ausführlich zum Konzept des Hirntodes referiert hatte (Wähnelt 2017).[10]

Weitere Zitate

Ich behaupte nun: So rein dies Interesse, nämlich anderes Leben zu retten, an sich ist, so beeinträchtigt doch sein Mitsprechenlassen den theoretischen Versuch einer Definition des Todes: und die Harvard-Kommission hätte sich nie erlauben dürfen, die Reinheit ihres wissenschaftlichen Befundes durch den Köder dieses externen - wiewohl höchst ehrenwerten - Gewinnes zu kontaminieren. Doch nicht die Reinheit der Theorie ist hier mein Anliegen. Was mich beschäftigt, sind gewisse Folgerungen, die auf Drängen dieses externen Interesses aus der Definition gezogen werden können und deren volle Sanktion genießen, wenn sie erst einmal offiziell anerkannt ist. Ärzte wären nicht menschlich, wenn gewisse, ihrem Herzen nahe Vorteile solcher möglichen Folgerungen nicht ihr Urteil über die Richtigkeit einer Definition beeinflussen würden, die sie hergibt - ebenso wie ich freimütig gestehe, daß mein Schauder vor manchen dieser Folgerungen meine theoretische Skepsis zu höchster Wachsamkeit anhält.[11]
Hinter der vorgeschlagenen Definition mit ihrer offenkundigen pragmatischen Motivierung sehe ich eine seltsame Wiederkehr - die naturalistische Reinkarnation sozusagen - des alten Leib-Seele-Dualismus. Seine neue Gestalt ist der Dualismus von Körper und Gehirn. In einer gewissen Analogie zu dem früheren transnaturalen Dualismus hält er dafür, daß die wahre menschliche Person im Gehirn sitzt (oder dadurch repräsentiert wird), und der übrige Körper dazu nur im Verhältnis des dienstbaren Werkzeugs steht. Wenn daher das Gehirn stirbt, ist es so, wie wenn die Seele entfloh: was bleibt, sind die 'sterblichen Überreste'. Nun wird niemand leugnen, daß der zerebrale Aspekt entscheidend ist für die menschliche Qualität des Lebens jenes Organismus, der 'Mensch'heißt. Ebendies anerkennt die von mir vertretene Position mit der Empfehlung, daß man bei unwiderruflich emtotalen Verlust der Gehirntätigkeit den darauf natürlich folgenden Tod des übrigen Organismus nicht aufhalten soll. Aber es ist nicht weniger eine Übertreibung des zerebralen Aspekts, als es eine der 'bewußten Seele' war, dem extrazerebralen Leibe seinen wesenhaften Anteil an der Identität der Person abzusprechen. Der Leib ist so einzig der Leib dieses Hirns und keines anderen, wie das Hirn einzig das Hirn dieses Leibes und keines anderen ist. (Dasselbe galt eigentlich auch für das Verhältnis der unkörperlichen Seele zu 'ihrem' Leib.) Das, was unter der zentralen Kontrolle des Gehirns steht, das leibliche Ganze, ist so individuell, so sehr 'ich selbst', so einmalig zu meiner Identität gehörig (Fingerabdrücke, Immunreaktion!), so unaustauschbar, wie das kontrollierende (und reziprok von ihm kontrollierte) Gehirn selbst. Meine Identität ist die Identität des ganzen und gänzlich individuellen Organismus, auch wenn die höheren Funktionen des Personseins ihren Sitz im Gehirn haben. Wie sonst könnte ein Mann eine Frau lieben und nicht nur ihr Gehirn. Wie sonst könnten wir uns im Anblick eines Gesichtes verlieren? Angerührt werden vom Zauber einer Gestalt? Es ist das Gesicht, es ist die Gestalt dieser Person und keiner anderen auf der Welt. Darum: Solange der komatöse Körper - selbst nur mit Hilfe der Kunst - noch atmet, pulsiert und sonstwie organisch am Werk ist, muß er immer noch als restliche Fortdauer des Subjektes angesehen werden, das geliebt hat und geliebt wurde, und hat als solches immer noch Anspruch auf jene Sakrosanktheit, die einem solchen Subjekt nach menschlichem und göttlichem Recht gebührt. Diese Sakrosanktheit gebietet, daß es nicht als bloßes Mittel benutzt wird.[12]

Aussagen über Hans Jonas

Dag Moskopp: Diese im Bostoner Paper nicht ausgesprochenen, aber subtextual augenfälligen Missstände nahm demgegenüber sehr wohl der in Mönchengladbach geborene Hans Jonas war und verfasste seine mehrfach aktualisierte Streitschrift hierzu (1968 ff.). Unklar bleibt aus heutiger Sicht, weswegen er beispielsweise die im hier vorliegenden Artikel dargestellte und publikatorisch gut belegbare Entwicklung zwischen 1952 und 1960 unerwähnt lässt. Er versteigt sich vielmehr und offenbar auf dem Boden einer räumlich und örtlich situativen Teilwahrnehmung in den USA unüberprüft zu der Falsch-Behauptung, der Hirntod (brain death) sei de novo 1968 in Harvard quasi 'erfunden' worden, und zwar ausschließlich zum Ziel der Akquise von Transplantationsorganen. Dabei impnieren vor allen seine weigergehenden Einlassungen gleichsam einen sich durch Eigenresonanz verstärkenden Argummentationszirkel, ohne die Primärdaten zu überprüfen oder sich wenigstens beraten zu lassen. So extrapoliert er in grotesker Unangemessenheit, dass 'die neue Definition des Todes' dazu führte, Hirntote nicht nur als 'Bank für lebensfrische Organe', sondern auch als 'Fabrik für Hormone und biochemische Substanzen' oder 'einer sich selbst regenerierdenden Blutbank' zu halten. Des Weiteren wären an Hirntoten experimentell 'immunologische und toxikologische Untersuchungen, Infektion von Krankheiten, alten und neuen, Ausprobieren von Drogen' zu erwarten. Jonas malt darüber hinausgehend Szenarien mit Studienausbildungen an Hirntoten, inklusive Amputationen zu Übungszwecken, und formuliert selbstreferentiell und trugschlüssig, die 'vorgeschlagene Definition des Todes beseitige jeden Grund, nicht an so etwas zu denken'.[13]
Alberto Bondolfi: Vgl. als interessante, aber meiner Meinung nach methodologisch ungenügend durchdachte Position die Kritik von Jonas, Gehirntod und menschliche Organbank. Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes, in: ders., Technik, Medizin und Ethik, Frankfurt a.M. 1985, S. 219-241. Jonas hat später zugegeben, dass seine Einschätzung der Problematik der Hirntoddefinition etwas vorschnell gewesen ist.[14]

Sonstiges

Hans Jonas als Nobelpreisträger

Von einigen Autoren wird Hans Jonas als Nobelpreisträger genannt. Dies ist unkorrekt. Hans Jonas erhielt nie einen Nobelpreis (nach Erscheinen der Aussage chronologisch sortiert).[Anm. 1]

Zitat Autor + Datum + Quelle
Der Nobelpreisträger, Hans Jonas, bemängelte 1985, dass "externe Interessen", nämlich das Interesse möglichst frische, funktionsfähige Organe für eine Transplantation zu erhalten, das sachliche Urteil über den Hirntod trüben. Joachim Piegsa (2009)[15]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. Sabine Müller (09.05.2011)[16][Anm. 2]
... die noch lebenden Menschen entnommen werden können, war so offensichtlich, daß er schon damals Kritik hervorrief, so beispielsweise durch den Philosophen und Nobelpreisträger Hans Jonas. Schattenblick (26.06.2011)[17]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. Nexus-Magazin (2012) [18]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. Georg Meinecke (13.02.2012)[19]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. Notgroschen (30.05.2012)[20]
Kritiker der Gleich-setzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept ... Ekkehard Zellmer (23.08.2012)[21]
Kritiker der Gleich-setzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept ... Ekkehard Zellmer (23.08.2012)[22]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept ... Maria Schwach (10.2012)[23]
"Der Mensch ist nicht von seinem Körper zu trennen, im Gehirn zu lokalisieren", schrieb früh der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas. Freia Peters (13.01.2013)[24]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept ... Georg Meinecke (08.05.2014)[25]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. O.V. (30.10.2014)[26]
Der Nobelpreisträger Hans Jonas warnte schon 1974 davor, das Hirntodkriterium in den Dienst der Organbeschaffung zu stellen. ts/wie (2014)[27]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept Georg Meinecke (?)[28]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. KAO (?)[29]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. Georg Meinecke (?)[30]
Kritiker der Gleichsetzung von Tod und Hirntod wie der Philosoph und Nobelpreisträger Hans Jonas halten am klassischen Todeskonzept fest. Martin Kellner (2016)[31]

Dies erweckt den Eindruck, dass Sabine Müller mit dem irrigen Zusatz des Nobelpreisträgers die Autorität von Hans Jonas heben wollte.

Bereits im Jahr 2009 schrieb Joachim Piegsa, dass Hans Jonas ein Nobelpreisträger sei, doch von dieser Aussage nahm offensichtlich niemand Notiz. Im Jahr 2011 machte Sabine Müller den Philosophen zum Nobelpreisträger. In den nächsten 5 Jahren wurde sie mit dieser Aussage 13 Mal zitiert. Keinem dieser Personen fiel der Fehler auf. Keiner von ihnen stellte es richtig, dass Hans Jonas keinen Nobelpreis erhielt. Ungeprüft wurde es übernommen und verbreitet.

Am 12.04.2017, als diese Suche bei Google gestartet wurde, war als Suchstring "Nobelpreisträger Hans Jonas" angegeben. Es gibt zu denken, dass als Fundstellen nur Seiten gelistet wurden, die gegen das Hirntodkriterium sind. Dies legt den Gedanken nahe, dass Hans Jonas zum "Nobelpreisträger" aufgewertet wurde, um ihn noch wirksamer gegen das Hirntodkriterium benutzen zu können.

In einem Forum ist hierzu der Kommentar zu lesen: "Hans Jonas Nobelpreisträger? Frag mal in Stockholm nach. Mir scheint, da ist er nicht bekannt. Und auf welche Befunde stützt sich seine Meinung?"[32]

Anhang

Anmerkungen

  1. Diese Recherchen wurde zwischen dem 4.4. und 12.4.2017 durchgeführt. Daher entfallen diese Angaben bei den Quellen.
  2. Matthias Mindach korrigiert diesen Fehler. Siehe: Matthias Mindach: Das Hirntodkonzept - eine interessengeleitete Fehlkonstruktion? (2013), 79. Nach: http://www.gkpn.de/Mindach_Hirntod.pd

Einzelnachweise

  1. Andreas Bertels: Der Hirntod des Menschen – medizinische und ethische Aspekte. Düsseldorf 2002, 19. (med. Diss.) Nach: https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2402/402.pdf Zugriff am 19.9.2017.
  2. Andreas Bertels: Der Hirntod des Menschen – medizinische und ethische Aspekte. Düsseldorf 2002, 87. (med. Diss.) Nach: https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2402/402.pdf Zugriff am 19.9.2017.
  3. Hans Jonas. Zitiert nach: Andreas Bertels: Der Hirntod des Menschen – medizinische und ethische Aspekte. Düsseldorf 2002, 87. (med. Diss.) Nach: https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2402/402.pdf Zugriff am 19.9.2017.
  4. Hans Jonas: Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung. 1. Aufl. Frankfurt 1987, 221.
  5. Ilona Leska: Organspende im Spannungsfeld verschiedener Interessen und die Notwendigkeit einer unabhängigen und ergebnisoffenen Beratung. Mittweida 2015, 45. (soz. Diss.) Nach: https://monami.hs-mittweida.de/files/6187/Masterarbeit+Bibliotheksexemplar.pdf Zugriff am 19.9.2017.
  6. Hans Jonas: Brief an Hans-Bernhard Wuermeling. New York, im November 1992. In: J. Hoff, J. in der Schmitten (Hg.): Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und Hirntodkriterium. Reinbek 1994. Nach: Linus S. Geisler: Die Zukunft des Todes - Überlegungen zum "Hirntod". In: CHIRURGISCHE ALLGEMEINE, 7. Jahrgang, Mai 2006, S. 238-242. Nach: http://www.linus-geisler.de/art2006/200605chaz-hirntod.html Zugriff am 22.08.2019.
  7. Hans Jonas: Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung. Frankfurt 1987.
  8. http://jnm.snmjournals.org/content/28/8/1279.full.pdf Zugriff am 19.5.2017.
  9. https://de.wikipedia.org/wiki/Diagnose Zugriff am 23.11.2019.
  10. Dag Moskopp: Hirntod: Konzept und Kontext. In: Stephan M. Probst: Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 48f.
  11. Kurd Stapenhorst: Bedenkenswertes zur Herzverpflanzung. In: Medizin & Ideologie (März 1998), 26. Nach: https://eu-ae.com/images/heftarchiv/20_1998/medizin_und_ideologie_nr1_1998.pdf Zugriff am 19.09.2020.
  12. Kurd Stapenhorst: Bedenkenswertes zur Herzverpflanzung. In: Medizin & Ideologie (März 1998), 26. Nach: https://eu-ae.com/images/heftarchiv/20_1998/medizin_und_ideologie_nr1_1998.pdf Zugriff am 19.09.2020.
  13. Dag Moskopp: Hirntod: Konzept und Kontext. In: Stephan M. Probst: Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig 2019, 48.
  14. Alberto Bondolfi: Der Status der Leiche im Blick auf die Organentnahme. In: Alberto Bondolfi, Ulrike Kostka, Kurt Seelmann (Hg.): Hirntod und Organspende, 98. Fußnote 21.
  15. Joachim Piegsa: Ist der Hirntod der Tod des ganzen Menschen? Probleme der Transplantation. In: Gerhard Stumpf: Irregeleiteter Fortschritt. Im Schnittpunkt zwischen Emanzipation und christlichem Glauben. Landsberg 2009. Nach: http://www.ik-augsburg.de/pdf/berichte/Buch2009.pdf
  16. Sabine Müller: Wie tot sind Hirntote? Alte Frage - neue Antworten (09.05.2011) Nach: http://www.bpb.de/apuz/33311/wie-tot-sind-hirntote-alte-frage-neue-antworten?p=all
  17. Schattenblick: "Die Untoten" - Transplantationsmystik - Wenigstens meine Organe sollen überleben. Nach: http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0027.html
  18. Sabine Müller. Zitiert nach: O.V.: Was es wirklich bedeutet, Organe zu spenden: ein Blick auf die dunkle Seite Nach: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/was-es-wirklich-bedeutet-organe-zu-spenden-ein-blick-auf-die-dunkle-seite/3?context=blog
  19. Georg Meinecke: Organspende - Ja oder Nein? Nach: http://www.hygeia.de/meinecke-organspende
  20. Notgroschen: Was es wirklich bedeutet, Organe zu spenden: ein Blick auf die dunkle Seite. Nach: http://notgroschen.blogspot.de/2012_05_01_archive.html
  21. Ekkehard Zellmer: Organspende das gute Geschäft. Nach: https://lebens-freude.blogspot.de/2012/08/organspende-das-gute-geschaft.html
  22. Ekkehard Zellmer: Organspende das gute Geschäft. Nach: https://lebens-freude.blogspot.de/search?updated-max=2012-08-26T16:03:00%2B02:00&max-results=5&reverse-paginate=true
  23. Maria Schwach: Kontroverse um Organspenden. Organe werden nur Lebenden entnommen - niemals Toten! In: Matrix 3000 (Oktober 2012) Nach: https://www.matrix3000.de/fileadmin/user_upload/documents/Pages_from_matrix_band71_Organspenden.pdf
  24. Freia Peters: Alles gegeben. In. N24 (13.01.2013) Nach: https://www.welt.de/print/wams/politik/article112730518/Alles-gegeben.html Zugriff am 12.4.2017.
  25. Georg Meinecke: Das würdelose, brutale und lukrative Geschäft mit der Organspende. Nach: https://keltisch-druidisch.de/de/blog/das-w%C3%BCrdelose-brutale-und-lukrative-gesch%C3%A4ft-mit-der-organspende
  26. O.V.: Was es wirklich bedeutet, Organe zu spenden: ein Blick auf die dunkle Seite. Nach: https://daserwachendervalkyrjar.wordpress.com/2014/10/30/was-es-wirklich-bedeutet-organe-zu-spenden-ein-blick-auf-die-dunkle-seite
  27. ts/wie: Organspende - moderner Kannibalismus? In: Hand-Express (60/14) Nach: http://gesundes-deutschland.de/S&G60_2014.pdf
  28. Georg Meinecke: Organspende - ja oder nein? Nach: http://www.j-lorber.de/tod/sterben/organspende.htm
  29. KAO: Presseerklärung der KAO. Nach: http://www.stimme-der-vernunft.de/Mensch_oder_HumanmaschineA5.pdf
  30. Georg Meinecke: Das Geschäft mit der Organspende - Wir befinden uns durch die Transplantationsmedizin im modernen Kannibalismus! Nach: http://zeitwort.at/index.php?page=Attachment&attachmentID=3299&h=fa1e1de041fe85601f740b5d2f9e53394a34b884
  31. Martin Kellner: Theologie, normative und naturwissenschaftliche Argumente zur Hirntod-Debatte im sunnitisch-islamischen Recht. Nach: https://www.researchgate.net/profile/Stephan_Probst/publication/301771789_End-of-Life_Islamic_Perspectives/links/572735d408aef9c00b8b1bf6.pdf?origin=publication_list
  32. https://blog.psiram.com/2013/04/hirntod-aus-anthroposophischer-sicht-2